Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

11/1 RA 352/62

Aus den Gründen

Der Kläger, von Beruf Angestellter, war bis 1925 in Polen, sodann in Sepolno (Zempelburg), Bezirk B./Westpreußen, ansässig. Mit Bescheid vom 18.06.1955 bewilligte ihm die beklagte BfA Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der Kläger focht diesen Bescheid mit der Klage an, er begehrte eine höhere Rente. Die Beklagte entsprach dem Klagebegehren teilweise durch die Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten; den weitergehenden Klageantrag wies das SG ab. Der Kläger legte Berufung ein. Während des Berufungsverfahrens berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 18.09.1961 die Rente neu nach dem FANG vom 25.02.1960 und stellte sie nach Art. 6 § 6 Abs. 2 dieses Gesetzes um. Bei der Umstellung ergab sich ein niedrigerer monatlicher Zahlbetrag als bisher; dem Kläger wurde deshalb nach Art. 6 § 11 FANG der bisherige höhere Rentenbetrag weiter gewährt. Der Kläger wandte sich auch gegen den Bescheid vom 18.09.1961.

Das LSG verurteilte die Beklagte, dem Kläger einen Rentenbescheid zu erteilen, in dem die Rente ab 01.01.1959 unter Einstufung der Beschäftigung in der Zeit vom 01.09.1925 bis 31.12.1941 in die Leistungsgruppe 1 der Anl. 1 Abschn. B zum FANG berechnet sei.

Die - vom LSG zugelassene - Revision der Beklagten ist begründet. Streitig ist allein noch, ob der Kläger für die Zeit seiner Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer des Bankvereins S. (später Raiffeisenbank Z.) in den Jahren 1925 bis 1941 der Leistungsgruppe B 1 oder der Leistungsgruppe B 2 der Anl. 1 zu § 22 FRG zuzuordnen ist. Bei den Leistungsgruppendefinitionen der Anl. 1 zu § 22 FRG handelt es sich ebenso wie bei den Definitionen der Vergütungsgruppen der Anlage 1 zur TO A (vgl. hierzu die Rechtsprechung des BAG in AP zu § 3 TO A, insbesondere Nr. 1 mit Anmerkung von Neumann-Duesberg, Nr. 2, 4, 5; Nr. 18, 19 mit Anm. von Jesch) um unbestimmte Rechtsbegriffe; sowohl die Anwendung dieser Rechtsbegriffe als auch die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter diese Rechtsbegriffe unterliegt der Nachprüfung des Revisionsgerichts. Das LSG hat zu Unrecht die Voraussetzungen für die Zuordnung zu der Leistungsgruppe B 1 als gegeben angesehen.

Die Leistungsgruppe B 1 erfaßt „Angestellte in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis“; anders als bei den übrigen Leistungsgruppen sind einzelne Berufe hier nicht aufgeführt. Weder der Begriff des „Angestellten in leitender Stellung“ noch der Begriff der „Aufsichts- und Dispositionsbefugnis“ ist eindeutig. Der Begriff des „Angestellten in leitender Stellung“ findet sich im Recht der SozVers auch in § 165b Abs. 1 Nr. 1 RVO und in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AVG; er wird insoweit dahin verstanden, daß es sich um Angestellte handeln muß, die eine im allgemeinen selbständige Tätigkeit mit selbständiger Verantwortung ausüben (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, 304 b unter A II, 2). Aus dem Zusatz „mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis“ in der Leistungsgruppendefinition ergibt sich zunächst, daß hier der Kreis der Angestellten in leitender Stellung enger gefaßt ist. Auch im Arbeitsrecht (vgl. hierzu Bulla, in Festschrift für Herschel, Schriftenreihe des Bundesarbeitsministeriums Heft 1, 1955, 121 ff. mit weiteren Hinweisen) gibt es keine einheitlichen Begriffe und keine einheitlichen Begriffsmerkmale allgemeiner Art für den Begriff des „leitenden Angestellten“ oder des „Angestellten in leitender Stellung“ (vgl. hierzu auch Urteil des BAG vom 16.01.1965, NJW 1965, 1549). Ebenso wie im Arbeitsrecht kann auch im Recht der SozVers für die Auslegung des Begriffs „Angestellte in leitender Stellung“ nur die jeweilige Rechtsvorschrift, in der dieser Begriff verwendet wird, und der mit der jeweiligen Regelung verfolgte Zweck herangezogen werden; dabei ist auch die Verkehrsanschauung zu berücksichtigen.

