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4 RJ 105/69

Aus den Gründen

Der Kläger erlitt im Januar 1966 einen Arbeitsunfall. Zunächst erhielt er von der Binnenschiffahrts-BG Verletztengeld. Von August 1967 an gewährte diese ihm Vorschüsse auf die Verletztenrente aus der UV. Am 27.10. desselben Jahres bewilligte sie die Verletztenrente endgültig, und zwar bis auf den Tag nach dem Unfall zurück. Die als Verletztengeld geleisteten Zahlungen verrechnete sie mit der Rente; diese war für die in Betracht kommenden Bezugszeiten dem Betrage nach höher.

Die beklagte LVA stellte mit Besch. vom 3.4.1968 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - beginnend mit dem 1.12.1966 - fest. Im Hinblick auf die für die gleiche Zeit bereits zuerkannte Rente aus der UV zahlte sie die Versichertenrente nur gekürzt aus (§ 1278 RVO).

Dagegen wendet sich der Kläger. Er hält es für nicht gerechtfertigt, daß die Beklagte die als Verletztengeld gewährten Zahlungen nachträglich als Vorschüsse auf die Verletztenrente umgedeutet wissen will.

Das SG hat der Klage stattgegeben. Es hält die Ansicht des Klägers wegen der Vorschrift in § 1278 Abs. 4 RVO für richtig. Es meint, nach dieser dürfe die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst nach dem Ende des Monats gekürzt werden, in dem die Verletztenrente zum erstenmal ausgezahlt worden sei, also von September 1967 an.

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die zunächst als Verletztengeld gewährten Barleistungen sind für die Anwendung des § 1278 Abs. 1 RVO wie Vorauszahlungen auf die später festgestellte Verletztenrente anzusehen und lösen deshalb das Ruhen eines Teils der Versichertenrente aus.

Da der Beginn der Verletztenrente nachträglich auf den Tag nach dem Arbeitsunfall - im Januar 1966 - zurückverlegt wurde, entfiel im gleichen zeitlichen Ausmaß der Rechtsgrund für das Verletztengeld. Denn dieses endete gemäß § 562 Abs. 1 RVO mit dem Tage, für den erstmalig Verletztenrente gewährt wurde. Somit hatte bei Beginn der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - 1.12.1966 - der Tr. der UV nur noch den Anspruch auf Verletztenrente, aber nicht den Anspruch auf Verletztengeld zu erfüllen. Diese Rechtslage wurde freilich erst durch den Besch. des Unfallversicherungsträgers vom 27.10.1967 klargestellt. Die Verzögerung in der endgültigen Bestimmung des zutreffenden Leistungsgrundes hinderte aber nicht den Eintritt des Ruhens in der RentV. Zwar ist die Rente aus dieser Versicherung unverkürzt bis zum Ende des Monats zu gewähren, in dem die Verletztenrente aus der UV zum ersten Male „ausgezahlt“ wird (§ 1278 Abs. 4 RVO). Doch sind die Erfordernisse dieser Vorschrift gegeben.

