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12 RJ 430/68

Gründe I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zeit, in der der Kläger die Heimvolkshochschule R. besucht hat, Ausfallzeit ist.

Nach seinem Volksschulbesuch erlernte der Kläger (geboren am 8. Mai 1940) vom 1. April 1956 bis zum 31. März 1959 den Tischlerberuf, bestand die Gesellenprüfung mit „Gut“ und arbeitete bis November 1962 als Tischlergeselle in R., Z. und Sch.-A. Vom 5. November 1962 bis zum 27. März 1963 besuchte er den 33. Lehrgang der Heimvolkshochschule R., in dem als Pflichtfächer Geschichte, Probleme aus Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, Gemeindepolitik, religiöse Fragen und Philosophie, Lebenskunde, Literatur und Kunst, niederdeutsche Sprache, Deutsch, Musik, Singen, Tanz, Laienspiel, Gymnastik und Sport sowie Heimgestaltung behandelt wurden. Der Unterricht wurde an den Werktagen von 8.00 Uhr bis in die Abendstunden erteilt. Für Unterkunft und Verpflegung sowie Lehrgangsgebühren hatte der Kläger, der während dieser Zeit keine Einnahmen hatte, etwa 500,00 DM zu zahlen. Im Anschluß an den Besuch der Heimvolkshochschule R. besuchte der Kläger bis zum 17. Juli 1965 die Meisterschule für das gestaltende Handwerk in F., wo er die Abschlußprüfung für künstlerische Formgebung und Gestaltung in der Abteilung Bau- und Raumgestaltung mit „befriedigend“ bestand. Am 12. Oktober 1967 legte er vor der Handwerkskammer F. die Meisterprüfung für das Tischlerhandwerk ab. Er ist technischer Angestellter der Bundespost.

In ihrem Bescheid vom 31. Mai 1966 hat die Beklagte die Eintragung der Zeit vom 4. November 1962 bis zum 27. März 1963 als Ausfallzeit in die Versicherungskarte Nr. 3 als rechtsungültig angefochten, und zwar mit der Begründung, bei dem Besuch der Heimvolkshochschule R. handle es sich weder um eine weitere Schulausbildung, noch um eine Fachschul- oder Hochschulausbildung, so daß die Voraussetzungen für die Eintragung dieser Zeit als Ausfallzeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gegeben seien.

Der Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 1967).

Das Sozialgericht (SG) hat auf die Klage die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die streitige Zeit als Ausfallzeit anzurechnen (Urteil vom 27. Juni 1967).

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Er rügt Verletzung des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO.

Der Kläger beantragt sinngemäß.

  • das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 4. September 1968 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Schleswig vom 27. Juni 1967 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Gründe II.

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Auffassung des LSG, daß die Zeit des Besuchs der Heimvolkshochschule durch den Kläger keine „weitere Schulausbildung“ im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO und damit keine Ausfallzeit ist, ist im Ergebnis beizutreten.

Gemäß § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO sind Ausfallzeiten im Sinne des § 1258 RVO Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung oder einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung, wenn im Anschluß daran oder nach Beendigung einer an die Lehrzeit die Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung anschließenden Ersatzzeit im Sinne des § 1251 innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist, jedoch eine Schul- oder Fachschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von vier Jahren, eine Hochschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von fünf Jahren.

Zutreffend hat das LSG in den Mittelpunkt seiner Erwägungen die Frage gestellt, ob die Zeit, in der der Kläger vom 5. November 1962 bis zum 27. März 1963 die Heimvolkshochschule R. besucht hat, „weitere Schulausbildung“ und damit überhaupt Ausfallzeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO ist, was - wie auch das Berufungsgericht richtig erkannt hat - davon zu trennen ist, ob eine etwaige Ausfallzeit später, nämlich nach Eintritt des Versicherungsfalles, als solche angerechnet werden kann. Die Teilnahme an dem Lehrgang der Heimvolkshochschule war jedenfalls keine Fachschulausbildung im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO, da hierbei eine Berufsausbildung im Vordergrund hätte stehen müssen, dies aber nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) während des Lehrgangs des Kläger an der Heimvolkshochschule nicht der Fall war.

