3 RK 72/64
Aus den Gründen
Die klagende GmbH zahlte ihren Angestellten im November 1961 Weihnachtsgratifikationen in Höhe etwa eines halben Monatsgehalts. Dabei ließ sie die Empfänger eine Erklärung unterschreiben, nach der die Weihnachtsgratifikation nicht fällig und beim Ausscheiden zurückzuzahlen sei, wenn die Angestellten ihre Tätigkeit vor dem 31.3.1962 kündigen sollten. Diese Erklärung haben auch die beigeladenen Angestellten abgegeben. Die klagende GmbH führte für die Beigeladenen im Monat November 1961 Sozialversicherungsbeiträge ab, die nach dem vertraglich zustehenden Gehalt und der Weihnachtsgratifikation berechnet wurden, soweit diese 100 DM überstieg. Auch die Lohnsteuer für diesen Betrag wurde im November 1961 entrichtet.
Die beigeladenen Angestellten kündigten ihr Beschäftigungsverhältnis bis zum 31.3.1962. Von dem für den letzten Beschäftigungsmonat zu zahlenden Gehalt zog die Klägerin die Weihnachtsgratifikation ab und versteuerte nur das gekürzte Gehalt. Von den auf das volle Gehalt berechneten Beiträgen zur SozVers behielt die Klägerin gegenüber der beklagten Ersatzkasse im Monat des Ausscheidens der Beigeladenen die Beträge ein, die im November 1961 bei Hinzurechnung des beitragspflichtigen Teiles der Weihnachtsgratifikation zu dem normalen Gehalt nach Ansicht der Klägerin zu viel gezahlt worden waren.
Die beklagte ErsK ist der Auffassung, eine Rückgewähr dieser Beiträge im Wege der Erstattung oder Verrechnung sei nicht zulässig.
Das SG hat den entsprechenden Besch. aufgehoben.
Die gegen dieses Urt. eingelegten Berufungen der beklagten ErsK und der beigeladenen BfA hat das LSG zurückgewiesen.
Gegen dieses Urt. haben die beklagte ErsK und die beigeladene BfA Revision eingelegt.
Die Revisionen sind unbegründet, weil das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, daß der beklagten ErsK die streitigen Beiträge in Höhe von 11,30 DM nicht zustehen.
Weihnachtsgratifikationen, d.h. Zuwendungen, die in der Zeit vom 15.11. eines Kalenderjahres bis zum 15.1. des folgenden Kalenderjahres aus Anlaß des Weihnachtsfestes - Neujahrstages - gezahlt werden, gehören, soweit sie 100 DM übersteigen, zum beitragspflichtigen Entgelt i.S. der SozVers (Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 27.12.1960, BGBl. I 1077).
Jedoch hat im vorliegenden Fall die Weihnachtsgratifikation durch die Rückzahlung nachträglich wieder ihre Eigenschaft als Entgelt verloren. Daß die Vereinbarung von Rückzahlungsklauseln arbeitsrechtlich zulässig ist, hat das BAG wiederholt entschieden; allerdings dürfen solche Klauseln nur eine für den Arbeitnehmer zumutbare, insbesondere überschaubare Zeit umfassen; welche Zeit dabei für den Arbeitnehmer zumutbar ist, hängt namentlich von der Höhe der Gratifikation ab (BAG vom 10.5.1962 = AP Nr. 22 zu, § 611 BGB „Gratifikation“, Bl. 143). Erhält z.B. ein Arbeitnehmer - wie hier die Beigeladenen zu 1) bis 4) - einen Betrag, der 100 DM übersteigt, jedoch nicht einen Monatsbezug erreicht, so ist ihm regelmäßig die Einhaltung einer Rückzahlungsklausel mit Frist bis zum 31.3. des darauffolgenden Jahres zuzumuten.
