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11 RA 178/71

Aus den Gründen

Die Klägerin ist die Witwe des 1889 in Rußland geborenen und 1959 in M. verstorbenen Dipl.-Ing. Ph. Dieser war bis 1941 an Technischen Hochshulen in Rußland tätig und bezog 1941/42 eine sog. Akademikerpension. 1943 übersiedelten die Eheleute, damals noch sowjetische Staatsangehörige, nach Deutschland und wurden hier im Januar 1957 eingebürgert. Beiträge zur deutschen RentV sind für Ph. nicht entrichtet worden.

Den im Januar 1963 gestellten Antrag auf Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mangels Erfüllung der Wartezeit ab. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg, obgleich sich die Beklagte nun bereit fand, „von einer Beitragsleistung zum (sowjetrussischen) allgemeinen Sicherungssystem von 1922 an auszugehen“. Das LSG verneinte die Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 1 (b und d) FRG. Zur Anwendung von b fehle jedenfalls die Voraussetzung, daß der zuständige Versicherungsträger der UdSSR infolge von Kriegsauswirkungen nicht mehr in Anspruch genommen werden könne. Ebensowenig sei Buchst. d anwendbar, denn die Klägerin und ihr Ehemann hätten nicht der Obhut der von den Vereinten Nationen mit der Betreuung verschleppter Personen und Flüchtlinge beauftragten Organisation - International Refugee Organisation (IRO) - unterstanden; sie seien daher keine heimatlosen Ausländer i.S. des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet (HAusIG) vom 25.04.1951 (BGBl. I 269). Ph. zähle auch nicht auf Grund des Rundschreibens des BMI vom 27.03.1953, Abschn. 1 Nr. 5 (GMBl. 313) zu diesen Personen. In den Genuß der Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers, solle hiernach zwar noch gelangen, wer unter der Obhut der IRO gestanden hätte, wenn diese anstelle ihrer Satzung den Flüchtlingsbegriff des Abk. über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 (BGBl. 1953 I 5 und II 559 ff.) zugrunde gelegt hätte - unter diesen Flüchtlingsbegriff falle Ph., weil er nicht ohne Furcht vor Verfolgung in die UdSSR habe zurückkehren können -; diese Personen seien deshalb aber keine heimatlosen Ausländer i.S. des § 1 HAusIG und besonders des § 1 Buchst. d FRG.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 1 HAusIG und hält unter Hinweis auf Urteile des VG Berlin vom 31.05.1963 (JR 1964, 156) und des BVerwG vom 30.06.1964 (Buchholz 402, 22 Art. 1 Nr. 13 Genfer Konvention) die Erweiterung des Personenkreises des HAusIG durch das Rundschreiben des BMI für rechtswirksam. Das Polizeipräsidium Mannheim habe - als Ausländerbehörde - deshalb zu Recht die Klägerin und ihren Ehemann als heimatlose Ausländer anerkannt. Diesen Status habe das LSG nicht partiell aberkennen dürfen.

Die Revision ist unbegründet.

Die Erfüllung der Wartezeit für die Hinterbliebenenrente mit russischen Beitragszeiten setzt die Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 1 FRG voraus (§§ 15, 17, Abs. 2 Satz 2 FRG). Dabei scheidet die Anwendung von § 1 Buchst. a oder c von vornherein aus. Die Revision begehrt ferner nicht mehr die Anwendung von § 1 Buchst. b. Der Senat hat gleichfalls keine Bedenken gegen die Nichtanwendung der Vorschrift (i.d.F. vor und nach dem 1. RVÄndG). Gestützt auf gerichtliche Ermittlungen und auf Urteile des BSG (BSG 21, 151 und 5/4/12 RJ 384167 vom 28.07.1970) hat das LSG zutreffend ausgeführt, daß nicht „Kriegsauswirkungen“ die Klägerin daran hindern, den russischen Versicherungsträger in Anspruch zu nehmen. Auch das Verlassen Sowjetrußlands aus Anlaß des letzten Weltkrieges ist keine solche Kriegsauswirkung. Nach Sinn und Entstehungsgeschichte der Vorschrift sind damit nur Maßnahmen auswärtiger Staaten gemeint, die im Zusammenhang mit Kriegen zum Versagen, Einstellen oder Einschränken der Leistungsgewährung an Deutsche in der Bundesrepublik führen (geführt haben). Maßnahmen der UdSSR dieser Art, die die Klägerin betroffen hätten, hat das LSG nicht festgestellt.

Zu Recht hat das LSG aber auch die - allein noch streitige - Zugehörigkeit der Klägerin und ihres Ehemannes zum Personenkreis des § 1 Buchst. d FRG verneint. ...