Wenn auch von „Schulausbildung“ im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und auch an sonstigen Stellen der RVO in verschiedener Verknüpfung die Rede ist (vgl. z.B. § 1262 Abs. 3 Satz 2 RVO - Kinderzuschuß -; § 1267 Satz 2 RVO - verlängerte Waisenrente -), erläutert das Gesetz weder in § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO noch an sonstiger Stelle den Begriff der „Schulausbildung“ oder der „weiteren Schulausbildung“. Auch der Entstehungsgeschichte des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO läßt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, was der Gesetzgeber unter den hier maßgeblichen Worten „weitere Schulausbildung“ verstanden wissen wollte. Ersichtlich ist selbst in den entscheidenden Beratungen im Deutschen Bundestag über die Ausfallzeitenregelungen das Augenmerk auf andere Einzelheiten als die der „weiteren Schulausbildung“ gerichtet gewesen (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Stenographische Berichte Band 34, 185. Sitzung vom 17. Januar 1957, S. 10 336 bis 10 345, 187. Sitzung vom 21. Januar 1957, S. 10 561 f.).

Wenn sich damit auch die Entstehungsgeschichte des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO als unergiebig dafür erweist, wie die Worte „weitere Schulausbildung“ auszulegen sind, so geben doch insbesondere Sinn und Zweck der Vorschrift entscheidende Auslegungshinweise: Nach Lage der Dinge soll offensichtlich die Ausfallzeitregelung des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO denjenigen Versicherten einen angemessenen Ausgleich verschaffen, die sich über das vollendete 16. Lebensjahr hinaus einer für einen späteren Beruf notwendigen weiteren Schulausbildung unterzogen haben, also mit Rücksicht auf ihr Berufsziel außerstande gewesen sind, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen und dementsprechend Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben (vgl. von Altrock in: Honow / Lehmann / Bogs, RVO, 4. Buch Rentenversicherung der Arbeiter, 5. Auflage 1969, § 1259 Anm. 57). Schon hieraus folgt, daß jedenfalls der Kläger sich auf die Vorschrift nicht berufen kann, da für die von ihm angestrebten Berufstätigkeiten auf der Grundlage der Tischlermeisterprüfung und der Ausbildung zum Innenarchitekten der Besuch einer Heimvolkshochschule mit den angegebenen Lehrfächern nicht notwendig war.

Darüber hinaus kommt aber allgemein in Betracht: Regelmäßig wird nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die weitere Schulausbildung eine Schulausbildung auf einer weiterführenden Schule wie Real-, Mittel- oder Oberschule sein. Dies schließt zwar entgegen der Auffassung des LSG nicht aus, daß auch die Zeit einer Ausbildung nach vollendetem 16. Lebensjahr in einer anderen Bildungsstätte als den genannten weiterführenden Schulen Ausfallzeit sein kann, wenn eine derartige Ausbildung zumindest annähernd derjenigen entspricht, die den Schülern auf weiterführenden Schulen vermittelt wird. Eine derartige Feststellung läßt sich indes für die Teilnahme des Klägers an dem in Rede stehenden Lehrgang der Heimvolkshochschule R. nicht treffen. Dieser Lehrgang trug nicht - auch nicht in etwa - die Züge einer der Jugendausbildung dienenden Ausbildung auf einer weiterführenden Schule, wie die Heimvolkshochschule überhaupt, mindestens in der Regel nicht anstreben, die Schulausbildung zu ersetzen, sondern Einrichtungen der Erwachsenenbildung sind, die als solche eigenständig sind und grundsätzlich verfolgen eigene Bildungsziele, die mit denen der Jugendschulen nicht übereinstimmen, mit selbständigen Lehrmethoden und teilweise anderem Lehrstoff. Die Heimvolkshochschulen wollen weniger schulen oder unterrichten als erwecken und entfalten. Sie erstreben die Persönlichkeitsbildung und -entfaltung Erwachsener, ihre Hinwendung zur Verantwortung in Gesellschaft und Staat. Sie vermitteln damit weniger Ausbildung in einzelnen Fächern als Gesamtbildung. Erwachsenenbildungswesen und Schulwesen pflegen denn auch einander gegenübergestellt zu werden. (Vgl. F. Blättner, Stichwort „Volksbildungswesen“ und W. Fricke, Stichwort „Volkshochschule“ in: Evangelisches Kirchenlexikon, Kirchlich-theologisches Handwörterbuch, 2. Aufl. 1962, Band III; Brockhaus Enzyklopädie, 17. Aufl. des Großen Brockhaus, 5. Band, 1968, Stichwort „Erwachsenenbildung“: Fritz Laack, Die Heimvolkshochschule in der Bildungsgesellschaft, Aufgaben und Möglichkeiten der intensivsten Form der Erwachsenenbildung in geschichtlicher und theoretischer Sicht, 1968). Anders als in den Jugendschulen pflegen die Lehrgangsteilnehmer nicht entsprechend ihrem Alter und ihrem Ausbildungsstand in Klassen zusammengefaßt zu werden, nehmen vielmehr alle und ohne Einschränkung gleichzeitig an dem Lehrgang teil, ihr Leistungsstand wird nicht überwacht, eine Abschlußprüfung nicht abgelegt, Zensuren oder Zeugnisse werden nicht erteilt. Damit fehlen der Heimvolkshochschule wesentliche Merkmale dessen, was gemeinhin unter Schule verstanden wird (vgl. BSG vom 26. April 1968 - 12 RJ 410/65 - SozR RVO § 1267 Nr. 33).