Eine solche zulässigerweise unter Vorbehalt gezahlte Gratifikation kann entgegen der Auffassung des SG nicht als Darlehen angesehen werden. Der Zweck eines Darlehens ist auf vorübergehende Nutzung von Geld oder anderen vertretbaren Sachen gerichtet; die unbedingte Rückzahlung des Darlehens ist Inhalt des Vertrages (§ 607 BGB). Demgegenüber steht auch die unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährte Weihnachtsgratifikation unmittelbar in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis; sie stellt ein zusätzliches Entgelt als Anerkennung für geleistete Dienste dar und soll gleichzeitig einen Anreiz zum Verbleiben im Betrieb geben. Sie kann deshalb unter der auflösenden Bedingung gewährt werden, daß das Arbeitsverhältnis nicht bis zu einem bestimmten Tage gekündigt wird (vgl. BAG AP §611 BGB „Gratifikation“ Nr. 1 und Nr. 15). Mit dem Eintritt der Bedingung entfällt die Wirkung des Rechtsgeschäfts (§ 158 Abs. 2 BGB) und damit der rechtliche Grund für die erbrachte Leistung. Jedoch bleiben auch zu Unrecht gewährte Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis Entgelt und sind, solange sie dem Empfänger belassen werden, als lohnsteuerpflichtiges und damit auch als beitragspflichtiges Entgelt i.S. der SozVers anzusehen (BFH vom 13.12.1963, BStBl. 1964 III 184; vgl. ferner RFH, RStBl 1934, 297 f zum Problem der Überzahlung bei Vorschüssen).
Werden sie aber zurückgezahlt, so sind die Rückzahlungen im Steuerrecht nach neuerer Rechtspr. als einkommensmindernd zu behandeln; eine Wiederaufrollung des Veranlagungszeitraumes, dem sie zugerechnet worden sind, findet nicht statt (BFH BStBl. 1964 III 184 f). Sie sind also von dem für den Veranlagungszeitraum der Rückzahlung maßgebenden Einkommen abzuziehen (vgl. auch Hartmann/Böttcher, Großkomm. zur Einkommensteuer, Bd. II 21. Lfg. September 1966, § 9 Anl. 2 e). Dementsprechend hatte die klagende Firma zu Recht nur das um die Weihnachtsgratifikation geminderte Märzgehalt versteuert.
Eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze auf das Beitragsrecht, die auch der Gem. Erlaß des RFM und des RAM vom 10.9.1944 (AN 281) nicht vorsieht, würde zu Ergebnissen führen, die mit tragenden Grundsätzen des Sozialversicherungsrechts nicht vereinbar wären. Schon rechnerisch würden diejenigen Beiträge, die von dem um die Gratifikation gekürzten Einkommen weniger zu zahlen wären, denjenigen, die im Monat November mehr entrichtet worden sind, keineswegs entsprechen. Vor allem aber könnten sich für das Leistungsrecht Unzuträglichkeiten ergeben. Würden nämlich die der Leistungsbemessung zugrundezulegenden Märzbezüge um den Betrag der Gratifikation gekürzt werden, so würde sich diese Kürzung mindernd auf das Krankengeld (§ 182 Abs. 4 RVO), auf das Wochengeld (§ 195a Abs. 1 Nr. 3 RVO a.F.), auf das Sterbegeld (§ 201 RVO) und auch auf das Arbeitslosengeld (§ 90 AVAVG) auswirken. Dies würde eine Schlechterstellung der Versicherten bedeuten, der keine Besserstellung zur Zeit der Zahlung der Gratifikation gegenüberstände (vgl. § 182 Abs. 5 Satz 2 und 6 Satz 2 RVO). Da die beigeladenen Arbeitnehmer im März ihre vollen Bezüge erhalten haben - die Aufrechnung mit der Gratifikation ist insoweit ohne Bedeutung -, müssen die Beiträge zur SozVers ebenfalls von dem vollen Märzlohn entrichtet werden. Die klagende Firma hat daher auch zutreffend die Beiträge nicht vom gekürzten, sondern vom vollen Gehalt berechnet. Sie hat jedoch diese Beiträge nicht in voller Höhe abgeführt, sondern sie in Höhe der im November für die Gratifikation entrichteten Beiträge einbehalten. Hierin liegt eine Aufrechnung mit einem ihr gegen die beklagte Kasse zustehenden Anspruch auf Erstattung der im November 1961 zu viel abgeführten Beträge. Dieser Anspruch ist auch begründet.
Schon nach der Rechtspr. des RVA ist es anerkannt, daß zu Unrecht entrichtete Beiträge, die noch nicht verjährt sind, von der KK zu erstatten sind (vgl. RVA GE Nr. 3696 = AN 1930, 167; GE Nr. 2457 = AN 1918, 346, 349; vgl. jetzt § 1424 RVO, § 146 AVG und § 169 AVAVG). Den Anspruch kann derjenige geltend machen, auf dessen Kosten die Krankenkasse die Beiträge zu Unrecht erlangt hat (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 2. Bd. 18. Nachtr. März 1960, S. 374b). Die KK als Einzugsstelle (§ 1399 RVO und § 121 AVG) ist auch insoweit, als es sich um die Beiträge zur RentV und ArblV handelt, für diese Forderung passiv legitimiert.
