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4 RJ 305/65

Gründe

Der Kläger beansprucht Witwerrente aus der RentV. seiner im Juli ... gestorbenen Ehefrau.

Die Versicherte hatte zusammen mit dem Kläger einen landwirtschaftlichen Betrieb von 3,600 ha bewirtschaftet; davon gehörten 0,863 ha den Eheleuten gemeinsam und 0,781 ha der Versicherten allein, während der Rest von 1,956 ha Pachtland war. Zur Zeit des Todes der Versicherten lebten im Haushalt der Eheleute ihr 20jähriger Sohn H. und ihr 17jähriger Sohn Ha. Im letzten Jahr vor dem Tode der Mutter verdiente H. 1.233,00 DM, sein Bruder Ha. 3.729,00 DM brutto.

Mit Bescheid vom 04.04.1963 lehnte die beklagte LVA den Rentenantrag des Klägers ab, weil die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend, wie es § 1266 RVO für die Gewährung einer Witwerrente voraussetzte, bestritten habe. Dabei setzte die Beklagte das Einkommen der Versicherten - aus Landwirtschaft - mit rund 2.000,00 DM, das des Klägers - aus Landwirtschaft, Lohnarbeit und Arbeitslosengeld - mit 2.082,00 DM an.

Die hiergegen gerichtete Klage ist vor dem SG ohne Erfolg geblieben.

Auf die Berufung des Klägers hat das LSG durch Urt. vom 17.03.1965 die Beklagte zur Rentengewährung verpflichtet.

Die - zugelassene - Revision der Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis richtig ...

Für die unter den Beteiligten streitige Frage, welcher Inhalt dem Begriff „Unterhalt der Familie“ (§ 1266 Abs. 1 RVO) beizumessen ist, kommt es auf die Abgrenzung des Kreises der Familienangehörigen an. Je weiter man diesen Kreis zieht, um so schwerer läßt sich die für den Anspruch auf Witwerrente geforderte Voraussetzung erfüllen. Dies galt um so mehr in der Zeit vor der Verordnung vom 17.05.1934 - RGBl. I 419 -, als der Unterhalt der Familie noch „aus ihrem - der Versicherten - Arbeitsverdienst“ bestritten worden sein mußte (§ 1260, später § 1261 RVO i.d.F. vor 1934). Das RVA hat deshalb in der vom LSG angeführten Entsch. Nr. 2090 zur „Familie“ i.S. des § 1260 RVO a.F. außer dem Ehemann der Versicherten nur die waisenrentenberechtigten Kinder - damals Kinder unter 15 Jahren - gezählt. Es hat die dahingehende Auslegung des Ges. mit dessen Zweckbestimmung, nämlich der Hinterbliebenenfürsorge, begründet. In der Unterhaltsberechtigung von Kindern nach §§ 1601 ff. BGB hat es kein geeignetes Kriterium für eine klare und brauchbare Abgrenzung des Kreises der Familienangehörigen gesehen, weil dann auch erwachsene, aber zu ihrem eigenen Unterhalt unfähige Kinder zur Familie zu zählen wären, was den Kreis der in Betracht kommenden Personen zu groß werden lasse, und weil die Übernahme der Begriffe der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsberechtigung und Unterhaltspflicht in die ohnedies vielseitigen Voraussetzungen für die Renten aus § 1260 RVO a.F. eine weitere Schwierigkeit bedeuten würde. Wie sich das RVA in der angeführten Entsch. auf vorhandenes Schrifttum stützen konnte, so billigt auch das nach 1915 erschienene Schrifttum durchweg die Rechtsprechung des RVA und zählt dementsprechend nach der Ausdehnung der Waisenrentenberechtigung auf Kinder im Alter bis zu 18 bzw. 25 Jahren auch diese Kinder zur „Familie“ i.S. des § 1266 RVO n.F. (vgl. z.B. Hanow/Lehmann, Reichsversicherungsordnung, Viertes Buch, 195, § 1260 Anm. 5; RVO-Gesamtkommentar § 1266 Anm. 1 Abs. 3; Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 1266 Anm. 5; Koch / Hartmann, Das Angestellten-Versicherungsgesetz, § 43 Anm. B 1 S. 368; Elsholz / Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, S. 147 Nr. 50 Anm. 1 b zu § 1266 RVO; Eicher / Haase, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, § 1266 RVO, Anm. 5) In Übereinstimmung hiermit hat der-erkennende Senat in einer in BSG 14 veröffentlichten Entsch. bei der Anwendung des § 1266 RVO di 17jährige Tochter eines Ehepaares zur „Familie” gerechnet und sie - ohne weitere Begr. - in Höhe ihres in die gemeinsame Haushaltskasse abgeführten Jahreseinkommens von 675,00 DM als Miternährer der Familie angesehen.