Diese Bestimmung betrifft „heimatlose Ausländer i.S. des HAusIG, auch wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben oder erwerben“. Weder das FRG noch dieses Gesetz bieten einen Anhalt dafür, daß die Anerkennung als heimatloser Ausländer (Feststellung dieser Eigenschaft) durch die Ausländerbehörde die Versicherungsträger und die Sozialgerichte in Verfahren der vorliegenden Art binden würde (vgl. Weißmann, Ausländergesetz, S. 46 Anm. 2). Unabhängig von einer etwaigen Anerkennung, die die Beklagte bezweifelt, muß der Senat daher diese Frage prüfen.

Nach § 1 HAusIG ist heimatloser Ausländer ein fremder Staatsangehöriger oder Staatenloser, der a) nachweist, daß er der Obhut der internationalen Organisation untersteht, die von den Vereinten Nationen mit der Bestreuung verschleppter Personen und Flüchtlinge beauftragt ist, und b) nicht Deutscher nach Art. 116 GG ist und c) am 30.06.1950 seinen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatte. Soweit danach die Eigenschaft eines Nicht-Deutschen verlangt wird, gilt diese Voraussetzung für die Klägerin und ihren Ehemann nur für die Zeit vor dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit und ist insoweit erfüllt. Ebenso haben beide ihren Aufenthalt bis zum Stichtag in der Bundesrepublik genommen. Nicht erfüllt ist dagegen, was die Klägerin nicht bestreitet, die Voraussetzung zu a). Der Nachweis, daß sie oder ihr Ehemann der Obhut der IRO unterstanden, ist nicht geführt. Nach den Äußerungen der Klägerin ist sogar anzunehmen, daß sie wegen Zusammenarbeit des Ehemannes mit der deutschen Besatzungsmacht von der Betreuung durch die IRO ausgeschlossen war (vgl. Satzung der IRO vom 31.12.1946, Art. 1 und 2 und Anh. I, abgedruckt bei Weißmann, Ausländergesetz S. 252 ff.).

Der Gesetzgeber hat allerdings in § 1 Abs. 2 HAusIG die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates RechtsVOen zu erlassen, durch die andere ausländische Flüchtlinge zur Vermeidung unbilliger Härten dem in Abs. 1 genannten Personenkreis gleichgestellt werden. Der Grund dafür war, daß das HAusIG zwar weitgehend Grundsätze der Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 vorwegnahm, sie sogar weiter entwickelte, daß der vom HAusIG erfaßte Personenkreis aber bewußt auf die von der IRO bis zum 30.06.1950 betreuten verschleppten Personen und Flüchtlinge beschränkt war (Begr. des Gesetzentwurfes, BT-Drucks. 1/1372 S. 8 f.; BSG 9, 132, 134 f.). Diese Einschränkung wurde nicht nur wegen des Stichtages, sondern auch deshalb als unbillig empfunden, weil inzwischen die IRO bestimmte - durch die politische Lage bei Kriegsende bedingte - Ausschließungsgründe in Zukunft nicht mehr anwenden wollte; bei Zustimmung der Vollversammlung der Vereinten Nationen sollte daher die Anerkennung als heimatlose Ausländer für diese Fälle ermöglicht werden (BT-Drucks. S. 12). Eine RechtsVO aufgrund des § 1 Abs. 2 HAusIG hat die Bundesregierung jedoch bis heute nicht erlassen.

Die Klägerin kann sich für den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf das Rundschreiben des BMI berufen; das hat das LSG zutreffend dargelegt. Das VG Berlin hat zwar in seinem Urteil vom 31.05.1963 das Rundschreiben des BMI (Abschn. 1 Nr. 5) mit § 1 Abs. 2 HAusIG für vereinbar erklärt und keine Bedenken gegen dessen Gültigkeit gehabt. Es gebe keinen Rechtsgrundsatz, der es der Verwaltung verbiete, Vergünstigungen, die einer Rechtsverordnung vorbehalten sind, schon vor deren Erlaß durch Verwaltungsverordnung zu gewähren; dem stehe auch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht entgegen; der soziale Rechtsstaat lasse eine VerwaltungsVO als Ermächtigungsgrundlage genügen, wenn die beabsichtigte Begünstigung in der Zielsetzung der verfolgten öffentlichen Aufgabe ihren Zweck habe und eine parlamentarische Willensäußerung als hinreichende Legitimation zugrunde liege; diesen Anforderungen sei entsprochen. Ebenso hat das BVerwG im Urteil vom 30.06.1964, wenngleich ohne Begründung, die Berufung eines Klägers auf das Rundschreiben des BMI zugelassen. Dennoch lassen sich Bedenken gegen diese Rechtsauffassung nicht unterdrücken. Der Gesetzgeber hat in § 1 Abs. 2 HAusIG die - erwünschte - Ausdehnung des Personenkreises ausdrücklich einer mit Zustimmung des Bundesrates von der Bundesregierung zu erlassenden Rechtsverordnung vorbehalten. Dementsprechend hat auch der BMI in Abschn. 1 Nr. 4 des Rundschreibens ausgeführt, daß andere verschleppte Personen oder Flüchtlinge als die in die deutsche Verwaltung übernommenen „die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers rechtswirksam nur durch Erlaß der für diesen Zweck vorgesehenen Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes erlangen“. Der Wortlaut des Abschn. 1 Nr. 5 beschränkt sich zudem darauf, „vor Erlaß einer RechtsVO keine Einwendungen zu erheben“, so daß fraglich ist, inwieweit der BMI hier überhaupt eine verbindliche Regelung beabsichtigte. Selbst wenn dies seiner Absicht entsprach, konnte damit nicht mehr als ein „Vorgriff“ (so auch das BVerwG) auf eine spätere RechtsVO gewollt sein. Nachdem die RechtsVO aber bis heute ausgeblieben ist, kann das Rundschreiben selbst als bloße Vorgriffsregelung nicht mehr angewendet werden. Es bliebe somit allenfalls das Vorliegen einer jahrelangen Verwaltungsübung festzustellen, die möglicherweise schon zu einem Gewohnheitsrecht erstarkt sein könnte.

