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11 RA 50/71

Gründe I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin bei der Herstellung von Versicherungsunterlagen für ihre frühere Tätigkeit als technische Rechnerin und Auswerterin in die Leistungsgruppe B 3 der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) vom 25°Februar 1960 einzustufen ist. Diese Leistungsgruppe umfaßt nach Satz 1 ihrer Definition (Satz 2 kommt hier nicht in Betracht) Angestellte mit mehrjähriger Berufserfahrung oder besonderen Fachkenntnissen und Fähigkeiten oder mit Spezialtätigkeiten, die nach allgemeiner Anweisung selbständig arbeiten, jedoch keine Verantwortung für die Tätigkeit anderer tragen.

Die im Juli 1933 geborene Klägerin arbeitete nach der Reifeprüfung von September 1952 bis Juli 1956 beim GD, später VEB-G der Staatlichen Geologischen Kommission der DDR. In dem Versicherungsausweis wird sie anfangs als technische Rechnerin, seit Januar 1953 als Auswerterin bezeichnet. Sie besuchte zunächst einen mehrwöchigen Lehrgang, der sie in ihre Tätigkeit - das Erstellen von Zeichnungen, Tabellen, Kurven -einwies und sie mit den Rechenoperationen und den geologischen Grundlagen vertraut machte. Danach war sie bei gravimetrischen, teilweise auch bei seismischen Meßtrupps tätig. Bei der gravimetrischen Arbeit stellte sie die vom Gravimeter gelieferten Meßwerte graphisch dar und trug sie in Meßtischblätter und Auswertungsbögen ein; hierbei bereinigte sie u.a. die Ausgangswerte von Zufallseinflüssen Bei seismischen Tätigkeiten wertete sie die Meßergebnisse aus und erstellte Laufzeitkurven, die Grundlage für die wissenschaftlichen Untersuchungen des Geophysikers waren. Diese Arbeiten verrichtete sie im wesentlichen ohne Einzelweisung und ohne Überwachung. Im Juli 1956 kam die Klägerin in die Bundesrepublik. Auf ihren Antrag erkannte die Beklagte die Zeit vom September 1952 bis zum 15. Juli 1956 als nachgewiesene bzw. glaubhaft gemachte Beitragszeit an und stufte die Klägerin in die Leistungsgruppe B 4 der Anlage 1 zu § 22 FRG ein. Die Höherstufung in die Leistungsgruppe B 3 lehnte sie ab (Bescheid vom 27. Dezember 1967 und Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1968).

Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Mai 1969). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 15. Dezember 1970) und ausgeführt: Ob die Klägerin eine selbständige Tätigkeit verrichtet habe, sei zweifelhaft, könne jedoch unentschieden bleiben. Jedenfalls fehlten die drei übrigen - alternativen - Erfordernisse für die Einstufung in B 3. Die Klägerin habe weder mehrjährige Berufserfahrung noch besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten besessen; diese müßten nämlich die durch eine abgeschlossene Berufs- oder Fachschulausbildung vermittelten Fachkenntnisse übersteigen. Sie habe auch keine Spezialtätigkeit verrichtet. Dieser Begriff sei schwer zu erläutern, weil der gegenüberstehende Allgemeinbegriff nirgends bestimmt sei. Im Hinblick auf das Alternativverhältnis zu der mehrjährigen Berufserfahrung und den besonderen Fachkenntnissen und Fähigkeiten müsse es sich aber um eine - nach allgemeiner Anweisung selbständig zu verrichtende - Tätigkeit handeln, die aus anderen Gründen Tätigkeiten der Leistungsgruppe B 4 überrage; solche Gründe (z.B. besondere Belastungen, besondere Verantwortung usw.) lägen hier nicht vor. Für die Einordnung in B 4 sprächen auch die Berufskataloge. Das erzielte Entgelt zwinge zu keiner anderen Beurteilung, da es das der Leistungsgruppe B 4 nicht wesentlich überstiegen habe. Das LSG hat die Revision zugelassen, weil die Auslegung des Begriffs „Spezialtätigkeit“ eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betreffe.

Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin,

  • die Urteile der Vorinstanzen sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, die Versicherungsunterlagen für die streitige Zeit unter Zuordnung der Klägerin zur Leistungsgruppe B 3 herzustellen.

