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11/12 RJ 234/67

Aus den Gründen

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten K. wurde im Mai 1952 aus überwiegendem Verschulden des Mannes geschieden. Im November 1952 schloß K. eine neue Ehe. Am 4.8.1963 starb der Versicherte, am 21.9.1963 starb seine zweite Frau.

Durch Besch. vom 24.04.1964 bewilligte die Beklagte eine Witwenrente für September 1963. Den Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenrente - Geschiedenenwitwenrente - lehnte sie dagegen in einem weiteren Besch. vom gleichen Tage ab, weil die Voraussetzungen des § 1265 RVO - i.d.F. vor dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz - RVÄndG - vom 09.06.1965 - nicht erfüllt seien.

Die Klage hatte vor dem LSG Erfolg; es verurteilte die Beklagte, der Klägerin Hinterbliebenenrente ab 01.07.1965 zu gewähren. Zwar seien die Voraussetzungen des § 1265 Satz 1 RVO - n.F. = i.d.F. des RVÄndG - nicht erfüllt, denn zu Unterhaltungsleistungen i.S. dieser Vorschrift an die Klägerin sei K. weder nach den Vorschriften des EheG noch aus anderen Gründen verpflichtet gewesen, er habe der Klägerin auch nicht tatsächlich Unterhalt geleistet. Er sei wegen seines geringen Einkommens und seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande gewesen, der unterhaltsbedürftigen Klägerin den nach § 58 EheG zustehenden angemessenen Unterhalt zu gewähren; nach § 59 EheG habe die Klägerin höchstens einen Betrag von 30,70 DM monatlich als Unterhalt verlangen können. Diese Summe habe 25 % ihres Mindestbedarfs - 135,60 DM : 4 = 33,90 DM - nicht erreicht und sei deshalb nicht als „Unterhalt“ i.S. des § 1265 Satz 1 RVO zu werten. Auf Grund des § 1265 Satz 2 RVO n.F. (i.V.m. Art. 5 §§ 4 und 10 RVÄndG) stehe der Klägerin jedoch ab 01. 07.1965 die Hinterbliebenenrente zu, weil eine Unterhaltspflicht in dem nach § 1265 RVO erforderlichen Umfang nur wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse von K. nicht bestanden habe und weil auch seit dem Tode der Witwe im September 1963 keine Witwenrente mehr zu gewähren sei.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1265 Satz 2 RVO (1. Halbsatz). Ob eine Witwenrente nicht zu gewähren sei, richte sich nach dem Zeitpunkt des Todes des Versicherten, spätere Änderungen seien unbeachtlich.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat sie zu Recht verurteilt, der Klägerin ab 01.07.1965 Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO zu gewähren.

Nach § 1265 Satz 1 RVO wird einer geschiedenen Ehefrau nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Der durch das RVÄndG eingefügte Satz 2 des § 1265 RVO bestimmt ergänzend: „Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren, findet Satz 1 auch dann Anwendung, wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat.“

Der Senat kann - zumal die Klägerin das Urteil des LSG nicht angefochten hat - dahingestellt lassen, ob das LSG auf Grund seiner tatsächlichen Feststellungen eine Verpflichtung der Beklagten zur Rentengewährung nach § 1265 Satz 1 RVO mit Recht verneint hat, ob es insbesondere annehmen durfte, daß zur Zeit des Todes des Versicherten eine Unterhaltspflicht i.S. von § 1265 RVO - d.h. eine Pflicht des Versicherten zur Unterhaltsleistung in Höhe von mindestens 25 % des notwendigen Unterhalts der Klägerin (BSG 22, 44) - nach dem EheG nicht bestanden hat. Denn ab 01.07.1965 muß die Beklagte jedenfalls nach § 1265 Satz 2 RVO die Hinterbliebenenrente gewähren. Aus den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG ergibt sich, daß die Klägerin während des maßgebenden letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten - vor seiner Erkrankung vom Februar 1963 - nur Sozialhilfe erhielt, daher unterhaltsbedürftig i.S. des § 58 EheG war, und daß der nach dieser Vorschrift angemessene Unterhalt 25 % ihres Mindestbedarfs überschritt. Geht man mit dem LSG davon aus, daß der Versicherte der Klägerin auf Grund von § 59 EheG nur Unterhalt in einem geringeren Betrag als 25 % ihres Mindestbedarfs zu leisten brauchte - bei 25 % des Mindestbedarfs und mehr wäre schon § 1265 Satz 1, erste Alternative, erfüllt -, dann ist eine Voraussetzung des § 1265 Satz 2 - letzter Halbsatz - gegeben, nämlich die, daß eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten wegen seiner Vermögens- und Erwerbsverhältnisse nicht bestanden hat. Das LSG hat insoweit zu Recht ausgeführt, daß auch im Rahmen des § 1265 Satz 2 RVO nur eine Unterhaltsverpflichtung in Höhe von wenigstens 25 % des Mindestbedarfs der geschiedenen Frau von Bedeutung sein kann. Falls K. einen solchen Betrag an die Klägerin „zur Zeit, seines Todes“ nicht leisten konnte, dann lag das nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG allein an seiner unzureichenden Leistungsfähigkeit, d.h. an seinen schlechten Vermögens- und Erwerbsverhältnissen. Es kommt deshalb entscheidend auf die weitere Voraussetzung in § 1265 Satz 2 - 1. Halbsatz - an, d.h. ob eine Witwenrente nicht zu gewähren ist. Auch diese Voraussetzung des § 1265 Satz 2 RVO hat das LSG zu Recht bejaht.

