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9 RV 656/71

Aus den Gründen

Die Klägerin richtete am 30.09.1952, eingegangen beim Versorgungsamt (VersorgA) am 01.10.1952, folgendes Schreiben an das VersorgA:

„Betr.: Fristenwahrung.

Bezug: Ohne.

Zur Wahrung meiner Rechte an Versorgungsbezügen melde ich hiermit meine Ansprüche an. - Weitere Anträge folgen, sobald ich im Besitze der zu beschaffenden Unterlagen bin.“

Das VersorgA ließ dieses Schreiben unbeantwortet liegen. Am 26.08.1966 bat die Klägerin unter Bezugnahme auf den Antrag vom 30.09.1952 um Mitteilung, ob der Versorgungsanspruch bereits anerkannt sei oder nunmehr anerkannt werde. Mit Bescheid vom 24.01.1967 lehnte das VersorgA den „Antrag vom 30.09.1952“ ab, weil der Tod des B. nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Flucht gestanden habe. Das Bundessozialgericht verhalf der Klägerin zum vollen Erfolg.

Nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist das Schreiben der Klägerin vom 30.09.1952 am 01.10.1952 beim VersorgA eingegangen, aber nicht bearbeitet worden. Die Klägerin hat mit diesem Schreiben sowohl ihren Anspruch auf Witwenrente fristgerecht angemeldet als auch mit Wirkung am 01.10.1952 die Rente beantragt.

Nach § 1 Abs. 2 und Abs. 5 BVG in allen Fassungen des Gesetzes ist der Anspruch auf Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung von einem „Antrag“ abhängig. Der Antrag gehört zu den sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs, er bedeutet außerdem verfahrensrechtlich die Erklärung des Verlangens, daß die Versorgungsverwaltung für den Antragsteller tätig wird, er gibt der Versorgungsverwaltung den „Anstoß“, die Entscheidung über den Antrag vorzubereiten und damit ihrer fürsorgerischen Pflicht gegenüber dem Antragsteller zu genügen. Ob eine nicht eindeutige Erklärung als Antrag zu betrachten ist, ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Zeitverhältnisse und des erkennbaren Willens des Erklärenden zu ermitteln (BSG 7, 118, 120, 121). Wenn auch die Anmeldung nicht notwendig den „Antrag“ umfaßt (BSG 2, 290, 292,293), so bringt doch in der Regel derjenige, der einen Versorgungsanspruch anmeldet, damit zugleich zum Ausdruck, daß nach seiner Meinung die Tatbestandsmerkmale verwirklicht sind, die einen Anspruch auf Versorgung begründen, den er geltend machen, also beantragen will.

Die Versorgungsbehörden und das SG sind zu Recht - stillschweigend - davon ausgegangen, das Schreiben der Klägerin sei ein Antrag i.S. von § 1 Abs. 5 BVG. Für den Antrag genügt es im allgemeinen, wenn der Antragsteller „wenigstens im Umriß die von ihm begehrte Leistung näher bezeichnet. Nach dem Zweck des Antrags muß für die Versorgungsbehörde erkennbar sein, welche Leistungen der Antragsteller begehrt, selbst wenn der Inhalt eines Antrags erst durch ein weiteres Verhandeln mit ihm nachträglich geklärt oder ergänzt wird“ (BSG 7, 120). Die Klägerin hat zwar nicht angegeben, ob sie Beschädigten- oder Hinterbliebenenversorgung begehrt und auf welches schädigende Ereignis sie den Anspruch stützt; dies hat aber gleichwohl einen wirksamen, wenn auch ergänzungsbedürftigen Antrag nicht ausgeschlossen. Wenn die Klägerin mitgeteilt hat, daß „weitere Anträge folgen“, sobald sie über Unterlagen verfüge, hat dies nicht den Schluß des LSG gerechtfertigt, die Klägerin habe damit nur einen späteren Versorgungsantrag ankündigen wollen. Das Schreiben der Klägerin sollte erkennbar die nach damaligem Recht am 30.09.1952 endende Anmeldefrist wahren, auf deren bevorstehenden Ablauf in jener Zeit die Öffentlichkeit hingewiesen wurde. Außerdem läßt es jedoch erkennen, daß der Klägerin nach ihrer Meinung „Rechte an Versorgungsbezügen“ zustehen, daß sie „Ansprüche anmelden“, d.h. sie geltend machen wollte. Abgesehen davon, daß schon der Hinweis auf „weitere“ Anträge den Schluß hat nahelegen können, daß bereits das Schreiben vom 30.09.1952 als ein - durch nähere Angaben noch zu ergänzender - Antrag gemeint sei, hätte die Versorgungsbehörde, wenn sie insoweit Zweifel gehabt hätte, jedenfalls klären müssen, was die Klägerin mit diesem Schreiben bezweckte und warum ihr nach ihrer Meinung Rechte auf Versorgungsbezüge zustehen. Es wäre zwar verständlich gewesen, wenn das Versorgungsamt bei der allgemein bekannten damaligen Überlastung der Versorgungsbehörden den bei seinem Eingang verspäteten Antrag zunächst zurückgestellt hätte. Das VersorgA wäre aber bei ordnungsgemäßer Bearbeitung mindestens nach dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 07.08.1953 verpflichtet gewesen, nunmehr in angemessener Zeit „tätig zu werden“, die Klägerin zur Ergänzung ihres Schreibens aufzufordern, ihr notfalls eine Frist für weitere Angaben zu setzen, nach dem erfolglosen Ablauf der Frist über den Antrag zu entscheiden oder zu klären, ob der Antrag nicht aufrechterhalten wird; jedenfalls hat allein das weitere Schweigen der Klägerin nicht zu dem Schluß berechtigt, sie habe mit ihrem Schreiben vom 30.09.1952 keinen .Antrag“ stellen wollen. Die Versorgungsbehörden haben damals und noch während des gerichtlichen Verfahrens in den Tatsacheninstanzen diesen Schluß auch nicht gezogen. Das Schreiben der Klägerin ist vielmehr, wie das LSG festgestellt hat, überhaupt nicht bearbeitet worden; nach den dem LSG vorliegenden Versorgungsakten ist es erst 1966 aufgefunden worden. Wenn die Klägerin über 14 Jahre lang ihr Begehren nicht weiterverfolgt hat, so ist dies schwer verständlich, läßt aber am ehesten auf die Geschäftsunge-wandtheit der Klägerin schließen. Diesem Versagen hätte die Versorgungsverwaltung aufgrund der ihr gegenüber der Klägerin obliegenden Betreuungs- und Fürsorgepflicht Rechnung tragen müssen. Die Ausführungen des Beklagten im Revisionsverfahren rechtfertigen keine andere Beurteilung, weil sie dem früheren Verhalten der Versorgungsbehörden widersprechen. Das VersorgA hat in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich über den „Antrag vom 30. September 1952“ entschieden, und der Beklagte hat auch während des gerichtlichen Verfahrens in den Tatsacheninstanzen dem Schweigen der Klägerin keine Bedeutung beigemessen. Er hat zudem in den Tatsacheninstanzen nicht die Einrede der Verjährung erhoben. Wenn er diese Einrede im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, so hat er dies nicht mehr wirksam tun können. Die Klägerin hat ihre Ansprüche schließlich nicht, wie das LSG angenommen hat, verwirkt. (Wird ausgeführt.)

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