Für die Auslegung der Definition der Leistungsgruppe B 1 ist zunächst zu bedenken, daß diese Leistungsgruppe nicht nur Angestellte erfassen kann, deren Gehaltsbezüge die jeweilige Versicherungspflichtgrenze bereits überschritten haben (vgl. § 18 Abs. 2 FRG und die Anl. 2 und 3 zu § 22 FRG; Jantz / Zweng / Eichler, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl., Anm. 5 und 6 zu § 18 FRG). „Nach unten“ ergibt sich eine Begrenzung andererseits dadurch, daß die Angehörigen der Leistungsgruppe B 1 durch ihre Tätigkeit über die Angehörigen der Leistungsgruppe B 2 herausragen müssen. In die Leistungsgruppe B 2 gehören nach Satz 1 der Leistungsgruppendefinition (Satz 2 kann hier außer Betracht bleiben) „Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben“. Hieraus ergibt sich zwar nicht, daß die Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 eine „uneingeschränkte“ Aufsichts- und Dispositionsbefugnis voraussetzt, weil es zum Wesen jeder Arbeitnehmertätigkeit gehört, daß der Arbeitnehmer einer gewissen Aufsicht durch den Arbeitgeber unterliegt und von Weisungen des Arbeitgebers niemals völlig frei sein kann (vgl. auch BSG 13, 196, 197); es muß deshalb genügen, ist aber auch erforderlich, daß die Aufsichts- und Dispositionsbefugnis bei den Angehörigen der Leistungsgruppe B 1 eine umfangreiche gewesen ist (vgl. hierzu den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik - zu Drucks. Nr. IV 3233 - zu Art. 1 § 4 zu § 22 FRG). Diese Angestellten müssen deshalb in der Regel unternehmerische Funktionen jedenfalls hinsichtlich eines wesentlichen Teilbereichs des Unternehmens oder der Dienststelle selbständig und selbstverantwortlich wahrgenommen haben. Auch ein solches Ausmaß der Aufsichtsund Dispositionsbefugnis reicht aber für die Zugehörigkeit zu der Leistungsgruppe B 1 trotz des Wortlauts der Leistungsgruppendefinition nicht aus. Diese Definition ist nicht erschöpfend. Der Vergleich mit der Definition der Leistungsgruppe B 2 und die zusammenfassende Würdigung aller Leistungsgruppen machen vielmehr weitere Abgrenzungen erforderlich (vgl. hierzu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 13.08. 1965 - 11 RA 340/63 -). Schon die Zugehörigkeit zu der Leistungsgruppe B 2 setzt „besondere Erfahrungen und selbständige Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit“ voraus; bemerkenswert ist ferner, daß bei fast allen dort - beispielsweise - aufgeführten Berufen, u.a. auch bei der verantwortungsvollen Tätigkeit eines Bilanzbuchhalters, ein Alter von über 45 Jahren gefordert wird; diese Altersgrenze ist vermutlich eingefügt worden, weil sie auf „besondere Erfahrungen“ schließen läßt. Ausgenommen von dieser Altersgrenze sind nur der Chefkameramann, der leitende Wirtschafter in der Landwirtschaft, hochbezahlte Mitglieder eines Kulturorchesters und der Oberarzt. Diesen Berufen ist im allgemeinen ohnehin schon eine besonders qualifizierte und längere Zeit in Anspruch nehmende Vorbildung gemeinsam. Für die Zugehörigkeit zur Leistungsgruppe B 1 folgt hieraus, daß auch diese Leistungsgruppe besondere Erfahrungen in dem dem Angestellten übertragenen Tätigkeitsbereich voraussetzt; diese Angestellten müssen daher - in der Regel - ein Alter gehabt haben, das der unteren Altersgrenze von 45 Jahren