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11 RA 224/67

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 31. März 1967 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

I

Der Kläger erhält von der Beklagten Altersruhegeld seit Mai 1961. Als anerkannter Vertriebener (Ausweis A) möchte er bei der Berechnung der Rente Beitragszeiten von Januar 1934 bis Februar 1939 nach § 15 Fremdrentengesetz (FRG) angerechnet haben. In dieser Zeit war er bei Minen-Gesellschaften in der Republik Südafrika als Minenarbeiter beschäftigt. Die Beklagte lehnte seinen Antrag ab (Bescheid vom 7. Februar 1964). Das Sozialgericht (SG) Hamburg wies die Klage ab (Urteil vom 22. Juli 1965). Es stellte fest, daß in der streitigen Zeit zwar Versicherungsbeiträge der Arbeitgeber an den "Witwatersrand Gold Mines Employees Provident Fund" (im folgenden: Provident Fund) entrichtet worden seien; dabei habe es sich aber um keine gesetzliche Rentenversicherung gehandelt. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg wies die Berufung zurück (Urteil vom 31. März 1967). Es war ebenfalls der Ansicht, daß die mit dem Provident Fund, einer privaten Versicherungsgesellschaft, getroffene Regelung privater Natur gewesen sei; die Südafrikanische Union habe, wie auch ein Schreiben ihres Hamburger Generalkonsulats vom 3. Juni 1965 ergebe, noch keine gesetzliche Rentenversicherung eingeführt; wenn das Konsulat - unter Hinweis auf ein Schreiben der "Transvaal and Orange Free State Chamber of Mines (im folgenden: Chamber of Mines) - meine, daß der Provident Fund nach Statuten und Leistungen der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gleichzusetzen sei, so sei dies unerheblich.

Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zur Anrechnung der Beitragszeiten vom 1. Januar 1934 bis 28. Februar 1939 zu verurteilen,

hilfsweise begehrt er,

  • den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Er rügt eine Verletzung materiellen Rechts (§ 15 FRG). Alle im Minenbergbau, gleichgültig bei welcher Gesellschaft, Beschäftigten seien beim Provident Fund versichert gewesen; diese Versicherung habe nicht auf freiwilliger Grundlage beruht; vielmehr habe die Chamber of Mines kraft ihrer öffentlich-rechtlichen Funktionen auf die Mitgliedsunternehmen einen Versicherungszwang ausgeübt; ob die Versicherung der Beschäftigten in privatrechtlicher Form durchgeführt worden sei, sei unerheblich. Vorsorglich rügt der Kläger ferner eine Verletzung formellen Rechts (§§ 106, 128 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Nach seiner Meinung hätte das LSG seine Entscheidung nicht auf die Auskünfte des Generalkonsulats stützen dürfen, sondern selbst Ermittlungen bei der Chamber of Mines und dem Arbeits- und Sozialministerium von Südafrika vornehmen müssen.

Die Beklagte und die beigeladene Knappschaft beantragen,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie halten den Provident Fund für eine betriebliche Einrichtung der Südafrikanischen Minenindustrie.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist zulässig und begründet; der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dies ist ohne Rücksicht auf die Verfahrensrügen des Klägers schon von Amts wegen geboten, weil die tatsächlichen Feststellungen des LSG für die Entscheidung der Sache nicht ausreichen.

Nach den §§ 1, 14, 15 Abs. 1 FRG sind dem Kläger Beitragszeiten, die er bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt hat, bei der Berechnung seines Altersruhegeldes anzurechnen. Nach der - sich an BSG 6, 263 anlehnenden - gesetzlichen Definition des § 15 Abs. 2 Satz 1 FRG ist als gesetzliche Rentenversicherung jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern.

Das LSG hat nur wenige tatsächliche Feststellungen getroffen, so daß nicht klar erkennbar ist, welchen Sachverhalt es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und weshalb jedenfalls ein öffentlich-rechtlicher Zwang bei der Versicherung des Klägers zu verneinen wäre. Auf die Frage, ob ein solcher Versicherungszwang bestanden hat, kommt es hier entscheidend an. Denn die übrigen Merkmale einer gesetzlichen Rentenversicherung sind nach den Darstellungen des Klägers und den Schreiben des Generalkonsulats an die Beigeladene vom 22. Mai 1963, 9. März und 4. Mai 1965 sowie an den Kläger vom 3. Juni 1965 (Akten der Beklagten Bl. 60 und hintere Aktentasche; Akten des SG Bl. 21 und 26) wahrscheinlich erfüllt. Danach sind nämlich alle Minenarbeiter aufgrund ihrer Beschäftigung Mitglieder des (offenbar zum 1. Januar 1934 errichteten) Provident Fund gewesen und durch Rentenansprüche gegen Alter und Berufsunfähigkeit gesichert worden. Der Annahme einer gesetzlichen Rentenversicherung stünde nicht entgegen, daß sich die Sicherung auf eine Gruppe der Arbeitnehmerschaft (Minenarbeiter) beschränkt hat und daß allein die Arbeitgeber die Versicherungsbeiträge aufgebracht haben (vgl. BSG aaO).

