4 RJ 353/69
Aus den Gründen:
Die Klägerin ist Verfolgte des Nationalsozialismus (§ 1 BEG); sie ist im April 1947 aus Deutschland ausgewandert. Seit dem 1.6.1967 bezieht sie von der beklagten LVA Altersruhegeld. Bei der Festsetzung der Höhe dieser Leistung blieb ihr Auslandsaufenthalt v. 1.4.1947 bis zum 31.12.1949 - entgegen der Auffassung der Klägerin, die dessen Zeit als Ersatzzeit (§ 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO) ansieht - unberücksichtigt. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.
Die Revision hat keinen Erfolg. Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch schon deshalb nicht begründet ist, weil der Beginn des Auslandsaufenthalts nicht durch Verfolgungsmaßnahmen hervorgerufen worden ist.
Nach § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO sind als Ersatzzeiten anzurechnen u.a. Zeiten der durch Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des BEG hervorgerufenen Arbeitslosigkeit oder eines Auslandsaufenthalts bis zum 31.12.1949, wenn der Versicherte Verfolgter im Sinne des § 1 BEG ist. Der Klägerin ist zuzugestehen, daß der „Wortlaut dieser Vorschrift nicht eindeutig ist. Der Satzteil „der durch Verfolgungsmaßnahmen ... hervorgerufenen“ kann sich auf Arbeitslosigkeit und Auslandsaufenthalt beziehen mit dem Ergebnis, daß es in beiden Fällen des Kausalzusammenhangs mit Verfolgungsmaßnahmen bedarf. Der Gesetzeswortlaut läßt jedoch für sich allein betrachtet auch die Auslegung zu, daß nur die Arbeitslosigkeit - nicht dagegen auch der Auslandsaufenthalt - durch Verfolgungsmaßnahmen hervorgerufen worden sein muß. Dieser letzteren - von der Klägerin vertretenen - Auffassung vermag der Sen. jedoch nicht zu folgen. Sinn und Zweck des Ges. deuten vielmehr darauf hin, daß auch der Auslandsaufenthalt eines Verfolgten des Nationalsozialismus nur dann Ersatzzeit sein kann, wenn sein Beginn in Kausalzusammenhang mit Verfolgungsmaßnahmen steht. Durch die Ersatzzeitenregelung des § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO soll der den Verfolgten des Nationalsozialismus auf dem Gebiet der RentV entstandene Schaden ausgeglichen werden, sie dient der Wiedergutmachung erlittenen Unrechts (vgl. BSG in SozR Nr. 11 zu VerfolgtenG Allg mit weiteren Hinweisen). Dies läßt erkennen, daß der Gesetzgeber in der Regel auf den Kausalzusammenhang zwischen den In § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO genannten Tatbeständen und Verfolgungsmaßnahmen nicht verzichten wollte. Er hat dies für die übrigen Ersatzzeittatbestände des § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO auch klar zum Ausdruck gebracht. Eine Freiheitsentziehung ist nur dann Ersatzzeit, wenn sie auf Verfolgungsmaßnahmen zurückzuführen ist (§ 43 BEG). Dasselbe gilt für die Arbeitslosigkeit. Es besteht kein hinreichender Anhalt dafür, daß für den Auslandsaufenthalt eine abweichende Regelung getroffen werden sollte. Ein Schadensausgleich kann nicht in Betracht kommen, wenn der Versicherte aus nicht verfolgungsbedingten Gründen Deutschland verlassen hat, der Auslandsaufenthalt möglicherweise sogar durch von ihm begangenes Unrecht verursacht worden ist. - Diese Erwägungen schließen eine vereinfachende Gesetzesanwendung - auf die der Wortlaut des Ges. hindeuten mag - in dem Sinne, daß zu unterstellen sein wird, bei einer in der Zeit zwischen 1933 und Kriegsende liegenden Auswanderung eines Verfolgten des Nationalsozialismus liege in der Regel ein Auslandsaufenthalt nach § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO vor, nicht aus. Die Ersatzzeittatbestände des § 1251 RVO erfassen typische Geschehensabläufe, sie erstrecken sich auf den Regelfall und lassen entfernt liegende Sachverhalte unberücksichtigt. Aus diesem Grunde ist eine vereinfachende Gesetzesanwendung für die vorbezeichnete Zeitspanne vertretbar. Für die Zeit nach Kriegsende, in der es in Deutschland nicht mehr zu nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen kommen konnte, kommt sie nicht in Betracht. Die in § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO normierte Möglichkeit, einen Auslandsaufenthalt über den 8.5.1945 hinaus bis zum 31.12.1949 als Ersatzzeit zu berücksichtigen, hat wegen des Fehlens unmittelbarer Verfolgungsmaßnahmen den Sinn, daß Verfolgten des Nationalsozialismus, die bereits vor Kriegsende Deutschland verlassen hatten, Gelegenheit gegeben werden sollte, die Frage und die Möglichkeiten einer Rückkehr innerhalb einer angemessenen Zeitspanne zu überdenken. Hieraus läßt sich indessen nicht herleiten, die Berücksichtigung eines Auslandsaufenthaltes, dessen Beginn in die Nachkriegszeit fällt, sei schlechthin ausgeschlossen. Es ist denkbar, daß über das Kriegsende hinaus fortdauernde oder später eingetretene Nachwirkungen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen im Einzelfall erst in der Nachkriegszeit Anlaß zur Auswanderung gegeben haben. In einem solchen Fall dürfte ein Kausalzusammenhang zwischen Verfolgungsmaßnahmen und Auslandsaufenthalt bestehen. Er kann jedoch nicht unterstellt werden. Ein Auslandsaufenthalt, dessen Beginn in die Zeit nach Kriegsende fällt, kann deshalb nur dann Ersatzzeit sein, wenn dargetan ist, daß er durch Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen hervorgerufen worden ist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das LSG hat keine Feststellungen in dieser Hinsicht getroffen. Auch der Revisionsvortrag der Klägerin enthält insoweit keine konkreten Anhaltspunkte, eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG kommt daher nicht in Betracht.