Ein Anspruch auf Rückerstattung von Beiträgen ist jedoch grundsätzlich abzulehnen, wenn im Zeitpunkt der Entrichtung eine Pflicht zur Zahlung der Beiträge bestand, wie z.B. in den Fällen des § 397 RVO (vgl. Brackmann a.a.O.). Diese Auffassung beruht auf dem Gedanken, daß „abgewickelte“ Versicherungsverhältnisse nachträglich nicht geändert werden dürfen. So haben das RVA und das BSG wiederholt entschieden, daß rückwirkende Lohnerhöhungen die für die Beitragsberechnung oder den Versicherungsanspruch maßgebenden Verhältnisse nicht zu ändern vermögen (RVA GE Nr. 2519, AN 1919, 291 und GE Nr. 4880, AN 1935, 221; BSG 22, 162).
Rückwirkend vereinbarte Lohnerhöhungen haben somit keinen Einfluß auf Beitragsberechnung und Leistungen in der Vergangenheit, sie sind vielmehr dem Entgelt in dem Zeitabschnitt zuzurechnen, in dem sie dem Versicherten zugeflossen sind. Hat jedoch von vornherein ein Rechtsanspruch auf den erst später gezahlten Lohnteil bestanden, so ist bei verspäteter Zahlung des geschuldeten Lohnes die Verteilung des nachgezahlten Betrages auf die zurückliegenden Lohnperioden notwendig und die entsprechende Neuberechnung der Beiträge und der etwa bereits gewährten Leistungen vorzunehmen.
Das gleiche muß sinngemäß gelten, wenn irrtümlich ein zu hohes Entgelt gezahlt worden ist und davon auch Beiträge entrichtet worden sind. Sobald sich dieser Fehler herausstellt, muß eine Neuberechnung der in der Vergangenheit gezahlten Beiträge und gegebenenfalls auch der schon gewährten Leistungen erfolgen (vgl. für die Beiträge Brackmann a.a.O. S. 365).
Während also eine Berichtigung der einen bestimmten Lohnzahlungszeitraum betreffenden Beiträge und Leistungen unzulässig ist, wenn nachträglich Vereinbarungen getroffen werden, die sich auf das Versicherungsverhältnis auswirken, ist andererseits eine solche Änderung zulässig, wenn entweder ein Lohnanspruch erst verspätet erfüllt wird oder umgekehrt ein Entgelt gezahlt worden ist, auf das zur Zeit der Zahlung kein Anspruch bestand. Letzteres ist auch dann der Fall, wenn Entgelt unter einer auflösenden Bedingung gezahlt worden ist und die Bedingung später eintritt. Hier mußte nämlich schon bei der Zahlung mit dem Eintritt der Bedingung und dem Wegfall des Anspruchs gerechnet werden. Es ist dann eine beitragsrechtliche Berichtigung des Lohnzahlungszeitraumes vorzunehmen, in welchem die einmalige Zuwendung für die Beitragszahlung berücksichtigt wurde. Die im vorliegenden Streitfall im November 1961 einbehaltenen - höheren - Beiträge sind somit als zu Unrecht entrichtet zurückzuerstatten, und zwar in der von der Klägerin gewählten Form einer Verrechnung mit den für März abzuführenden Beiträgen.
Da die beigeladenen Arbeitnehmer keine Leistungen - jedenfalls keine rückgewährfähigen Leistungen - auf Grund der höheren Beiträge im November erhalten haben (die Feststellungen des LSG bieten keine Anhaltspunkte in dieser Hinsicht), bestehen auch nicht aus diesem Grunde Bedenken gegen eine Rückerstattung. Im übrigen hat zwar bei zu Unrecht gezahlten Beiträgen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer jeder für sich einen Rückforderungsanspruch für seinen Beitragsanteil. Im vorliegenden Falle ist jedoch der Kläger auch zur Geltendmachung der Forderungen seiner Arbeitnehmer befugt. Denn diese haben sich mit der von dem Kläger vorgenommenen Verrechnung der Weihnachtsgratifikation einschließlich der Beiträge einverstanden erklärt, so daß der Arbeitgeber alle von ihm zuviel gezahlten Beiträge - Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile - in eigenem Namen zurückfordern durfte.