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10 RV 843/68

Aus den Gründen

Nach § 44 Abs. 2 BVG i.d.F. des 1. und 2. NOG lebt der Anspruch auf Witwenrente wieder auf, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird. Dieser Wortlaut ist durch das 3. NOG nur dahingehend geändert worden, daß an die Stelle des Wortes „Witwenrente“ das Wort „Witwenversorgung“ getreten ist; dadurch ist aber eine sachliche Änderung in Bezug auf die Voraussetzungen, unter denen der Anspruch einer Witwe auf Bezüge nach dem BVG bei der Auflösung ihrer zweiten Ehe wiederauflebt, nicht eingetreten.

Die Voraussetzungen für die Versorgung der Klägerin nach dieser Vorschrift sind jedoch nicht gegeben. Wie das LSG zunächst - und zwar für den Senat gemäß § 163 SGG bindend - festgestellt hat, war die Klägerin die Witwe des an den Folgen einer Schädigung im Jahre 1948 verstorbenen KP. Daß sie nach dem Tode ihres ersten Ehemannes keine Witwenversorgung nach dem BVG bezogen hat, hindert nicht das „Wiederaufleben“ der Witwenversorgung im Sinne des § 44 Abs. 2 BVG, denn nach § 44 Abs. 6 BVG i.d.F. des 1., 2. und 3. NOG finden die Absätze 2, 4 und 5 dieser Vorschrift entsprechend Anwendung, wenn eine Witwe keine Witwenrente nach diesem Gesetz bezogen hat, ihr früherer Ehemann an den Folgen einer Schädigung gestorben ist und wenn sie ohne die Wiederverheiratung einen Anspruch auf Versorgung hätte. Es kommt demnach im vorliegenden Fall nur noch darauf an, ob die „neue Ehe“, also die mit AA. im Jahre 1952 geschlossene zweite Ehe der Klägerin, ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden aufgelöst worden ist. Das LSG hat dazu festgestellt, daß diese Ehe durch Urteil des Kreisgerichts G. vom 26. Februar 1959 wegen Ehezerrüttung ohne Schuldausspruch gemäß § 8 der Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung geschieden worden ist und daß die Klägerin bei Erlaß dieses Scheidungsurteils ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der BRD gehabt hat. Hinsichtlich der Wirksamkeit des in der DDR ergangenen Urteils hat das LSG zutreffend angenommen, daß dieses Scheidungsurteil auch in der BRD wirksam ist (s. dazu BSG 21, 10 ff.; BSG in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, Bd. 14, 1967, 624). Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen, sie sei als „Republikflüchtig“ nicht in der Lage gewesen, alle Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, und das Kreisgericht habe aus politischen Gründen die Ehescheidung ausgesprochen, etwa dartun will, das Scheidungsurteil des Kreisgerichts sei deshalb unwirksam, weil das Verfahren zu ihrem Nachteil von bestimmten, in der ZPO der BRD bestehenden Schutzvorschriften abgewichen sei, so kann sie damit im anhängigen Verfahren nicht gehört werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 20, 323; 30, 1, 5; 34, 134, 136; 38, 2; BGH in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1967, 141 ff.) und des BSG (a.a.O.) sind die von den Gerichten der DDR gefällten Scheidungsurteile grundsätzlich auch in der BRD wirksam; ihre Anerkennung kann nur ausnahmsweise unter entsprechender Anwendung der Grundgedanken der §§ 328, 606 ff. ZPO versagt werden, also dann, wenn eine sowjetzonale Gerichtsbarkeit nicht gegeben war, rechtsstaatliche Grundsätze nicht beachtet worden sind, die in der BRD ansässige Partei durch die Nichtanwendung des Rechts der BRD benachteiligt worden ist oder wenn das Urteil gegen die guten Sitten oder den Zweck eines Gesetzes der BRD verstößt. Ob ein solcher Ausnahmefall für die Versagung der Anerkennung des Ehescheidungsurteils des Kreisgerichts G. gegeben ist, kann im vorliegenden sozialgerichtlichen Rechtsstreit nicht entschieden werden, weil es hierfür eines besonderen Verfahrens nach den §§ 606 ff. ZPO bedarf, für das die Zivilgerichte zuständig sind (s. dazu insbesondere BSG 21, 10, 11 mit weiteren Nachweisen). Solange ein solches Verfahren nicht mit Erfolg abgeschlossen ist, kann die Unwirksamkeit des bezeichneten Scheidungsurteils in keinem anderen Verfahren geltend gemacht oder geprüft werden. Der Umstand, daß der zweite Ehemann der Klägerin - wie das LSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) - kurz nach der Ehescheidung im Jahre 1959 verstorben ist, hätte die Durchführung des erwähnten Verfahrens nicht gehindert, denn jedenfalls kann das Statutsverfahren entsprechend den Vorschriften der §§ 328, 606 ff. ZPO zur Feststellung der Unwirksamkeit des Scheidungsurteils auch noch nach dem Tode einer Partei durchgeführt werden (BSG 21, 10 ff.). Somit ist davon auszugehen, daß die zweite Ehe der Klägerin durch das Urteil des Kreisgerichts vom 26. Februar 1959 auch für das Gebiet der BRD wirksam geschieden ist.

