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4 RJ 13/70

Gründe

Der Kläger - geboren am 1. Januar 1904 - erhält Altersruhegeld vom 1. Februar 1969 an (Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 1969). Er verlangt jedoch die Gewährung dieser Rente bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1969.

Seiner Klage hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg mit Urteil vom 12. November 1969 stattgegeben. Es hat angenommen, der Kläger habe das 65. Lebensjahr mit dem Ende des Jahres 1968 vollendet. Gemäß § 1290 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) stehe ihm die Rente vom Beginn des Jahres 1969 an zu. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Die Beklagte hat Sprungrevision eingelegt; sie beantragt,

  • das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie meint, der Kläger habe die Altersgrenze nicht vor dem Jahre 1969 erreicht; mithin sei die Rente erst vom nächsten Monatsersten, also dem 1. Februar 1969 an zu zahlen gewesen. Dies wiederum habe zur Folge, daß der Rentenberechnung die allgemeine Bemessungsgrundlage des Jahres 1969 und nicht die des Jahres 1968 zugrunde zu legen gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

  • dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes folgende Rechtsfrage vorzulegen:

„Vollendet der am 1. eines Monats Geborene mit Ablauf des letzten Tages des Vormonats das 65. Lebensjahr?“

Er weist darauf hin, daß das Bundessozialgericht BSG) die Frage, in welchem Zeitpunkt ein bestimmtes Lebensalter als abgeschlossen zu gelten habe, früher (SozR Nrn. 6 und 16 zu § 1248 RVO) abweichend von anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes (z.B. vom Bundesarbeitsgericht, Arbeitsrechtliche Praxis - AP - Nr. 1 zu § 186 BGB) entschieden habe. Er ist der Ansicht, diese Frage könne für alle Rechtsgebiete nur einheitlich beantwortet werden.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Zu der Frage, wann bei dem am 1. eines Monats Geborenen von einem vollendeten Lebensjahr gesprochen werden kann, hat der Senat in dem in BSG 30, 38 veröffentlichten Urteil Stellung genommen. Er hat sie in dem Sinne beantwortet, den auch die Vorinstanz für richtig erachtet hat. Das 65. Lebensjahr ist schon vor dem Beginn des Tages abgeschlossen, an dem sich der Geburtstag zum 65. Mal jährt. Die Vollendung dieses Lebensalters ist also auf den Vortag zu datieren (zustimmend: Tannen, Deutsche Rentenversicherung 1969, 450). Ein Grund, von dieser Auffassung abzugehen, besteht nicht. Diese Ansicht folgt aus dem - sinngemäß anzuwendenden - § 187 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -. Auf diese Vorschrift ist zurückzugreifen (§ 186 BGB), weil das Recht der Sozialversicherung - insbesondere die §§ 124, 125 RVO - keine besondere Regelung über die erwähnte Frage trifft und § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB einen allgemeinen Rechtsgedanken wiedergibt. Dort ist angeordnet, daß der Tag der Geburt bei der Berechnung des Lebensalters mitgerechnet wird. Für die Zeitbemessung wird das Ereignis der Geburt auf den Tagesanfang verlegt; es werden also nur volle Tage berücksichtigt. Infolgedessen kann das Ende eines bestimmten Lebensjahres und der Anfang des darauffolgenden nicht auf denselben Tag fallen. Ein Lebensjahr ist vielmehr mit dem Tage vor der Wiederkehr des Geburtstags zurückgelegt (§ 188 Abs. 2, 2. Halbsatz BGB). Davon ist selbstverständlich der Sachverhalt nicht ausgenommen, daß der Geburtstag - wie hier - nicht nur auf den 1. Tag eines Monats, sondern auf den Jahresersten fällt.

Für die Vorschrift des § 1290 Abs. 1 RVO über den Rentenbeginn ergibt sich daraus, daß der am Monatsersten Geborene die maßgebliche Altersgrenze nicht erst am Geburtstag erreicht, sondern diese Voraussetzung bereits „in“ dem Vormonat erfüllt. Mit - oder besser: unmittelbar nach - Ablauf dieses Vormonats hat die Rente zu beginnen.