Der Senat braucht dieser Frage jedoch nicht weiter nachzugehen. Denn wenn überhaupt von dem Rundschreiben des BMI unmittelbar oder mittelbar Rechtswirkungen ausgehen sollten, dann können sie sich jedenfalls nicht in den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung erstreckt haben. Die Rechtspr. des BSG hat zwar schon gelegentlich - bei Zahlung von Taschengeld während stationärer Heilbehandlung (BSG 20, 226, 229) und bei Gewährung von Leistungen bei bloßem Krankheitsverdacht (BSG 17, 295, 297; 28, 137, 140) - die Frage erörtert, ob die Rentenversicherungsträger ausnahmsweise auch ohne gesetzliche Grundlage Leistungen gewähren dürfen. Einigkeit bestand jedoch bisher darin, daß jedenfalls die Gewährung von Renten - wie sie hier begehrt wird - ohne gesetzliche Grundlage nicht statthaft ist (vgl. BSG 30, 154 zur Gewährung von Renten bei Berufsunfähigkeit). Diese Auffassung hält der erkennende Senat für zutreffend, weil die Rentengewährung in der gesetzlichen RentV gesetzlich abgeschlossen geregelt ist; auf diesem Gebiet der gewährenden Verwaltung gilt somit der Grundsatz ihrer Gesetzmäßigkeit. Personen, denen nicht ein Gesetz oder auf gesetzlicher Grundlage eine Rechtsverordnung die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers verleihen, dürfen daher nicht zum Personenkreis des § 1 Buchst. d FRG gerechnet werden, selbst wenn sie auf anderen Rechtsgebieten (z.B. im Paßrecht und Polizeirecht) die gleichen Vergünstigungen wie heimatlose Ausländer erhalten. Im übrigen ergibt auch das Rundschreiben des BMI nicht, daß damit Rechtswirkungen in den Bereich der gesetzlichen RentV hinein beabsichtigt waren. Ebensowenig liegt insoweit eine Verwaltungsübung oder gar ein Gewohnheitsrecht und nicht einmal eine dahingehende parlamentarische Willensäußerung vor (z.B. die etatmäßige Bereitstellung von Mitteln). Das LSG weist im Gegenteil zutreffend darauf hin, daß die Entstehungsgeschichte des § 1 Buchst. d FRG deutlich gegen eine Ausdehnung des Personenkreises i.S. des BMI-Rundschreibens spricht. In dem Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (BT-Drucks. III/zu Drucks. 1532 zu Art. 1, zu § 1) heißt es nämlich, der Ausschuß habe ferner einen Antrag, das FRG „auf alle heimatlosen und nicht deutschen Flüchtlingen i.S. des Londoner Abk. vom 15.10.1946 und der Konvention vom 28.07.1951 auszudehnen“, abgelehnt; es handelte sich nicht um ein Problem, das durch ein einzelnes Land befriedigend gelöst werden könne; eine den Interessen aller Beteiligten gerecht werdende Lösung könne nur durch eine übereinstimmende Regelung oder durch Abschluß eines mehrseitigen Abkommen» gefunden werden. Diese Ablehnung war nicht auf erst nach dem Stichtag (30.06.1950) in die Bundesrepublik gekommene Flüchtlinge beschränkt. Der Senat sieht keinen Anlaß, den Inhalt des Antrages durch Rückfragen beim Flüchtlingskommissar festzustellen; denn auch in dem Protokoll Nr. 46 S. 20 des Ausschusses für Sozialpolitik ist ein gleiches Begehren als Antrag des Zentralverbandes ausländischer Flüchtlinge und des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge festgehalten worden.

Da somit auch § 1d FRG nicht anwendbar ist, muß die Revision zurückgewiesen werden.

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