Schließlich kann auch nicht außer acht gelassen werden, daß das Gesetz in § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO nicht den Ausdruck „Schulbesuch“ gebraucht, sondern von „Schulausbildung“ spricht. Eine Ausbildung aber setzt ein hinreichend bestimmtes Ausbildungsziel voraus, wie es etwa die Erlangung der mittleren Reife oder des Reifezeugnisses ist, da von Ausbildung nur gesprochen werden kann, wenn mit hinreichender Bestimmtheit die Frage beantwortet werden kann, wozu ausgebildet werde. So wenig der Bildungswert von Lehrgängen wie dem, an dem der Kläger teilgenommen hat, in Zweifel gezogen werden kann, so darf doch nicht übersehen werden, daß Bildung und Ausbildung nicht gleichbedeutend sind. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Frage, ob die Teilnahme an einem Heimvolkshochschullehrgang wie dem in Rede stehenden weitere Schulausbildung im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO ist, zu verneinen.

Das LSG hat sich in seinem Urteil auch noch mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt, er sei im 4. Schuljahr etwa 2 Monate krank gewesen und habe während dieser Zeit den Unterricht versäumt, weswegen er die Lücken im Schulwissen, insbesondere in der Rechtschreibung, auf der Heimvolkshochschule habe schließen wollen. Dabei hat sich der Kläger auf das Urteil des erkennenden Senats vom 25. Mai 1966 - 12 RJ 420/64 - (BSG 25, 44 = SozR RVO § 1267 Nr. 21) berufen, worin in einem Streit über eine verlängerte Waisenrente gemäß § 1267 Satz 2 RVO entschieden worden ist, die Teilnahme an einem Lehrgang einer Heimvolkshochschule mit ganztägigem Unterricht von mindestens 50 Wochenstunden sei jedenfalls dann Schulausbildung, wenn der Lehrgangsteilnehmer infolge Krankheit am regelmäßigen Besuch der Volksschule gehindert war und die Lücken, die dadurch bei ihm in dem sonst schon durch die Volksschule vermittelten Stoff entstanden sind, durch die Teilnahme an dem Lehrgang schließen will. Das LSG hat hierzu u.a. ausgeführt, selbst wenn man diese Gedankengänge des Bundessozialgerichts (BSG) auch den Erwägungen zu § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b RVO zugrunde legen wollte, müßte der Zusatz „weitere“ zumindest eine zeitlich und sachlich enge Verbindung zwischen regulärem Schulbesuch und „weiterer Schulausbildung“ voraussetzen. Daran fehlt es aber. Einmal liege der Besuch der Heimvolkshochschule 6 ½ Jahre nach Abschluß der regulären Volksschulzeit, zum anderen sei auch kein Bedürfnis dafür erkennbar, daß der Kläger bei einer Versäumnis im 4. Schuljahr und einer neunjährigen Gesamtschulzeit habe reguläres Schulwissen ausfüllen müssen. Dem ist jedenfalls beizutreten, ohne daß es hierzu weiterer Darlegungen bedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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