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12 RJ 50/70

Gründe

In diesem Verfahren war die Auszahlung des seit dem 1.4.1959 anerkannten Altersruhegeldes streitig, wobei insbesondere die Anwendung der § 1321 Abs. 2 RVO i.V.m. dem § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG - nämlich die ausdrückliche Anerkennung als vertriebene Verfolgte - streitig war.

Nach den tatsächlichen Feststellungen wurde der jetzt in den USA lebende Kläger in Budapest geboren. Er ist Jude und hat die deutsche Volkszugehörigkeit. Bis 1932 hatte er die ungarische und dann die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit. Bis zum Erwerb der US-Staatsangehörigkeit am 5.11.1964 war er staatenlos. Im Jahre 1957 wurde er als Vertriebener gem. § 1 BVFG anerkannt und bezieht als anerkannter NS-Verfolgter eine monatliche Rente nach dem BEG.

Der erkennende Senat hat mit dem vorliegenden Urteil die Zahlungsansprüche des Klägers als begründet angesehen. Er hat für die rechtliche Prüfung die Zeit vom 1.4.1959 bis zum 4.11.1964 von der dann ab 5.11.1964 folgenden Zeit (Erlangung der US-Staatsangehörigkeit) abgegrenzt und im wesentlichen dann ausgeführt, daß der Kläger bis zum 4.11.1964 als Staatenloser weder Deutscher (Art. 116 Abs. 1 GG) noch früherer deutscher Staatsangehöriger (Art. 116 Abs. 2 GG) gewesen sei. Sein gewöhnlicher Aufenthalt in den USA sei freiwillig gewesen, so daß das Altersruhegeld gem. § 1315 Abs. 1 Nr. 1 RVO ruhen müsse, es sei denn, daß es nach § 1321 Abs. 2 RVO gezahlt werden könne.

Mit dem Erwerb der US-Staatsangehörigkeit des Klägers sei für die Zeit vom 5.11.1964 an Art. IV Nr. 2 Buchst. b des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der BRD und den USA vom 29.10.1954 (BGBI. II 1956 S. 487) maßgebend, wonach den Staatsangehörigen eines Vertragsteiles Inländerbehandlung hinsichtlich der Anwendung der im Gebiet des anderen Vertragsteiles geltenden Gesetze und sonstigen Vorschriften über Soziale Sicherheit gewährt werde. Nach Art. XXV Abs. 1 des genannten Vertrages sei unter Inländerbehandlung zu verstehen „die innerhalb des Gebietes eines Vertragsteiles gewährte Behandlung, die nicht weniger günstig ist als diejenige, die dort unter gleichartigen Voraussetzungen des Staatsangehörigen ... dieses Vertragsteils gewährt wird.“ Der Kläger sei demnach in bezug auf die Auszahlung den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt. Daher seien insoweit die Vorschriften der §§ 1317 ff. RVO anzuwenden. Nach § 1317 RVO ruhe auch die Rente eines Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, solange er sich außerhalb des Geltungsbereiches der RVO aufhalte, soweit sich aus den nachfolgenden Vorschriften nichts anderes ergebe. Die Vorschriften der §§ 1318, 1319 Abs. 2 bis 4 RVO schieden als Anspruchsgrundlage für das Zahlungsbegehren des Klägers aus, weil er alle Versicherungszeiten außerhalb des Geltungsbereichs der RVO zurückgelegt habe und deshalb die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschriften fehlten. Der Kläger könne die Zahlung auch nicht nach dem Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag in Verbindung mit § 1321 RVO verlangen. Dem stehe nämlich entgegen, daß sich die Inländerbehandlung der Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika nur auf Leistungen der sozialen Sicherheit erstrecke, die Leistungen nach Absätzen 1 bis 3 des § 1321 RVO aber nicht als Leistungen der sozialen Sicherheit gälten (§ 1321 Abs. 4 RVO). Da eine Auszahlung schon aus diesem Grunde nicht in Betracht komme, könne offenbleiben, ob es hierfür noch einen weiteren Grund gebe, etwa denjenigen, auf den sich die Beklagte zusätzlich beruft, daß der Kläger nur dann dem Fremdrentengesetz (FRG) vom 25.2.1960 gleichgestellte Versicherungszeiten zurückgelegt habe, aus denen eine Rente nicht in das Ausland gezahlt werden könne (§ 1321 Abs. 1 Satz 2 RVO). Da § 1321 Abs. 1 RVO auch nicht unmittelbar anzuwenden sei, weil der Kläger kein Deutscher sei und die Voraussetzungen nach Abs. 5 dieser Vorschrift fehlen, bleibe für das Auszahlungsbegehren hier nur § 1321 Abs. 2 RVO übrig.