Dem steht nicht entgegen, daß die den Versicherten kurz überlebende zweite Frau Anspruch auf Witwenrente gehabt und daß die Beklagte die Witwenrente auch für September 1968 - an Rechtsnachfolger der Witwe - gewährt hat. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Frage, ob eine Witwenrente nicht zu gewähren ist, nicht der Zeitpunkt des Todes des Versicherten maßgebend, sondern die Zeit, für die die Rente nach § 1265 RVO begehrt wird. Die Anspruchsvoraussetzung des § 1265 Satz 2 RVO, daß „eine Witwenrente nicht zu gewähren ist“, ist nicht nur erfüllt, wenn der Versicherte keine Witwe hinterläßt; sie ist auch gegeben, wenn die Witwenrente später infolge Todes der Witwe wegfällt (ebenso Hoernigk / Jorks, Rentenversicherung, Anm. 6 zu § 1265 RVO; VerbKomm., Anm. 13 zu § 1265 RVO; Schimanski, Knappschaftsversicherung, Anm. 8 zu § 65 RKG; a.A. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 1967 S. 688 n/o; Eicher / Haase, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 3. Aufl. Anm. 13 zu § 1265 RVO; Pappai, BABl. 1965, 602). Streitig ist noch der Anspruch der Klägerin für die Zeit ab Juli 1965. In dieser Zeit ist keine Witwenrente zu gewähren, der Witwe von K. stand nur für September 1963 eine Witwenrente zu.

Für diese Auslegung spricht schon der Wortlaut der einschlägigen Gesetzesstellen. Die Worte „ist eine Witwenrente nicht zu gewähren“ beziehen sich nicht auf einen festgelegten Zeitpunkt. Entgegen der Ansicht der Beklagten läßt sich aus der Bezugnahme von § 1265 Satz 2 auf Satz 1 nichts dafür entnehmen, daß der Tod des Versicherten, d.h. der Eintritt des VersFalles, insoweit maßgeblich sei. Zur Gewährung von Witwenrente wird in Satz 1 nichts gesagt; sie ist in § 1264 RVO geregelt. Soweit Satz 1 für den Anspruch der geschiedenen Frau Zeitbestimmungen enthält, meinen sie auch nicht den Eintritt des VersFalles. So bedeutet „zur Zeit seines Todes“ ebenso wie „im letzten Jahr vor seinem Tode“ einen Zeitraum zu Lebzeiten des Versicherten, der im Einzelfall nicht einmal bis unmittelbar zum Tode gereicht haben muß (vgl. BSG SozR Nr. 8, 9, 22 zu § 1265 RVO). Im übrigen heißt es in allen Bestimmungen über die Gewährung von Hinterbliebenenrenten, insbesondere in § 1264 und § 1265 RVO, die Rente werde „nach dem Tode des Versicherten“ gewährt. Damit kann jeder Zeitabschnitt nach dem Tode des Versicherten gemeint sein.

Die Ansicht, es komme auf den Zeitpunkt des Todes an, kann sich nicht auf allgemeine Grundsätze des Rentenversicherungsrechts berufen. Dieses enthält keine Regel, daß alle Voraussetzungen des Rentenanspruchs stets im Zeitpunkt des VersFalles gegeben sein müßten (vgl. z.B. die später aufgenommene Berufsausbildung bei der Waisenrente nach § 1267 RVO und dazu SozR Nr. 12 zu § 1290 RVO). Deshalb ist es hier auch ohne Bedeutung, daß die Witwenrente der zweiten Frau gemäß § 1290 Abs. 1 Satz 2 RVO (i.d.F. vor dem Finanzänderungsgesetz vom 21.12. 1967), weil der Versicherte eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezog, überhaupt erst mit dem Ablauf des Sterbemonats des Versicherten beginnen konnte.