Gegen diese Interpretation sind - u.a. von Bergner, Die Sozialversicherung 1970, 6 - Bedenken erhoben worden. Sie, so wird gemeint, mißachte den Wortlaut des § 1248 Abs. 1 RVO. Danach erhält Altersruhegeld, wer das 65. Lebensjahr „vollendet hat“. An die Vergangenheitsform im Gesetzestext knüpfen die Bedenken an. Es wird ausgeführt, daß der am Monatsersten Geborene das 65. Lebensjahr zwar mit dem letzten Augenblick des Vormonats „vollende“, aber erst später diese Zeitspanne „vollendet haben“ könne. Daraus sei zu folgern, daß der Tatbestand erst im Monat des Geburtstags erfüllt werde und der Versicherte noch bis zum Ablauf dieses Monats auf den Beginn des Altersruhegeldes warten müsse. Dieses sprachliche Argument vermag nicht zu überzeugen. Mit der Vergangenheitsform ist lediglich zum Ausdruck gebracht, daß die Leistung im Anschluß an die Verwirklichung der gesetzlichen Voraussetzungen und nicht vorher verlangt werden kann. Von wann aber die Leistung zu bewirken ist, regelt nicht § 1248 Abs. 1, sondern die Vorschrift über den Beginn der Rente und damit § 1290 RVO. Daß aber zwischen Anspruchserwerb und Anspruchsbefriedigung ein Intervall klaffen müsse, in dem der Tatbestand als - in der Vergangenheit - abgeschlossen zu erkennen sei und währenddessen der Berechtigte auf seine Rente noch zu warten habe, muß man dem Gesetz nicht entnehmen. - Freilich hat derjenige, der am 2. oder einem späteren Tage eines Monats zur Welt gekommen ist, einen Aufschub der Leistung hinzunehmen. Das ist unvermeidlich, weil aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung die Rente regelmäßig nur für ganze Monate zu zahlen ist (vgl. § 1294 RVO). Fällt aber das Ende des 65. Lebensjahres mit dem Ende eines Kalendermonats zusammen, so hat man es mit dem Idealfall der Nahtlosigkeit zu tun, der eine sach- und situationsgerechte Entscheidung erlaubt (so zu ähnlicher Problematik: Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 1968, BVerwG 30, 167).

Für die Gegenansicht wird weiter § 1290 Abs. 1 Satz 2 RVO angeführt. Dort ist u.a. erklärt, daß das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 RVO vom Ablauf des Monats an zu gewähren ist, „in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit endet“. Man weist darauf hin, daß das Gesetz mit dieser Fassung von § 1248 Abs. 3 RVO abrücke, wo es nicht vom Ablauf des Monats spreche, „in dem“ die Beschäftigung „endet“, sondern darauf abstelle, daß die Versicherte eine Beschäftigung oder Tätigkeit „nicht mehr ausübt“. Es wird ausgeführt: höbe das Gesetz in § 1290 Abs. 1 RVO darauf ab, daß eine Tätigkeit „nicht mehr“ ausgeübt werde, so müßte zwischen dem Zeitpunkt des Rentenbeginns und dem Kalendermonat, in den die Arbeitsaufgabe fällt, ein voller - tätigkeitsfreier - Kalendermonat liegen. Dieses Resultat vermeide das Gesetz durch die Wendung „des Monats, in dem die Beschäftigung ... endet“. Zugleich werde aber auch deutlich, daß es einer Regelung wie der des § 1290 Abs. 1 Satz 2 RVO bedürfe. Sie wäre unnötig, wenn sich das gleiche Ergebnis bereits aus Satz 1 des § 1290 Abs. 1 RVO ergäbe, wenn also die vom Senat vertretene Auffassung zuträfe. - Dieser Gedankengang erscheint nicht zwingend, § 1290 Abs. 1 Satz 2 RVO kann auch dahin verstanden werden, daß er lediglich der Klarstellung dient und für den Fall des § 1248 Abs. 3 RVO die Regelung übernimmt, die allgemein im Satz 1 des § 1290 Abs. 1 getroffen ist. Den Verlautbarungen des Gesetzgebers ist das Gegenteil nicht zu entnehmen. Mit § 1290 in der durch das Finanzänderungesetz 1967 geschaffenen Fassung sollte die „Rechtslage vor der Rentenreform 1957“ wiederhergestellt werden (zu Bundestagsdrucksache V/2341 S. 7, zu Art. 1 § 1 Nr. 11 e). Das ist die vom Senat bevorzugte Lösung. Als Ausnahme von diesem Vorhaben erwähnen die Materialien des Gesetzes allein im Zusammenhang mit der Hinterbliebenenrente das Beispiel des § 1290 Abs. 1 Satz 3 RVO, also einen Tatbestand, der hier nicht interessiert.