Dadurch, daß den Geldzuwendungen des Unfallversicherungsträgers die Rechtfertigung als Verletztengeld genommen wurde, war ihnen nicht schlechthin jeder rechtliche Boden entzogen. Eine solche Betrachtungsweise wäre angebracht, wenn die ursprüngliche rechtliche Qualifizierung der tatsächlichen Leistungen isoliert für sich zu sehen wäre. So ist es aber nicht. Die erste rechtliche Basis der Leistungen ist vielmehr mit der Rentenberechtigung ausgewechselt worden. Der Wegfall des einen Leistungsgrundes und die gleichzeitige Entstehung des anderen bedingen einander. Deshalb sind auch die Leistungen, soweit sich die Verletztengeldbeträge mit der Rentenhöhe decken oder hinter dieser zurückbleiben, nicht zu Unrecht gewährt worden. Von einer Rückforderung dieser Verletztengeldbeträge kann sonach keine Rede sein, abgesehen davon, daß die Voraussetzungen einer solchen Rückforderung (§ 628 RVO) nur selten verwirklicht und nachweisbar wären, vor allem, wenn man bedenkt, daß der Leistungsempfänger das Nichtbestehen seines Anspruchs hätte kennen müssen. Das Ergebnis, mit dem sonst zu rechnen wäre, nämlich, daß der Empfänger das Erhaltene in der Regel nicht zurückzugeben brauchte und außerdem noch für eine vergangene Zeit eine Rentenforderung erworben hätte, wäre unvernünftig; eine solche Folge ist nicht zu unterstellen. Sie stünde der erklärten Absicht des Gesetzgebers entgegen. Dieser war bemüht, soweit dies die Sachlage gebot, eine ununterbrochene Aufeinanderfolge von Verletztengeld und Verletztenrente sicherzustellen, andererseits aber auch Doppelbezüge zum Ausgleich desselben Schadens und zu demselben Zweck zu vermeiden. Nach seiner Vorstellung dient das Verletztengeld zur Überbrückung kurzfristiger Lohn- und Gehaltsausfälle (§ 560 Abs. 1 Satz 1 RVO; Begr. zum Gesetzentwurf zu § 565 BT-Drucks. IV/120 S. 56). Sofern aber der Lebensstandard infolge Minderung der Erwerbsfähigkeit für dauernd herabgesunken ist, soll der Ausgleich durch die Verletztenrente hergestellt werden. Dieser Zeitpunkt ist gekommen, wenn sich die gesundheitliche Verfassung des Verletzten in gewissem Grade konsolidiert hat. Indessen soll das Ende des akuten Geschehens, also des für die Gewährung des Verletztengeldes maßgebenden Umstandes - d. i. die Arbeitsunfähigkeit -, nicht abgewartet werden, wenn infolge des Arbeitsunfalls auch die Erwerbsunfähigkeit i.S. der RentV verursacht worden ist. Sobald dieser Zustand erreicht ist - und einige hier nicht interessierende weitere Erfordernisse erfüllt sind -, steht dem Verletzten die Rente aus der UV zu (§ 580 Abs. 1 RVO). Mit dieser Best. hat das Ges. das Nebeneinander von Verletztenrente und Verletztengeld ausschließen wollen (BT-Drucks. IV/120 S. 58). Daß die Erwerbsunfähigkeit i.S. des § 1247 Abs. 2 RVO häufig erst einige Zeit nach ihrem Eintritt festgestellt wird, ist zu selbstverständlich, als daß es dem Gesetzgeber nicht bekannt gewesen sein könnte. Daß er dieses Faktum berücksichtigt hat, läßt die Formulierung des § 562 Abs. 1 RVO erkennen. Dort heißt es, daß das Verletztengeld mit dem Tage wegfällt, „für“ den „erstmalig“ Verletztenrente gewährt wird. Verständigerweise kann aus dieser Fassung entnommen werden, daß an eine Rückwirkung der Gesetzesfolge gedacht ist; dies wiederum schließt den Gedanken an einen Austausch der Verpflichtungsgründe für die bis dahin bewirkten Leistungen mit ein. Das, was der einzelne zum Zwecke der Befriedigung einer rückwirkend weggefallenen Forderung erhalten hat, muß er sich, soweit es in der Höhe nicht darüber hinausreicht, als Erfüllung einer anderen auf dieselbe Zeit zurückgreifenden Berechtigung anrechnen lassen. Damit wird dem Ges. im Wege der Auslegung die Anrechnungsbefugnis entnommen, die in § 557a RVO in der bis zum Inkrafttreten des UVNG geltenden Fassung für das Verhältnis der Leistungen der KrV zu denen der UV ausgesprochen war. Ist hiernach davon auszugehen, daß die - anfänglich als Verletztengeld deklarierten - Zahlungen ohne weiteres kraft Gesetzes auf den Anspruch auf Verletztenrente anzurechnen sind, dann bestehen keine Bedenken, diejenigen Grundsätze anzuwenden, die in bezug auf das Ruhen der Rente aus der RentV im Zusammenhang mit der Gewährung von Vorschüssen auf die Verletztenrente entwickelt worden sind (BSG 22, 233; SozR Nr. 3 zu § 75 RKG; Nr. 13 zu § 1278 RVO). Freilich bedeutet die Anrechenbarkeit der einen Leistung auf die andere nicht schon ohne weiteres, daß die Verletztenrente auch als zur vorangegangenen Zeit „ausgezahlt“ zu behandeln ist. Dies ist aber bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise die vernünftige und sachgerechte Lösung. Der Tatbestand des § 1278 Abs. 4 RVO ist erfüllt, weil die Rente aus der RentV nicht nur mit einem Anspruch gegen die UV, sondern mit einer effektiven Leistung aus dieser Versicherung zusammengetroffen ist und zwar einer Leistung, die im Hinblick auf die Verletztenrente bewirkt worden ist. Deshalb hat ein Teil der Versichertenrente vom Beginn dieser Leistung an zu ruhen.

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