Die Klägerin rügt Verletzung von § 22 FRG i.V.m. der Anlage 1. Das Berufungsurteil enthalte Widersprüche. Das LSG scheine ihre Tätigkeit für „nicht einfach“ zu halten, habe aber dennoch das Merkmal der Selbständigkeit nicht abschließend geprüft. Es habe auch nicht begründet, warum ihr „besondere“ Fachkenntnisse gefehlt hätten. Jedenfalls sei das Merkmal der „Spezialtätigkeit“ erfüllt. Dieser Begriff sei ein Auffangbegriff für alle Berufe, die sich von der Leistungsgruppe B 4 wesentlich abheben, aber weder Berufserfahrung noch Fachkenntnisse forderten. Hierfür genüge die vom LSG festgestellte eigenverantwortliche Ausübung der Beschäftigung, aber auch der für die DDR verhältnismäßig hohe Lohn deute darauf hin.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Gründe II.

Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat eine Höherstufung zu Recht abgelehnt.

Die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Leistungsgruppe B 3 der Anlage 1 zu § 22 FRG sind nicht erfüllt. Dabei kann mit dem LSG dahingestellt bleiben, ob die Klägerin nach allgemeiner Anweisung „selbständig“ gearbeitet hat; es fehlen jedenfalls die zusätzlich erforderlichen Merkmale der Leistungsgruppen-Definition. Insoweit bedarf es keiner näheren Darlegung, daß die Klägerin während ihrer Tätigkeit noch keine „mehrjährige Berufserfahrung“ gehabt hat; sie hat das auch nicht mehr geltend gemacht. Die Klägerin hat aber auch weder „besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten“ besessen noch eine „Spezialtätigkeit“ verrichtet.

Die Auslegung des Merkmals „besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten“ durch das LSG ist nicht zu beanstanden. Das LSG hat zu Recht verlangt, daß diese die Fachkenntnisse übersteigen, die schon für die Einstufung in B 4 erforderlich sind und üblicherweise durch Berufsausbildung oder Fachschulbesuch erworben, aber auch durch mehrjährige Berufstätigkeit oder privates Studium erlangt werden können (vgl. die Definition von B 4). Diese Auslegungsmethode hat der Senat schon im Urteil vom 22. November 1968, SozR Nr. 4 zu § 22 FRG, beim Merkmal „besondere Erfahrungen“ der Leistungsgruppe B 2 angewandt. Danach lassen sich Anhaltspunkte für die Auslegung solcher Begriffe aus dem Gesamtinhalt der Anlage 1 gewinnen, weil die Leistungsgruppen in einem Stufenverhältnis zueinander stehen und die Beschäftigungsmerkmale und -anforderungen sich von der Leistungsgruppe 5 zur Leistungsgruppe 1 steigern. Es ist der Klägerin einzuräumen, daß eine derartige Auslegungsmethode natürlich keine eindeutigen Abgrenzungsmerkmale liefert; die Klägerin stellt jedoch zu hohe Anforderungen, wenn sie verlangt, das LSG hätte darlegen müssen, was überhaupt Fachkenntnisse und demzufolge besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten sind und warum solche bei ihr gefehlt hätten. Der Senat hat zum Merkmal der besonderen Erfahrungen bereits darauf hingewiesen, daß sich solche Begriffe nur durch Vergleich mit anderen Merkmalen erhellen, darüber hinaus aber nicht mehr allgemein abgrenzen lassen; es komme somit letztlich auf die Verhältnisse des Berufes an, für dessen Ausübung die Erfahrungen bedeutsam sind. Das muß auch für das hier streitige Merkmal der besonderen Fachkenntnisse und Fälligkeiten gelten. Das LSG hat deshalb zu Recht geprüft, ob der Ausbildungsgang der Klägerin ihr Fachkenntnisse und Fähigkeiten für den späteren Beruf vermittelt hat, die über die durch Berufsausbildung oder Fachschulbesuch üblicherweise erworbenen Kenntnisse hinausgehen. Das hat das LSG zutreffend insbesondere deshalb verneint, weil die Schulausbildung zu allgemein und die spezielle Ausbildung zu kurz gewesen ist. Soweit dem tatsächliche Feststellungen zugrundeliegen, sind keine Verfahrensrügen in der nach § 164 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebotenen Form hiergegen erhoben worden. Entgegen der Revisionsbegründung hat das LSG auch nicht die mögliche Erwerbsquelle der Fachkenntnisse und Fähigkeiten auf eine Lehre oder eine Fachschule beschränkt; es ist jedoch nicht ersichtlich, daß die Klägerin besondere Kenntnisse und Fähigkeiten noch auf anderen Wegen erlangt haben könnte, als sie das LSG in Betracht gezogen hat. Im übrigen müßte aufgrund der Mitwirkungspflicht der Beteiligten von der Klägerin auch erwartet werden, daß sie genauer die Kenntnisse und Fähigkeiten beschrieben hätte, die die Ausführung der Tätigkeit allgemein erforderte und die sie darüber hinaus besessen haben will.

