Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

4 RJ 437/61

Gründe

Der am 24.10.1941 geborene Kläger hatte aus der JV seines im Kriege gefallenen Vaters bis zum Oktober 1959, d.h. bis zum Ablauf des Monats, in dem er sein 18. Lebensjahr vollendete, Waisenrente bezogen.

Im Juni 1956 war bei ihm bei einer Reihenuntersuchung eine Lungentuberkulose festgestellt worden. Vom Oktober 1956 bis August 1957 befand er sich deswegen in einer Heilstätte. Am 13.5.1957 wurde links ein Pneumothorax angelegt. Am 18.6.1959 kam der Kläger zur Auflassung des Pneumothorax erneut in die Heilstätte. Nach einem Befundbericht des Chefarztes dieser Anstalt bestand damals eine linksseitige, noch aktive produktiv-infiltrative Unterlappentuberkulose bei eingehendem Pneumothorax, von der zu erwarten war, daß sie bei einem weiteren günstigen Verlauf voraussichtlich im April 1960 keine Arbeitsunfähigkeit mehr bedingen werde. Nach dem Entlassungsbericht vom 14.12.1959 war nach Beendigung der Heilkur die Pneumothorax-Behandlung abgeschlossen; der Tuberkuloseprozeß hatte sich unter konservativ-chemischer Behandlung stabilisiert, und es bestand weiterhin Aussicht, daß nach einer Schonfrist von drei Monaten die MdE nur noch etwa 40 % betragen werde.

Durch Bescheid vom 26.10.1959 hat die Beklagte den Antrag auf Weiterzahlung der Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus mit der Begründung abgelehnt, daß die Lungentuberkulose des Klägers kein Gebrechen, sondern nur eine vorübergehende Erkrankung sei, die voraussichtlich im Dezember 1959 beendet sein werde.

Das SG hat dagegen die Beklagte zur Weiterzahlung der Waisenrente bis zum 31.5.1960 verurteilt. Es hat die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen.

Die nach § 161 SGG statthafte Sprungrevision der beklagten LVA konnte keinen Erfolg haben.

Zutreffend hat das SG in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BSG 14, 83) in der schweren Erkrankung des Klägers an Lungentuberkulose ein Gebrechen i.S. des hier nach Art. 2 § 20 ArVNG maßgebenden § 1267 RVO gesehen, d.h. einen von der Regel abweichenden körperlichen oder geistigen Zustand entsprechenden Ausmaßes, mit dessen Dauer für nicht absehbare Zeit zu rechnen war. Zu Recht hat es insbesondere ausgeführt, daß die Lungentuberkulose des Klägers nicht schon dann aufhörte, ein Gebrechen zu sein, als sich ihr Ende absehen ließ. Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß eine Heilung gerade zur Zeit der Vollendung seines 18. Lebensjahres in absehbarer Zeit in Aussicht stand. Allerdings ist, wie der Senat in seinen Entscheidungen in BSG 14, 83, 85 und 4 RJ 323/60 vom 6.9.1962 ausgeführt hat, maßgebend, welcher Zustand bei Vollendung des 18. Lebensjahres, also hier im Oktober 1959, vorgelegen hat. Es ist jedoch nicht angängig, bei Gebrechen für die Frage, ob es sich um einen für nicht absehbare Zeit fortdauernden Zustand handelt, ausschließlich und ohne Rücksicht auf das Vorhergegangene auf einen Zeitpunkt abzustellen, der bereits gegen Ende des Krankheitsgeschehens liegt, und alsdann daraus zu folgern, daß jedes heilbare Gebrechen bereits aufhöre, ein solches zu sein, sobald sich übersehen läßt, daß der regelwidrige Zustand in absehbarer Zeit beendet oder soweit behoben sein wird, daß er wieder eine Erwerbstätigkeit zuläßt. Dabei wird verkannt, daß die Waisenrente nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes im Falle der letzten Alternative des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO solange zu zahlen ist, wie „der Zustand dauert“, der die Waise hindert, sich selbst zu unterhalten. Auch wenn sich übersehen läßt, daß eine ein Gebrechen darstellende Erkrankung zu einem zukünftigen, einigermaßen bestimmten Zeitpunkt ganz oder im wesentlichen geheilt sein wird, so daß dann keine Erwerbsunfähigkeit mehr besteht, ändert dies daher nichts daran, daß bis zu jenem Zeitpunkt die Unfähigkeit, sich aus eigenen Kräften zu unterhalten, allein durch das noch bestehende, wenn auch auslaufende Gebrechen verursacht wird. Selbst wenn die Vollendung des 18. Lebensjahres in einen derartigen Zeitabschnitt fällt, ist deshalb die Waisenrente wegen Gebrechens noch bis zum Eintritt der Erwerbsfähigkeit weiter zu gewähren.

Mit Rücksicht hierauf ist es entgegen der Auffassung der Beklagten unerheblich, ob für den Kläger Ende 1959 begründete Aussicht bestand, daß er bei einem weiteren günstigen Heilverlauf in absehbarer Zeit wieder arbeitsfähig sein werde. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß bei Feststellung der Tuberkulose-Erkrankung im Jahre 1956 und in der Folgezeit ein Zustand von nicht absehbarer Dauer bestand, der ein Gebrechen darstellte und den Kläger hinderte, sich selbst zu unterhalten. Das SG hat ferner unangefochten ausgeführt, daß der Kläger wegen einer Lungentuberkulose bis zum Mai 1960 nicht arbeitsfähig war, da er bis dahin aus gesundheitlichen Gründen einer Arbeit nicht nachgehen konnte (vgl. hierzu GE Nr. 3804, AN 1930, 339). Unter diesen Umständen lag bei Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers auf jeden Fall ein Gebrechen vor, das ihn unfähig machte, sich selbst zu unterhalten, so daß er für die Dauer dieses Zustandes rentenberechtigt war. Denn daß die versicherungstechnischen Voraussetzungen für den erhobenen Anspruch erfüllt sind (vgl. BSG 9, 196), ist unzweifelhaft.

Zusatzinformationen