der Leistungsgruppe B 2 nahe kommt, oder eine besondere Ausbildung für ihre Tätigkeit erworben haben. Hinzukommen muß aber nach der Überzeugung des Senats, daß sich die Tätigkeit des „Angestellten in leitender Stellung“ und seine Aufsichts- und Dispositionsbefugnisse in einem Rahmen abgespielt haben, dem erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zugekommen ist; deshalb kann in der Regel die Größe und Bedeutung des Unternehmens, der Dienststelle oder der Abteilung, in der der Angestellte leitend tätig ist, nicht außer Betracht bleiben (vgl. auch Satz 2 der Definition der Leistungsgruppe B 2). Dabei lassen sich hinsichtlich der Zahl der ihm unterstellten Personen keine festen Grenzen angeben, es ist auch nicht erforderlich, daß dem Angestellten der Leistungsgruppe B 1 - wie die Beklagte meint - jedenfalls ein Angehöriger der Leistungsgruppe B 2 habe unterstellt sein müssen; die Zahl der einem Angestellten unterstellten Personen und die Bedeutung der Tätigkeit dieser Personen lassen aber zusammen mit den übrigen Erfordernissen Schlüsse darauf zu, ob ein Angestellter der Leistungsgruppe B 1 zuzuordnen ist.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus dem vom LSG festgestellten Sachverhalt und aus den eigenen Angaben des Klägers in seinen vom LSG in Bezug genommenen Schriftsätzen, daß der Kläger eine spezielle Ausbildung für seine Tätigkeit im Bankfach nicht gehabt hat. Der Kläger hat von 1904 bis 1914 die Schule - nach seinen Angaben eine Handelsschule - besucht, jedoch ohne Abschluß, sodann von Januar bis Juni 1915 im Büro einer Eisenbahnbetriebswerkstätte, anschließend bis November 1916 als Hilfsheizer, sodann 5 Monate wieder in der Buchhaltung der Eisenbahnbetriebswerkstätte, 3 Monate als Kanzleischreiber beim LG Lodz., 2 Monate als Mühlenbuchhalter und etwa 1 Jahr - bis November 1918 - als Amtsschreiber im Polizeipräsidium Lodz gearbeitet, anschließend ist der Kläger arbeitslos und sodann bis August 1920 Soldat in der polnischen Armee gewesen. Von September 1920 an ist er bei der Deutschen Genossenschaftsbank in Lodz zunächst in der Warenabteilung und in der Buchhaltung, ab September 1922 im Revisionsdienst tätig gewesen. „Besondere Erfahrungen“ im Bankfach, insbesondere für die Leitung einer Bank, hat der Kläger auf Grund seiner Ausbildung und seiner beruflichen Tätigkeit bis zum Jahre 1925 demnach nicht gehabt, zumal er bei der Übernahme der Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer des Bankvereins Sepolno auch erst 28 Jahre alt gewesen ist. Es ist deshalb sogar fraglich, ob er in den ersten Jahren seiner Tätigkeit nach 1925 die Voraussetzungen der Leistungsgruppe B 2, die bereits - wenn auch bei eingeschränkter Dispositionsbefugnis - „besondere Erfahrungen“, selbständige Leistungen und verantwortliche Tätigkeit voraussetzt, erfüllt hat. Zwar hat er sicherlich während seiner 16 Jahre umfassenden Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer auch „besondere Erfahrungen“ erworben, er hat auch Aufsichts- und Dispositionsbefugnisse gehabt. Seine Tätigkeit hat aber in der gesamten Zeit von 1925 bis 1941 nicht wesentlich über den Aufgabenbereich und die Verantwortung hinausgeragt, die auch für die Leistungsgruppe B 2 vorausgesetzt werden, sie hat auch entgegen der