Bei der Auslegung des Begriffs „Spezialtätigkeit“ kann der Senat dem LSG nur im Ergebnis folgen. Das LSG meint, Spezialtätigkeit sei jede eigenverantwortlich ausgeübte Tätigkeit, die sich durch andere Gründe als durch mehrjährige Berufserfahrung und besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten von den Tätigkeiten der Leistungsgruppe B 4-abhebe. Die Klägerin folgert daraus, der Begriff der Spezialtätigkeit sei überhaupt ein „Auffangbegriff“„ Diese Auffassungen können schon deshalb nicht richtig sein, weil bereits das Wort Spezialtätigkeit ausschließt, diesen Begriff als Sammelbegriff zu verstehen. Eine solche Auslegung würde zudem die alternativen Erfordernisse der mehrjährigen Berufserfahrung, der besonderen Fachkenntnisse und Fähigkeiten und der Spezialtätigkeit überflüssig machen. Der Begriff „Spezialtätigkeit“ - vgl. auch die Begriffe: „Spezialfacharbeiter“, „spezielle, meist branchengebundene Tätigkeit“ und „Spezialarbeiter“ in den Leistungsgruppen 1 und 2 für Arbeiter außerhalb der Land- und Forstwirtschaft - ist vielmehr zunächst aus sich heraus auszulegen. Deshalb ist die Auslegung, die die Beklagte diesem Begriff in ihrer Revisionserwiderung gegeben hat, am ehesten zutreffend; sie versteht darunter eine Tätigkeit, die aus einem der üblichen Berufsbilder herausfällt und von der Verkehrsanschauung als Spezialtätigkeit anerkannt wird. Auch nach der Auffassung des Senats ist eine Spezialtätigkeit eine selten anzutreffende Tätigkeit ohne traditionelles Berufsbild. Allerdings ist dann noch die systematische Stellung des Begriffs, d.h. die Einordnung bei der Leistungsgruppe B 3, ergänzend i.S. einer Korrekturfunktion zu berücksichtigen. Eine Spezialtätigkeit i.S. der Leistungsgruppe B 3 liegt deshalb vor, wenn diese Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt auch durchschnittlich wie die übrigen Tätigkeiten der Leistungsgruppe B 3 bewertet wird, also wie Tätigkeiten von Angestellten mit mehrjähriger Berufserfahrung oder besonderen Fachkenntnissen und Fähigkeiten, die nach allgemeiner Anweisung selbständig arbeiten. Bei diesem Vergleich können verschiedene mit der Spezialtätigkeit verbundene Merkmale, etwa die dafür erforderliche Begabung, die Art der Arbeit und anderes mehr von Bedeutung sein. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß mehrjährige Berufserfahrung bzw. besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten mit einer Spezialtätigkeit zusammentreffen; diese Alternativerfordernisse schließen sich nicht gegenseitig aus. Bei dieser Auslegung des Begriffs ist die Tätigkeit der Klägerin aber schon deshalb keine Spezialtätigkeit gewesen, weil sie nicht aus einem üblichen Berufsbild herausfiel und auch nicht im Arbeitsleben als Spezialtätigkeit anerkannt ist. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, daß die Tätigkeit der Klägerin nur einen Ausschnitt aus dem Tätigkeitsfeld des Ingenieurberufes gebildet hat.

Zur Höherstufung nach B 3 zwingen auch keine sonstigen Gründe. Der im Herkunftsland erzielte Arbeitsverdienst ist, wie der Senat mehrfach entschieden hat, für die Einstufung grundsätzlich ohne Bedeutung (BSG 22, 284, 286; SozR Nr. 6 zu § 22 FRG); er kann allenfalls ein Indiz für bestimmte Tätigkeitsmerkmale der Leistungsgruppen-Definition sein; welches konkrete Merkmal sich aus der Höhe des Verdienstes ergeben soll, ist hier aber nicht dargetan. Im weiteren ist nicht ersichtlich, daß die Klägerin einen Beruf ausgeübt hat, der in dem Berufskatalog der Leistungsgruppe B 3 angeführt ist; daß sie sich den dort ohne Altersbegrenzung eingeordneten Berufen des Lagerverwalters und der medizinisch-technischen Assistentin durchaus gleichwertig fühlt, ist für die Einstufung unerheblich.

Die Revision der Klägerin muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

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