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12 RJ 294/66

Gründe I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte das dem Kläger ab 1. Mai 1963 gewährte vorgezogene Altersruhegeld dadurch zu erhöhen hat, daß sie eine Ausfallzeit von Juni 1958 bis April 1962 nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzurechnen hat.

Der am 29. Mai 1903 geborene Kläger - gelernter Maschinenbauschlosser und zuletzt Büromaschinenmechaniker - ist seit dem 23. März 1957 berufsunfähig. Die Beklagte bewilligte ihm Übergangsgeld für die Zeit vom 1. August 1957 bis zum 25. Februar 1958 und Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 26. März 1958 an.

Der Kläger meldete sich am 22. Mai 1962 beim Arbeitsamt Hamburg arbeitslos und beantragte nach einjähriger Arbeitslosigkeit vorgezogenes Altersruhegeld, das ihm die Beklagte vom 10. Mai 1963 an bewilligte (Bescheid vom 14. November 1963), ohne in die Berechnung des Altersruhegeldes die vorangegangene Rentenbezugszeit als Ausfallzeit einzubeziehen. Im Verlauf des Verfahrens vor dem Landessozialgericht (LSG) erkannte die Beklagte, nachdem das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt hatte, „bei dem Kläger weitere Ausfallzeiten anzuerkennen - unter Anrechnung von 6 Wochen - vom 20. Juni 1931 bis zum 28. Januar 1934“, die Zeit von April 1957 bis Mai 1958 (Vollendung des 55. Lebensjahres des Klägers) als weitere Ausfallzeit an. Im übrigen hatten Klage und Berufung des Klägers keinen Erfolg (Urteile vom 30. Juni 1964 und 23. März 1966). Das LSG ließ die Revision zu.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt Verletzung des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des LSG Hamburg vom 23. März 1966 und das Urteil des SG Hamburg vom 30. Juni 1964 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14. November 1963 und 9. September 1964 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Zeitraum von Juni 1958 bis April 1962 als weitere Ausfallzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Gründe II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG hat die Ansicht vertreten, die Zeit von Juni 1958 bis April 1962, in der der Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit bezogen hatte, könne bei der späteren Bewilligung des vorgezogenen Altersruhegeldes nicht als weitere Ausfallzeit berücksichtigt werden. Dem ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zu folgen. Wie in den Urteilen des 4. Senats vom 13. Mai 1966 - 4 RJ 115/65 - (BSG 25, 16) und vom 23. August 1966 (Die Rentenversicherung 1967, 20) entschieden worden ist, schließt die Tatsache, daß der Anfang einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit mit dem Beginn einer Berufskrankheit, wegen der auch Berufsunfähigkeitsrente gewährt wird, zusammenfällt, die Anrechnung dieser Zeit als Ausfallzeit i.S. von § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO bei der Berechnung der späteren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (BSG 25, 16) bzw. des Altersruhegeldes (Die Rentenversicherung 1967, 20) nicht aus. Der Begriff der „Unterbrechung“ (§ 1258 Abs. 1 Nr. 1 RVO) muß danach mit dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens als „Dazwischentreten, für das zeitweilige Aussetzen eines Geschehens oder Zustandes, im Gegensatz zu dessen Abschluß“ verstanden werden. Die Möglichkeit, daß die - unterbrochene - versicherungspflichtige Beschäftigung wieder fortgesetzt wird, reicht aus, diese gesetzliche Voraussetzung, zu erfüllen. Eine solche Möglichkeit besteht auch bei gleich zeitigem Beginn von Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit. Es ist nämlich nicht auszuschließen, daß nach Fortfall der Arbeitsunfähigkeit erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung begonnen wird. § 1259 Abs. 2 Satz 1 RVO steht dieser Auslegung nicht entgegen, da im Hinblick auf einen späteren umfassenderen Versicherungsfall - z.B. Erwerbsunfähigkeit oder Erreichung der Altersgrenze - Beiträge auch nach Eintritt des ersten Versicherungsfalls - hier der Berufsunfähigkeit - gültig erbracht werden können, wenn der Versicherte eine Einbuße seines Leistungsvermögens erlitten hat und deshalb sogar eine Rente bezieht. Auch das zeitliche Zusammentreffen von Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit ändert daran nichts, weil die Ursachen der Berufsunfähigkeit und die Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit nicht stets und notwendig dieselben zu sein brauchen. Denn die Krankheit, die Arbeitsunfähigkeit bedingt, kann Berufsunfähigkeit auslösen, braucht es aber nicht.