Zum Versicherungszwang hat das LSG in tatsächlicher Hinsicht allenfalls festgestellt, daß der Provident Fund eine private Versicherungsgesellschaft gewesen sei. Die weitere Ausführung, daß die Versicherung bei ihm ebenfalls privater Natur gewesen sei, ist bereits eine rechtliche Würdigung. Mit einer solchen Begründung läßt sich ein öffentlich-rechtlicher Versicherungszwang hier nicht ausschließen.

Der Begriff des öffentlich-rechtlichen Zwanges wird zu sehr eingeengt, wenn ein Gesetz oder eine Verordnung als unmittelbare Grundlage der Versicherungspflicht gefordert wird. Wegen der Vielgestaltigkeit der sozialen Einrichtungen im Ausland (BSG aaO) muß vielmehr jede unmittelbare oder mittelbare hoheitliche Grundlage genügen (zum Beispiel eine Satzung; vergleiche SozR Nr. 16 zu § 15 FRG, möglicherweise sogar eine allgemein verbindliche Anweisung; vergleiche Merkle/Michel, Komm. zum FRG, Anm. zu § 6 FRG und Anm. Nr. 6 zu § 15 FRG). Es kommt auch nicht darauf an, ob die Zwangsversicherung mit der Aufnahme der Beschäftigung automatisch wirksam wird oder ob die Beschäftigung nur eine Pflicht zur Versicherung auslöst. Schließlich ist es nicht erheblich, ob die Institution, welche die Versicherung durchführt, eine Institution des Privatrechts ist. In BSG 6, 263 ist bereits hervorgehoben worden, daß eine gleiche Versicherungsorganisation wie in der Bundesrepublik nicht zu verlangen ist. Im internationalen Sozialversicherungsrecht ist die Einschaltung privater Versicherungsunternehmen in die Sozialversicherung nicht ungewöhnlich (vgl. Übereinkommen der internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1933 über die Pflichtversicherungen von Arbeitnehmern, Nr. 35 Art. 10 und Nr. 37 Art. 11). Auch die Republik Südafrika scheint davon Gebrauch zu machen, wie die Ausführungen im Bulletin der internationalen Vereinigung für soziale Sicherheit 1957, S. 85 zur Rentenversicherung der Industriearbeiter in Pretoria und S. 498 zu dem von der Gewerbekammer von Transvaal errichteten Pensionssystem für Arbeitnehmer der Verarbeitungsindustrie von Süd-Transvaal ergeben.

Es kommt daher auch darauf an, ob die Chamber of Mines etwa aufgrund einer von der Republik Südafrika erteilten Ermächtigung gegenüber den Arbeitgebern der Minenindustrie einen Zwang zur Versicherung der Arbeitnehmer bei dem Provident Fund ausgeübt hat. Wenn das der Fall war, dann hätte es sich um eine gesetzliche Rentenversicherung gehandelt (Merkle/Michel aaO). Insoweit wäre es ohne Bedeutung, ob man das Arbeitsverhältnis als weitere Grundlage der Versicherung und diese im weiteren Sinne noch als betriebliche Versorgungseinrichtung bezeichnen darf. Denn auch bei solchen Einrichtungen darf eine gesetzliche Rentenversicherung nur verneint werden, wenn sie auf privater (einschließlich tariflicher) Grundlage beruhen, was durch eine bloße staatliche Anerkennung oder staatliche Aufsicht noch nicht ausgeschlossen wird (BSG 15, 142, 146). Hat jedoch ein unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Versicherungszwang bestanden, dann ist auch eine solche Sicherungseinrichtung als gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des § 15 FRG anzusehen.

Der Sachverhalt muß somit in dieser Richtung noch weiter geklärt werden. Es kommen u.a. in Frage Ersuchen um Auskunft an die Botschaft der Bundesrepublik in Pretoria, an das "Department of Labour" - Arbeitsministerium - in Pretoria, möglicherweise auch an das "Department of Social Security" - Amt für Sozialversicherung - (vgl. Sozialversicherung im Ausland, Nr. 6 der Schriftenreihe des Gerling-Konzerns S. 291, 293), sowie an den General Manager des Provident Fund in Johannesburg, den die Chamber of Mines schon in ihrem dem Schreiben des Südafrikanischen Generalkonsulats in Hamburg vom 9. März 1965 beigefügten Schreiben als Auskunftsstelle für weitere Einzelheiten benannt hat.

Da das LSG die Feststellungen, die zur Beurteilung der Frage des Versicherungszwanges notwendig sind, bisher nicht vollständig getroffen hat, muß das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit zur Nachholung der Feststellungen an das LSG zurückverwiesen werden.

Bei der abschließenden Entscheidung ist auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens mitzubefinden.

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