Die vorstehende Auslegung des § 1265 Satz 2 RVO wird aber vor allem durch den Sinn und Zweck dieses durch das RVÄndG eingefügten Satzes gestützt. Mit ihm wollte der Gesetzgeber einerseits der geschiedenen früheren Frau helfen und andererseits der Witwe nicht schaden (vgl. BSG SozR Nr. 3 zu § 1265 RVO; Entw. eines Gesetzes zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen, BT-Drucks. Nr. 1VI2572 Anl. 2 zu § 9 und Bericht des Abgeordneten O. zu Drucks. Nr. IVI3233 zu § 1265 RVO). Nach der früheren gesetzlichen Regelung konnte die geschiedene Frau keine Hinterbliebenenrente bekommen, wenn eine Unterhaltspflicht des Versicherten „zur Zeit seines Todes“ wegen seiner fehlenden Leistungsfähigkeit nicht bestanden hatte. Da das Unvermögen zur Leistung oft durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder zu geringen Verdienst des Versicherten bedingt war, bedeutete die - zusätzliche - Versagung der Geschiedenenwitwenrente in solchen Fällen für die geschiedene Frau eine Härte. Diese sollte durch § 1265 Satz 2 RVO ausgeräumt werden, vorausgesetzt, daß die Witwe des Versicherten darunter nicht leiden würde. Die Gewährung der Rente an die geschiedene Frau sollte in derartigen Fällen nicht nach § 1268 Abs. 4 RVO zu einer Kürzung der Witwenrente führen. Deshalb gelten die leichteren Voraussetzungen für die Gewährung der Geschiedenenwitwenrente nur dann, wenn keine Witwenrente zu gewähren ist. Dies ist vor allem der Fall, wenn beim Tode des Versicherten keine Witwe vorhanden ist. Die zur Schaffung des § 1265 Satz 2 RVO führenden Erwägungen haben aber auch Bedeutung, wenn zu entscheiden ist, ob die Vergünstigung des § 1265 Satz 2 RVO nach dem Tode der Witwe von nun an der geschiedenen früheren Frau zugute kommen soll. Denn die Härte, die für sie darin liegt, daß sie wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit des Versicherten zur Zeit seines Todes keine Geschiedenenwitwenrente nach seinem Tode erhält, besteht auch dann noch fort, diese Härte trifft die geschiedene Frau in der gesamten Zeit nach dem Tode des Versicherten; sie kann aber jetzt wenigstens nach dem Tode der Witwe ausgeglichen werden. Daß die Witwe nun durch die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente keine Nachteile mehr erleiden kann, liegt auf der Hand.

In der Entstehungsgeschichte des § 1265 Satz 2 RVO findet sich kein überzeugender Anhalt dafür, daß diese Auslegung nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen würde (soweit im Bericht des Abg. Ollesch vom Vorhandensein einer Witwe neben der früheren Ehefrau die Rede ist, fehlt auch dort ein zeitlicher Bezugspunkt). Zu ihrer Begründung läßt sich im übrigen noch anführen, daß das Ges. auch sonst bei Wegfall von Hinterbliebenen eine Verbesserung der Rechtstellung der übrigen Hinterbliebenen vorsieht (§ 1268 Abs. 4 Satz 1 und § 1270 Abs. 1 Satz 3 RVO; zur ersten Vorschrift, nach der die Rententeilung davon abhängt, ob mehrere Berechtigte „vorhanden“ sind, vgl. Mitt. LVA Württ. 1967, 152, 153, Ludwig, SozVers 1962, 306, 308, auch Lauterbach, Unfallversicherung, Anm. 11 und 13 zu § 592 RVO).

Nicht zu entscheiden ist hier darüber, ob i.S. des § 1265 Satz 2 RVO eine Witwenrente auch dann „nicht zu gewähren“ ist, wenn die Witwe sich wieder verheiratet und ihre Witwenrente deshalb wegfällt - gegebenenfalls abgefunden wird und später wiederauflebt -. Die Entscheidung dieser Frage berührt die Auslegung des § 1265 Satz 2 RVO für den vorliegenden Fall nicht. Auch wenn nämlich mit zu bedenken ist, daß der VersTr. grundsätzlich an mehrere Berechtigte i.S. der §§ 1264, 1265 RVO der Gesamthöhe nach zu keiner Zeit mehr als eine volle Rente zahlen soll, wird hier diesem Bestreben des Gesetzgebers durchaus Rechnung getragen, weil im vorliegenden Fall Leistungen des VersTr. an die Witwe für die Zeit ab Juli 1965 völlig ausscheiden.

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