Eine Fortsetzung dieser Rechtspr. läßt sich unter den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten der Gegenwart nicht mehr vertreten. Schon die Begr., die das RVA für seine Entsch. Nr. 2090 gegeben hat, weist Schwächen auf. Zwar läßt sich nicht beanstanden, daß das RVA die Zweckbestimmung als Auslegungsmittel hat gelten lassen. Es überzeugt aber nicht, daß sich aus dem Gesichtspunkt der Hinterbliebenenfürsorge die vom RVA gefundene Lösung ergeben soll. Mit dem Rechtsinstitut der Witwerrente wird der Zweck verfolgt, dem Witwer, dessen versicherte Ehefrau die Hauptlast des für die Familie aufzubringenden Unterhalts getragen hatte, nach deren Ableben einen gewissen Ausgleich für den eingetretenen Unterhaltsausfall zu gewähren. Dieser Zweck wird mit der gesetzlichen Regelung in der Auslegung der RVA-Rechtsprechung erreicht, wenn nur die Eheleute - oder nur die versicherte Ehefrau - den Unterhalt der Familie aufbringen; er kann aber unerreichbar werden, wenn ein - für den Fall des Todes der Mutter - waisenrentenberechtigtes Kind der Familie eigenes Einkommen hat und damit zum Familienunterhalt beiträgt, gleichzeitig aber mit einem seinem Beitrag gleichkommenden oder ihn übersteigenden Anteil aus der gemeinsamen Haushaltskasse unterhalten wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn in einer Familie die Ehefrau 280,00 DM, der Ehemann 220,00 DM und ein - waisenrentenberechtigtes - Kind 100,00 DM zum Unterhalt der Familie beiträgt und jeder der drei Familienangehörigen 200 DM verbraucht. Wollte man in einem solchen Falle das Kind als Miternährer der Familie ansehen und bei der Anwendung des § 1266 RVO mitberücksichtigen, dann hätte die Ehefrau die Familie - bei deren Gesamtbedarf von 600,00 DM - nicht überwiegend unterhalten, und die Voraussetzungen der Witwerrente wären nicht erfüllt, obwohl das Kind mit seinem Einkommen die wirtschaftliche Lage der Eltern - im Verhältnis zu einem kinderlosen Ehepaar - nicht verbessert, sondern im Endergebnis verschlechtert hat. Die Verknüpfung des Begriffs „Familie“ i.S. des § 1266 RVO mit der Waisenrentenberechtigung ist also geeignet, zu einer Verfälschung des vernünftigerweise zu erwartenden Ergebnisses zu führen. - Die angeführte Rechtspr. des RVA erscheint auch insofern bedenklich, als nach ihr volljährige Kinder, die außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, bei der Anwendung der Vorschrift über die Witwerrente grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hätten. Für die Berechtigung einer solchen Annahme fehlt es aber an einleuchtenden Gründen; denn erwerbsunfähige volljährige Kinder unterliegen nach §§ 1601, 1602 Abs. 1 BGB der Unterhaltspflicht der Eltern und damit der Familienlast. - Schließlich überzeugt auch nicht die Begr., mit der das RVA es abgelehnt hat, aus den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Unterhaltsberechtigung Erkenntnisse für die Abgrenzung des Kreises der Familienangehörigen i.S. des § 1260 RVO a.F. herzuleiten. Es hat sich darauf beschränkt, den nach jenen Vorschriften in Betracht kommenden Kreis als zu groß zu bezeichnen und auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben würden, die Unterhaltsberechtigung bzw. Unterhaltspflicht der Beteiligten festzustellen. - Wenn die Rechtspr. des RVA trotz der aufgezeigten Bedenken damals keinen Widerspruch gefunden hat, so mag dies darauf beruhen, daß sie in einer Zeit, in der Waisenrente nur bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres gewährt wurde und Kinder in diesem Alter in der Regel kein eigenes Einkommen hatten, im allgemeinen zu zufriedenstellenden Ergebnissen geführt hat. Die damaligen Verhältnisse haben sich jedoch mit der Ausdehnung des Bezugs der Waisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres entscheidend geändert. Hinzu kommt die erhebliche Anhebung der Lehrlingsentgelte, besonders aber die Verbesserung der Lohnverhältnisse aller sonstigen jugendlichen Beschäftigten in neuerer Zeit. Unter diesen veränderten Umständen läßt es sich nicht rechtfertigen, die Rechtspr. des RVA aus dem Jahre 1915 - selbst wenn man sie für die damalige Zeit für vertretbar hält - in der Weise in die Gegenwart zu übernehmen, daß alle Kinder bis zur Vollendung des 18.  bzw. 25. Lebensjahres ohne Rücksicht auf eigenes Einkommen und eigene Beiträge zur gemeinsamen Haushaltskasse bei der Anwendung des § 1266 RVO zu berücksichtigen wären.