Der Senat verkennt nicht, daß er bei der Auslegung, die er § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO in seiner gegenwärtigen Fassung gibt, das gleiche Ergebnis gewinnt, das auch bei abweichender Gesetzesformulierung erzielt wurde. Das mag verwundern, weil die Leistung der Rente einmal vom Beginn des Monats und das andere Mal vom Ablauf des Monats an einzusetzen hatte bzw. hat. Die Deutung der älteren Vorschrift, die den Leistungsbeginn auf den Monatsanfang legte, stößt sich jedoch nicht mit denjenigen Erwägungen, die den Senat jetzt leiten. Die heute geltende Fassung des § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO kann der Senat ungezwungen so verstehen, wie sie sich aus ihrem Wortlaut in Verbindung mit § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB ergibt. Dabei wird § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht anders als früher aufgefaßt, nämlich in dem Sinne, daß ein Lebensjahr mit dem Beginn des folgenden Geburtstags bereits vollendet ist. An die folgerichtige Übertragung dieses Gedankens auf die frühere Fassung des Gesetzes (Fassung nach der Rentenreform 1957) sah sich das BSG seinerzeit aus einem teleologischen Gesichtspunkt gehindert. Damals erschien dem BSG die Überlegung wichtig, daß der Anspruch auf Rente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nicht schon für die Zeit vor dieser Vollendung entstehen könne. Die Leistung könne nicht vor, sondern müsse nach dem Fristablauf beginnen. Diesem aus dem Zweck des Gesetzes gewonnenen Aspekt wird heute durch die Regelung des Gesetzes Rechnung getragen. Auf ihn braucht bei der Interpretation nicht mehr eingegangen zu werden.

Man hat ferner gemeint, die Auslegung des § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO durch den Senat werde der Absicht einer finanziellen Ersparnis nicht voll gerecht; diese Absicht sei aber gerade mit der Verschiebung des Rentenbeginns durch das Finanzänderungsgesetz verfolgt worden. - Ob von dieser Absicht auch der hier zu beurteilende Fall des am 1. eines Monats Geborenen ergriffen werden sollte, ist nicht deutlich ausgesprochen worden. Geht man aber davon aus, so kollidierte die Absicht der Ersparnis mit dem erklärten Ziel, die Regelung des Rentenbeginns dem Rechtszustand vor 1957 wieder anzugleichen. Doch wie dem auch sei, dieses Bedenken setzt bei einem Beweggrund des Gesetzgebers an. Darauf wäre nur zu achten, wenn die Ergebnisse der übrigen bei der Gesetzesinterpretation einzuhaltenden Methoden damit in Einklang zu bringen wären. Das trifft indessen, wie bereits ausgeführt worden ist, nicht zu.

Schließlich ist dem Senat entgegengehalten worden, es widerstrebe der Anschauung des täglichen Lebens, wenn man erkläre, jemand vollende sein 65. Lebensjahr bereits am Vorabend seines Geburtstags. Ob die natürliche Betrachtungsweise der hier gefundenen Lösung widerstreitet, mag dahinstehen. Der Gesetzgeber hat sich, als er § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB schuf, selbst die Frage nach der Verkehrsauffassung gestellt; er hat sie im Sinne der von ihm getroffenen Anordnung beantwortet gesehen (hierüber: Reichsgericht in Strafsachen - RGSt - 35, 37).

Hiernach steht dem Kläger das Altersruhegeld vom 1. Januar 1969 an, also eher als bewilligt, zu. Das angefochtene Urteil ist aufrechtzuerhalten.

Es besteht kein Anlaß, dem Antrag des Klägers zu folgen und die Frage, wann von einem vollendeten Lebensjahr gesprochen werden kann, dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorzulegen (Gesetz vom 19. Juni 1968, BGBl. I 661). Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist gewahrt; der Senat stimmt in der Auslegung des § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB mit der Auffassung anderer Gerichtshöfe des Bundes überein (so BAG, AP Nr. 1 zu § 186 BGB; BVerwG 30, 167). Der Kläger hat ferner angeregt, den Großen Senat des BSG anzurufen. Dieser Anregung brauchte nicht gefolgt zu werden. Zur gegenwärtigen Gesetzeslage liegt keine abweichende Entscheidung eines anderen Senats vor. Die Gesetzesauslegung, die der erkennende Senat diesem Urteil zugrunde legt, insbesondere die Interpretation des § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB, liegt auf der Linie, die das BSG bereits bisher vertreten hat, § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebietet es mithin nicht, den Großen Senat mit dem hier erörterten Problem zu befassen,, Es kann aber auch nicht von einer Fortbildung des Rechts die Rede sein, die nach § 43 SGG dem Großen Senat besonders anvertraut ist, weil lediglich die in der Rechtsprechung herrschende Rechtsansicht zu § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB weiterbefolgt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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