Das LSG hat ferner festgestellt, daß die zweite Ehe der Klägerin nicht ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden geschieden worden ist. Der Auffassung der Klägerin, das LSG sei zu einer solchen Feststellung nicht befugt gewesen, sondern hätte wegen des in dem Scheidungsurteil des Kreisgerichts fehlenden Schuldausspruchs davon ausgehen müssen, daß die zweite Ehe der Klägerin „ohne Verschulden“ im Sinne des § 44 Abs. 2 BVG aufgelöst worden ist, kann nicht gefolgt werden. Die Klägerin verkennt offenbar selbst nicht, daß für das Wiederaufleben der Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG als tatbestandsmäßige Voraussetzung gefordert wird, daß die Witwe nicht vornehmlich durch ihr Verhalten - durch ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden - die zweite Ehe zerstört hat. Damit hat der Gesetzgeber nicht bei jeder Beendigung der zweiten Ehe einer Witwe - also gleichgültig, aus welchem Grunde die Ehe aufgelöst worden ist - die Witwenversorgung wieder aufleben lassen wollen. Vielmehr hat er hierbei an das im Ehescheidungsrecht der BRD grundsätzlich bestehende Verschuldensprinzip angeknüpft. Daraus folgt zunächst, daß die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (SGb) jedenfalls dann keine weiteren Nachforschungen über die Verschuldensfrage anzustellen haben, wenn das Scheidungsurteil einen Schuldausspruch enthält (BSG 26, 1, 3; Beschluß des 8. Senats des BSG vom 16. Mai 1968 - 8 RV 71/66 -; BSG in SozR RVO § 1291 Nr. 21, 24, 26). Wird aber die Ehe von einem Gericht außerhalb der BRD wirksam ohne Schuldausspruch geschieden, weil die dieser Ehescheidung zugrunde liegende Rechtsordnung im Gegensatz zur Rechtsordnung der BRD nicht vom Verschuldensprinzip, sondern von anderen Prinzipien - im vorliegenden Fall vom Zerrüttungsprinzip - ausgeht und daher eine Prüfung des Verschuldens der Ehegatten an der Zerstörung der Ehe und ein entsprechender Schuldausspruch außer Betracht bleibt, so kann die Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG nur dann Wiederaufleben, wenn geprüft und fest gestellt worden ist, ob die Witwe an der Auflösung der zweiten Ehe allein oder überwiegend schuldig war. Da der Gesetzgeber - wie oben ausgeführt - das Wiederaufleben der Witwenrente nach dieser Vorschrift in Anlehnung an das in der BRD geltende Scheidungsrecht tatbestandsmäßig daran geknüpft hat, daß die Witwe die Auflösung ihrer zweiten Ehe nicht allein oder überwiegend verschuldet hat, kann die Verschuldensfrage in keinem Falle außer Betracht bleiben. Wollte man in den Fällen der vorliegenden Art, in denen eine Ehescheidung ohne Schuldausspruch wegen der vom Schuldprinzip der Rechtsordnung der BRD abweichenden andersartigen Rechtsordnung erfolgt ist, der Witwe ohne weiteres die wiederaufgelebte Witwenrente gemäß § 44 Abs. 2 BVG zuerkennen, so würde dies gegen Sinn und Zweck dieser Vorschrift verstoßen. Außerdem erfordert es das Prinzip der Gleichbehandlung vor dem Gesetz (Art. 3 des Grundgesetzes), daß diejenige Witwe, deren zweite Ehe auf Grund einer von der BRD abweichenden Rechtsordnung von einem Gericht außerhalb der BRD ohne Schuldausspruch geschieden worden ist, sich so stellen lassen muß, wie diejenige Witwe, deren Ehe in der BRD rechtskräftig geschieden worden ist. Das bedeutet aber, daß das Urteil des Kreisgerichts in G. daraufhin überprüft werden muß, ob die zweite Ehe der Klägerin - wäre sie in der BRD nach dem insoweit geltenden Scheidungsrecht geschieden - wegen alleiniger oder überwiegenden Verschuldens der Klägerin geschieden worden ist. Dem steht nicht der Umstand entgegen - wie die Klägerin meint -, daß auch nach dem Recht der BRD in bestimmten Fällen die Auflösung der Ehe ohne Schuldaussspruch vorgenommen wird. Hierbei ist an die Scheidung „aus anderen Gründen“, also ohne Verschulden (§§ 44 ff. des EheG) zu denken; ferner kommt auch der Fall in Betracht, daß ein Schuldantrag nicht gestellt worden ist (§ 53 Abs. 2 EheG) oder daß die Ehe ohne Verschulden der Ehegatten aufzuheben war (§ 37 Abs. 2 EheG). Das Gesetz verlangt seinem Wortlaut nach in § 44 Abs. 2 BVG zwar nur, daß die Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden aufgelöst worden ist, also daß das Urteil keinen derartigen Ausspruch über die Schuld der Witwe enthält; jedoch geht es dabei von dem Eherecht in der BRD aus, nach welchem das hier geltende Verschuldensprinzip grundsätzlich auch im Urteil Ausdruck findet. Deshalb kann ein in der BRD wirksames Urteil aus der DDR, das einen Schuldausspruch nicht enthält, dies je doch allein deshalb, weil das Rechtssystem, nach dem dieses Urteil gefällt worden ist, einen Schuldausspruch überhaupt nicht kennt, keinesfalls einem Scheidungsurteil ohne Schuldausspruch aus der BRD gleichgestellt werden. Abgesehen da von, hat die Klägerin nicht einmal behauptet, geschweige denn substantiiert dargetan, daß ihre zweite Ehe, wäre sie in der BRD geschieden worden, nach den bezeichneten besonderen Vorschriften des EheG ohne Schuldausspruch aufgelöst worden wäre. Das gleiche gilt, soweit die Klägerin vor bringt, nach dem Recht in der BRD könne der Schuldausspruch von beiden Ehepartnern durch Übereinkunft manipuliert werden. Auch insoweit fehlt es an jeglichem Hinweis der Klägerin dafür, daß auch bei einer Scheidung ihrer Ehe in der Bundesrepublik ein Schuldausspruch zu ihren Gunsten manipuliert worden wäre. Demnach ist also davon auszugehen - wie das LSG zutreffend erkannt hat -, daß für den Anspruch der Klägerin auf die wiederaufgelebte Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG festzustellen ist, ob sie die Scheidung allein oder überwiegend verschuldet hat.