Indem Zeiten wegen krankheitsbedingter Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses Ausfallzeiten sein können, wird dem Versicherten ein angemessener Ausgleich für unverschuldeten Beitragsausfall gewährt. Er wird so vor Nachteilen bewahrt, die er sonst in der Rentenversicherung dadurch erleiden würde, daß er durch von ihm nicht zu vertretende Umstände für die Zeit seiner Krankheit vom Erwerbsleben ausgeschlossen war. Das Versicherungsverhältnis wird nicht bereits mit dem Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit beendet, dieser Versicherungsfall schließt das Versicherungsleben eines Versicherten nicht ab. Vielmehr besteht das Versicherungsverhältnis nach Eintritt der Berufsunfähigkeit fort, so daß die Möglichkeit gegeben ist, weitere, für den nächsten Versicherungsfall rechtserhebliche Zeiten ohne weitere zwischenzeitliche versicherungspflichtige Beschäftigung zurückzulegen (vgl. BSG 28, 29, 31).

Diese Erwägungen gelten auch dann, wenn die Umwandlung in das Altersruhegeld vor der Neufassung durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 (RVÄndG) stattgefunden hat. Da Ausfallzeiten nur an die Stelle von Versicherungszeiten treten, ist § 1254 Abs. 2 RVO i.d.F. vor dem RVÄndG (a.F.) dahin auszulegen, daß neben Versicherungs- auch zusätzliche Ausfallzeiten zu berücksichtigen sind. Das folgt vor allem aus einem Vergleich mit der Fassung von § 1253 Abs. 2 Satz 4 RVO a.F., der die Ausfallzeiten bei der Umwandlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit ausdrücklich zu berücksichtigen gebietet. Da kein entscheidender Grund ersichtlich ist, der eine unterschiedliche Behandlung der beiden Fälle rechtfertigen könnte, ist auch bei Umwandlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit in ein Altersruhegeld die Berücksichtigung zusätzlicher krankheitsbedingter Ausfallzeiten geboten, selbst wenn der Versicherte während des Bezuges der Rente wegen Berufsunfähigkeit keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung mehr nachgegangen ist (vgl. Urteil des 4. Senats vom 23. August 1966, Die Rentenversicherung 1967, 20, 21).

Dieser Rechtsprechung (vgl. dazu: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III, S. 700 f. III; Hanow / Lehmann / Bogs RVO 4. Buch, Rentenversicherung der Arbeiter, 5. Auflage, Stand Februar 1970, § 1259 Anm. 8; Verb. Komm., § 1259 Anm. 25 a; Mayer, AngVers. 1966, 315; Peters, Sgb 1970, 121; Tannen, DRV 1966, 436; kritisch Beck, ZfS 1968, 269) will sich die Beklagte nicht verschließen. Jedoch hält sie die Arbeitsunfähigkeit des Klägers unter Berücksichtigung der Entscheidung des 5. Senats vom 19. Dezember 1968 - 5 RKn 66/65 - (BSG 29, 77) für nicht hinreichend festgestellt. Diese Entscheidung betraf u.a. die Frage, ob die Zeit des Bezugs einer knappschaftlichen Invalidenpension vom 1. Januar 1931 bis zum 12. Oktober 1933 als Ausfallzeit (Zeit der Arbeitsunfähigkeit gem. § 57 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -) anzurechnen ist. Der 5. Senat ist dort davon ausgegangen, daß der Begriff der Arbeitsunfähigkeit dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung entstammt. Er hat daher die von der Rechtsprechung zu § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO entwickelten Grundsätze für anwendbar erachtet, soweit nicht wegen der Besonderheiten des Rentenversicherungsrechts Abweichungen erforderlich sind. Der Tatsache, daß es im Recht der Krankenversicherung für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig auf die Tätigkeit ankommt, die der Versicherte unmittelbar vor dem Eintritt der Erkrankung geleistet hat, sei bei der Ausfallzeit i.S. von § 57 Abs. 1 Nr. 1 RKG nicht uneingeschränkt Bedeutung beizumessen, weil die Rentenversicherung insoweit andere Ziele verfolge als die Krankenversicherung.