Für beide Zeiten sei also auf § 1321 Abs. 2 RVO zurückzugreifen. Die Beklagte widersetze sich dem auf diese Vorschrift gestützten Auszahlungsverlangen des Klägers hauptsächlich deshalb, weil sie den Kläger trotz der ihm vom Regierungspräsidenten in Köln zuerkannten Vertriebeneneigenschaft nicht als einen „Vertriebenen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 des BVFG aus den in den Jahren 1938 und 1939 in das Deutsche Reich eingegliederten Gebieten, die als solche im Geltungsbereich dieses Gesetzes anerkannt sind“, ansieht. Sie meint, es sei nicht Aufgabe eines Rentenversicherungsträgers oder Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit zu prüfen und festzustellen, ob ein Rentenberechtigter die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG erfülle. Dazu sei nur die nach § 16 BVFG für die Ausstellung von Ausweisen zuständige Stelle, nicht zuletzt wegen ihrer besseren Sachkenntnis berufen; diese müsse selbst die besonderen Erfordernisse der Nr. 1 des § 1 Abs. 2 BVFG prüfen und anerkennen, damit der Rentenversicherungsträger alsdann ohne eigene Prüfung von dieser Anerkennung ausgehen könne.

Dieser Ansicht der Beklagten folgte der erkennende Senat jedoch nicht. Er führte aus, daß schon der Wortlaut des § 1321 Abs. 2 RVO Zweifel aufkommen lassen könne, zu welchen Satzteilen der Relativsatz „… die als solche im Geltungsbereich dieses Gesetzes anerkannt sind“, gehöre. Der Relativsatz könnte sich einmal auf die „Vertriebenen“ beziehen, zum anderen könnte er den Satzteil „aus den in den Jahren 1938 und 1939 in das Deutsche Reich eingegliederten Gebieten“ erläutern. Abgesehen davon, daß die zweite Zuordnungsmöglichkeit kaum einen Sinn abzugeben vermag, gebe die weitgehende Anlehnung der Vorschrift des § 1321 Abs. 2 RVO an die Vorgängervorschrift des § 9 Abs. 5 FAG v. 7.8.1953 den sicheren Aufschluß dafür, daß der Relativsatz den Satzteil „Vertriebenen-...“ ergänzen solle. Es sei nicht zu verlangen, daß der Kläger ausdrücklich in einem entsprechenden Verfahren als Vertriebener i.S. des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG anerkannt sein müsse. Dem Wortlaut des § 1321 Abs. 2 RVO sei zu entnehmen, daß das Gesetz nicht für alle Vertriebenen i.S. des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG zur Anwendung komme, sondern nur für solche „aus den in den Jahren 1938 und 1939 in das Deutsche Reich eingegliederten Gebieten.“

Der Senat führte dann aus, daß die Vertriebeneneigenschaft durch einen Ausweis nachgewiesen werde (§ 15 Abs. 1 BVFG). Das Gesetz kenne nur 3 Ausweisarten: Den Ausweis A für Heimatvertriebene, den Ausweis B für Vertriebene, die nicht heimatvertrieben seien, den Ausweis C für Sowjetzonenflüchtlinge (§§ 3 und 4 BVFG), die nicht gleichzeitig vertrieben seien (§ 15 Abs. 2 BVFG).

Eine nähere Kennzeichnung des Ausweises, etwa eine solche nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG, sei nicht vorgeschrieben. Die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises sei für alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Vertriebener nach dem BVFG oder einem anderen Gesetz zuständig seien (§ 15 Abs. 5 Satz 1 BVFG). Halte eine Behörde oder Stelle die Entscheidung der zuständigen Behörde über die Ausstellung des Ausweises nicht für gerechtfertigt, so könne sie nur ihre Änderung oder Aufhebung durch die Ausstellungsbehörde beantragen (Satz 2 a.a.O.). Wenn die Beklagte die Ausstellung eines Ausweises nicht beanstandet habe und auch ersichtlich nicht beanstanden wolle, sei auch ihr gegenüber die Entscheidung des Regierungspräsidenten über die Ausweisausstellung verbindlich (§ 15 Abs. 5 Satz 1 BVFG); der Ausweisinhaber und Vertriebene erfülle alsdann die Voraussetzungen des § 1321 Abs. 2 RVO, „als solcher“ „im Geltungsbereich dieses Gesetzes anerkannt“ zu sein. Bei der Prüfung der persönlichen Auszahlungsvoraussetzungen des § 1321 Abs. 2 RVO habe der Rentenversicherungsträger zunächst zu prüfen, ob die dafür zuständige Behörde den Anspruchsteller überhaupt als Vertriebenen anerkannt habe. Sei dies der Fall, habe er diese Anerkennung als Vertriebener für seine Feststellung zu übernehmen, ohne daß der Rentenversicherungsträger eine weitere Anerkennung durch die zuständige Stelle dahingehend, daß der Vertriebene ein solcher nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG ist, zu fordern berechtigt sei. Über die weiteren persönlichen Voraussetzungen des § 1321 Abs. 2 RVO habe der Rentenversicherungsträger oder im Streitfall das Tatsachengericht der Sozialgerichtsbarkeit selbst die erforderlichen Feststellungen zu treffen.

Der Senat sah für den Kläger die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG als erfüllt an, weil er als deutscher Volkszugehöriger nach dem 30.1.1933 aus politischen Gründen im Jahre 1939 aus Prag nach Preßburg und später nach Budapest geflohen sei. Es könne keinen Zweifel darüber geben, daß dem Kläger als Jude, wäre er nicht geflohen, „nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen“ drohten. Damit sei der Kläger Vertriebener im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG, und zwar auch aus den 1939 an das Deutsche Reich eingegliederten Gebieten.

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