Soweit hierzu das LSG die Auffassung vertritt, daß in Fällen der vorliegenden Art die Versorgungsbehörden und Gerichte der SGb „stets“ selbst zu prüfen und festzustellen hätten, ob die Witwe allein oder überwiegend die Auflösung der zweiten Ehe verschuldet hat, kann ihm allerdings nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Bereits der 8. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 24. November 1970 (8 RV 323/69) im Anschluß an die oben zitierte Rechtsprechung des BGH aus geführt, daß dann, wenn die Ehe einer zur Zeit der Ehescheidung in der BRD lebenden Partei durch ein Gericht im an deren Teil Deutschlands ohne Schuldausspruch geschieden worden ist, grundsätzlich die Frage des Verschuldens an der Ehescheidung nicht in dem Verfahren über die Gewährung der wiederaufgelebten Witwenrente überprüft werden kann; vielmehr muß die Witwe auf die Erhebung der sogenannten Schuldfeststellungsnachtragsklage verwiesen werden, für welche die Zivilgerichte zuständig sind (s. dazu auch BGH in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1967, 141 ff. und BSG daselbst 1967, 624 ff.). Der 8. Senat des BSG hat hierbei insbesondere darauf hingewiesen, daß es für die nachträgliche Feststellung des Verschuldens an der Ehescheidung auch auf die Einlassung des anderen Ehegatten ankomme, dieser aber in dem Rentenverfahren als Beteiligter keine entsprechenden Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen könne. Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, daß der geschiedene Ehegatte, der nach der Scheidung der Ehe glaubt, wegen des Verschuldens des anderen Ehegatten an der Scheidung Rechte herleiten zu können, grundsätzlich zur Herbeiführung eines Schuldausspruchs den Weg der Schuldfeststellungsnachtragsklage beschreiten muß, solange dies zulässig oder möglich ist. Solange der andere Ehegatte nämlich lebt und jene nachträgliche Klage prozessual möglich ist, ist dieser Weg das geeignete und einzige Mittel, die Schuldfeststellung vor den hierfür zuständigen Gerichten verbindlich feststellen zu lassen.

Die Klägerin war jedoch an der Erhebung solcher Schuldfeststellungsnachtragsklage gehindert, weil ihr geschiedener Ehemann kurz nach der Rechtskraft des Scheidungsurteils im Jahre 1959 verstorben ist. In diesem Fall sind aber im Rahmen des Rentenverfahrens die Versorgungsbehörden und die Gerichte der SGb verpflichtet, die für die Gewährung der wiederaufgelebten Witwenrente gemäß § 44 Abs. 2 BVG notwendige Voraussetzung, ob die zweite Ehe der Witwe ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden aufgelöst ist, selbständig zu prüfen und festzustellen; denn ein solcher Anspruch kann nicht daran scheitern, daß der Anspruchsberechtigte aus Gründen, die nicht in seiner Person liegen, nicht in der Lage ist, von den hierfür zuständigen Zivilgerichten nachträglich eine für ihn positive Schuldfeststellung treffen zu lassen. Unter diesen besonderen Verhältnissen war das LSG somit befugt, darüber zu entscheiden, ob die zweite Ehe der Klägerin durch ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden im Jahre 1959 geschieden worden ist. . . .

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