Nach Sinn und Zweck der Ausfalltatbestände könne grundsätzlich keine Ausfallzeit anerkannt werden, wenn der Versicherte nach seinem Gesundheitszustand entweder noch die von ihm unmittelbar vor der Erkrankung ausgeübte Tätigkeit oder zumindest eine andere Tätigkeit verrichten könne, auf die er nach den jeweiligen Vorschriften des Rentenversicherungsrechts verwiesen werden könne. Da die Ausfallzeit dem Versicherten nur einen Ausgleich dafür gewähren solle, daß er wegen Krankheit nicht in der Lage war, eine Beitragszeit zurückzulegen, sei eine Zeit, in welcher der Versicherte nach seinem Gesundheitszustand in der Lage gewesen wäre, eine im Sinne der Rentenversicherung zumutbare versicherungspflichtige Tätigkeit auszuüben und damit eine Beitragszeit zurückzulegen, keine Ausfallzeit.

Wenn auch dieses Urteil des 5. Senats den Fall einer knappschaftlichen Invalidenpension betrifft, so steht dem gleichwohl nicht entgegen, dieselben Erwägungen auf den hier zu entscheidenden Fall einer Rente wegen Berufsunfähigkeit zu übertragen, weil die knappschaftliche Invalidenpension ein Vorläufer des Instituts der Berufsunfähigkeitsrente für das Gebiet der Knappschaftsversicherung war.

Der erkennende Senat folgt daher dieser Rechtsprechung für das Gebiet der Arbeiterrentenversicherung, da sie sinnvoll die Anerkennung von Rentenbezugszeiten als Ausfallzeiten einschränkt. Auch in der Rentenversicherung der Arbeiter können daher Zeiten, in denen der Versicherte lediglich eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bezogen hat, nur dann als Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gewertet und beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen als Ausfallzeiten nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO angerechnet werden, wenn sich aus Bescheinigungen ergibt, daß der Versicherte krankheitshalber weder die von ihm unmittelbar vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübte Beschäftigung noch eine ihm nach § 1246 RVO zumutbare Verweisungstätigkeit verrichten konnte. Denn andernfalls hätte ein Versicherter, der sich, während er Rente wegen Berufsunfähigkeit bezieht, nicht um einen Arbeitsplatz bemüht, in aller Regel Anspruch auf Anerkennung einer Ausfallzeit bei Eintritt eines nächsthöheren Versicherungsfalls. Würde er jedoch versuchen, die ihm verbliebene Arbeitskraft zu nutzen, würde ihm die Zeit, in der er dennoch ohne Arbeit bleibt, nur unter den Voraussetzungen von § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO gutgebracht; bei einer vorübergehenden Arbeit, etwa einer leichten Halbtagsbeschäftigung, würde spätestens von diesem Zeitpunkt an die Arbeitsunfähigkeit nach dieser - zuletzt ausgeübten - Tätigkeit beurteilt. Damit würde derjenige, der sich nicht mehr um Arbeit bemüht, schon durch den die Berufsunfähigkeitsrente auslösenden Tatbestand eine Ausfallzeit für den nächsten Versicherungsfall erwerben, während den Arbeitswilligen Ausfallzeiten nur unter Anlegung strengerer Maßstäbe zugebilligt werden könnten. Ein derartiges, wenig sinnvolles Ergebnis wird indes vermieden, wenn der vom 5. Senat vorgezeichnete Weg beschritten wird.

Ob der Kläger während der Zeit seiner Berufsunfähigkeit im vorliegenden Fall auch arbeitsunfähig in diesem Sinn war, läßt sich nicht abschließend entscheiden, weil hierzu ausreichende Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts fehlen. Das LSG wird sie noch zu treffen haben (§ 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), Das LSG wird dabei mit zu prüfen haben, ob der Kläger unter Berücksichtigung der oben niedergelegten Grundsätze auch für leichte Arbeiten arbeitsunfähig war und ob diese Arbeitsunfähigkeit auch in den Versicherungskarten oder in sonstigen Nachweisen i.S. von § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO, die eingeschränkt sind (vgl. Schimanski in SozVers 1969, 16 mit den dort aufgeführten Rechtsprechungsnachweisen), bescheinigt ist.

Die Entscheidung über die Kosten, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

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