Nach der Auffassung des erkennenden Senats darf man bei der Auslegung des in § 1266 RVO enthaltenen Begriffs „Unterhalt der Familie“ die einschlägigen Vorschriften des bürgerlichen Rechts nicht außer Betracht lassen, muß vielmehr den Weg beschreiten, den zu gehen das RVA seinerzeit abgelehnt hat. Er bietet sich nach dem Erlaß des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18.06.1957 um so eindringlicher an, als nunmehr im BGB nicht nur - wie vordem - die gegenseitige Unterhaltspflicht der Ehegatten und deren Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern geregelt, sondern auch angeordnet ist, daß die Ehegatten „einander verpflichtet“ sind, ... „die Familie angemessen zu unterhalten" (§ 1360 BGB i.d.F. des GleichberechtigungsG). Nach § 1360a Abs. 1 BGB umfaßt der angemessene „Unterhalt der Familie“ alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen. Der in diesen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu findende Begriff „Unterhalt der Familie“ gibt, worauf bereits der 1. Senat des BSG in seinem Urt. vom 14.12.1964 (SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO) hingewiesen hat, auch einen brauchbaren Maßstab für die Auslegung des gleichen Begriffs in § 1266 RVO. Dies gilt jedenfalls für gemeinsame Kinder des Witwers und seiner verstorbenen - versicherten - Ehefrau. Hiernach scheiden Kinder, die nicht unterhaltsberechtigt sind, weil sie ein ausreichendes Einkommen haben, aus der nach § 1266 RVO anzustellenden Betrachtung über den Umfang des Unterhalts der Familie aus; ihr Lebensbedarf ist nicht von den Eltern zu bestreiten und wird deshalb nicht vom „Unterhalt der Familie“ umfaßt. Wohl können solche Kinder, nämlich dann, wenn sie den Eltern mehr „abgeben“, als sie selbst verbrauchen, am Unterhaltsaufbringen für die Familie beteiligt sein. Ferner sind bei der Anwendung des § 1266 RVO Kinder, die nur zu einem Teil ihres Unterhaltsbedarfs unterhaltsberechtigt sind, nur mit diesem Teilbedarf zu berücksichtigen, d.h. zum „Unterhalt der Familie“ gehört nur das, was die Eltern pflichtgemäß zum Unterhalt dieser Kinder beitragen; ein solches Kind ist dagegen nicht in Höhe seines Beitrags zur gemeinsamen Haushaltskasse als Miternährer der Familie anzusehen (so auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III S. 688).

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich für den zu entscheidenden Streitfall folgendes: Bei der Ermittlung des „Unterhalts der Familie“ bleibt der Sohn Ha. außer Betracht, weil er nicht von den Eltern unterhalten worden ist. Er war auch an der Aufbringung des Unterhalts der Familie nicht beteiligt; denn er hat nach dem festgestellten Sachverhalt sein Arbeitseinkommen von monatlich 250,00 DM netto für sich verbraucht. Für den Sohn H. ist ein gewisser Betrag - entsprechend dem Anteil seiner Unterhaltsberechtigung - anzusetzen, der den „Unterhalt der Familie“ belastet; der Sohn H. ist aber nicht in Höhe seines Monatsverdienstes von etwa 100,00 DM Miternährer der Familie.

Hiernach ist der „Unterhalt der Familie“ allein von den Eheleuten - aus der Landwirtschaft - bestritten worden. Wie hoch deren Einnahmen zu beziffern sind - die Beklagte hat sie im Verwaltungsverfahren mit 2000,00 + 1398,00 DM jährlich ermittelt -, ist für die Entsch. des Rechtsstreits unwesentlich, weil die Verhältnisse, in denen die Familie lebte, eine unterhaltsfremde Verwendung der Einnahmen ausschloß, die gesamten Einnahmen vielmehr dem „Unterhalt der Familie“ gleichzusetzen sind (vgl. hierzu BSG SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO).

Die Frage, welcher der beiden Ehegatten den Unterhalt der Familie „überwiegend“ bestritten hat, ist vom LSG jedenfalls im Ergebnis zutreffend dahin beantwortet worden, daß dies die Versicherte war. „Überwiegend“ wird der Unterhalt der Familie von demjenigen bestritten, der mehr als die Hälfte dazu beiträgt (vgl. RVA, AN 1929, 145 - GE Nr. 3379; BSG SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO). Dies trifft auf die Versicherte schon deshalb zu, weil sie dem landwirtschaftlichen Betrieb, an dem die Eheleute nach dem festgestellten Sachverhalt arbeitsmäßig zu gleichen Anteilen beteiligt waren, die größere Anbaufläche zur Verfügung gestellt hat - 1,21 ha gegenüber 0,43 ha Eigentumsanteil des Klägers. Ihr Anteil am Unterhaltsaufbringen ist also jedenfalls um die Differenz im Ertragswert des beiderseitigen Eigentums größer als der Anteil des Klägers. Diese Überlegung liegt auch schon dem mit der Klage angefochtenen Besch. der Beklagten zugrunde. Ob darüber hinaus der Anteil der Versicherten um den Wert der von ihr verrichteten Hausarbeit zu erhöhen und wie dieser Wert gegebenenfalls zu bemessen ist, kann hiernach unentschieden bleiben.

Die Revision ist somit als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).

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