Meinung des LSG wirtschaftlich keine wesentlich größere Bedeutung gehabt. Zwar wird der Vergleich der Tätigkeit des Klägers mit dem Leiter einer Bank- oder Sparkassenfiliale entgegen der Auffassung der Beklagten der Tätigkeit des Klägers nicht gerecht, weil einem Filialleiter in der Regel größere Bindungen hinsichtlich seiner Verantwortung und seiner Aufsichts- und Dispositionsbefugnis auferlegt sind als dem Hauptgeschäftsführer einer kleineren Bank. Bei der Tätigkeit des Klägers hat es sich indessen zwar um eine „verantwortliche“ Tätigkeit gehandelt, sie hat sich aber auch bei Berücksichtigung der vom LSG festgestellten Bilanzsumme, des Eigenkapitals und des Gewinns des Bankvereins Sepolno im Vergleich mit anderen Banken nur auf ein kleines Bankunternehmen mit sehr begrenztem Wirkungsbereich bezogen; der Kläger gibt selbst an, daß während seiner Tätigkeit in Sepolno an diesem Ort jedenfalls auch die Kreissparkasse, zeitweise auch noch zwei weitere Kreditinstitute Bankgeschäfte betrieben haben. Dem Kläger sind auch nur 6 Personen unterstellt gewesen, wobei davon auszugehen ist, daß es sich bei diesen 6 Personen nicht nur um Bankangestellte, sondern teilweise auch um Hilfskräfte für einfache Büroarbeiten gehandelt hat. Zu beachten ist schließlich, daß der Kläger, wiederum nach seinem eigenen Vorbringen, durch seine Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer des Bankvereins nicht einmal voll in Anspruch genommen gewesen ist; er hat vorgetragen, er sei nebenberuflich geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Viehverwertungsgenossenschaft Zempelburg eGmbH gewesen, dabei habe es sich um ein Unternehmen von erheblichem Umfang gehandelt; außerdem habe er noch ein Gut von 1.000 Morgen verwaltet. Der Kläger hat sich überdies - wiederum nach seinen eigenen Angaben - in die Aufgaben der Geschäftsführung bis 1939 mit dem weiteren hauptamtlichen Geschäftsführer geteilt, dem „ähnliche Aufsichts- und Dispositionsbefugnisse wie dem Kläger“ zugestanden hätten, wenngleich „bestimmte geschäftliche oder verwaltungstechnische Vorfälle … allein dem Kläger zur Entscheidung vorbehalten“ gewesen seien; auch dieser weitere hauptamtliche Geschäftsführer ist nach den Angaben des Klägers durch seine Tätigkeit nicht voll in Anspruch genommen worden, sondern hat „nebenberuflich“ noch ein Getreidegroßhandelsgeschäft kaufmännisch betreut. Durch die auch diesem Geschäftsführer eingeräumte Aufsichts- und Dispositionsbefugnis sind jedenfalls die Bedeutung der dem Kläger zustehenden leitenden Tätigkeit und seine Aufsichts- und Dispositionsbefugnisse in diesem kleinen Bankbetrieb weiter verringert und das Gewicht seiner Tätigkeit eingeschränkt worden. Wenn der Kläger zu Beginn seiner Tätigkeit noch „an der Grenze“ zu der Leistungsgruppe B 3 gewesen ist, so ist bei Würdigung aller Umstände, auch des fortschreitenden Alters und der zunehmenden Erfahrungen, seine Tätigkeit insgesamt mit der Zuordnung zu der Leistungsgruppe B 2 von der Beklagten zutreffend berücksichtigt worden.

Das LSG hat demnach den Rechtsbegriff des „Angestellten in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis“ im Sinne der Definition der Leistungsgruppe B 1 zu weit ausgelegt und damit § 22 FRG nicht richtig angewandt.

Zusatzinformationen