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4 RJ 341/61

Aus den Gründen

Nach § 1267 Abs. 1 RVO n.F. erhalten nach dem Tod des Versicherten seine Kinder (§ 1262 Abs. 2 RVO) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Waisenrente. Zu den waisenrentenberechtigten Kindern des Versicherten rechnen danach auch die Pflegekinder im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 KindGG, wenn das Pflegekindschaftsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalls begründet worden ist. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 KindGG in der hier maßgebenden Fassung v. 27.7.1957 (BGBl. I 1061) sind Pflegekinder solche Kinder, die in den Haushalt von Personen aufgenommen sind, mit denen sie ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verknüpft, wenn diese zu dem Unterhalt der Kinder nicht unerheblich beitragen; Kinder, die in den Haushalt von Großeltern oder Geschwistern aufgenommen worden sind oder von ihnen überwiegend unterhalten werden, gelten als Pflegekinder. Im vorliegenden Fall kommt es also darauf an, ob die Großeltern das Kind in einem familienähnlichen Verhältnis von längerer Dauer aufgezogen oder wenigstens in ihren Haushalt aufgenommen oder überwiegend unterhalten haben.

Wie der 7. Senat des BSG zu dem Begriff des Pflegekindes bereits im Urteil v. 21.12.1960 (BSGE 13, 265 = NJW 61, 701 L) entschieden hat, ist nicht allein auf die äußeren Lebensbedingungen abzustellen, sondern das Pflegekind muß im Rahmen der Familie des Pflegevaters Versorgung, Erziehung und Heimat finden. Natürliche Betrachtungsweise und allgemeine Anschauung legen bei einem Pflegekindschaftsverhältnis die Vorstellung zugrunde, daß es den Beziehungen zwischen den leiblichen Eltern und deren Kindern ähnelt, d.h. durch ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis auf der Grundlage einer familienähnlichen ideellen Dauerverbindung gekennzeichnet ist (BVerwG in MDR 61, 710; BSGE 15, 239 = NJW 62, 557; BSGE 17, 265 = NJW 62, 2319). Danach reicht zur Begründung des familienähnlichen Bandes im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 KindGG Heimat- und Unterhaltsgewährung nicht aus. Es muß vielmehr noch die Befugnis und Verpflichtung zur Aufsicht und Erziehung hinzutreten. Im vorliegenden Fall haben die Großeltern zwar das Erziehungs- und Aufsichtsrecht über das 11 Jahre alte Enkelkind ausgeübt, aber nicht auf Grund eigenen Rechts, sondern nur und soweit, als es ihnen die außerhalb der Arbeitszeit anwesende Mutter des Kindes übertragen hat und unveräußerliche Elternrechte übertragen konnte. Erziehung und Aufsichtsbefugnis haben die Großeltern auch nicht ständig ausgeübt, sondern nur jeweils für wenige Stunden am Tage, während die Mutter zur Dienstleistung in der Konsumgenossenschaft abwesend war. Die von der Entscheidung des 7. Senats des BSG v. 29.8.1962 (BSGE 17, 265 = NJW 62, 2319) mit Recht als maßgeblich erkannte natürliche Betrachtungsweise eines Pflegekindschaftsverhältnisses läßt nicht zu, daß Mutter und Großvater (Großmutter) nebeneinander ein zweifaches Familienband mit dem Kind gleichzeitig unterhalten. Wenn aber zu entscheiden ist, welchem Teil der Erziehungsberechtigten der Vorrang einzuräumen ist, so muß das Erziehungs- und Sorgerecht primär bei der Mutter des Kindes liegen und nicht bei den Großeltern. Die Abwesenheit der Mutter infolge ihrer Dienstleistungspflicht in der Konsumgenossenschaft tagsüber kann deshalb nicht, wie das LSG meint, entscheidend ins Gewicht fallen, weil sonst die Mutter auch bei Unterbringung des Kindes in einem Kindergarten das Familienband aufgeben würde (vgl. Beck in Sozialversicherung, 1959 S. 14). Auch Schubert (SGb. 62, 228) ist mit Recht für eine engere Auslegung des Begriffs eines Pflegekindes eingetreten. Denn dem Gesetzgeber hat ferngelegen, das Pflegekind gegenüber den leiblichen Kindern und Pflegeeltern gegenüber Eltern zu bevorzugen. Damit fehlt es an einem von der Mutter getrennten Familienband, das die Pflegeeltern mit dem Kläger verbunden hätte. Der Kläger war somit kein Pflegekind im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz KindGG. Er könnte nach dem zweiten Halbsatz a.a.O. nur als Pflegekind gelten, wenn er in den Haushalt der Großeltern aufgenommen wäre oder von ihnen überwiegend unterhalten wurde. Mit Recht verlangt Brackmann, daß das Kind tatsächlich mit Wissen und Willen seiner leiblichen Eltern aus ihrer Obhut und Fürsorge ausscheidet und in die (alleinige) Fürsorge und den Haushalt der Pflegeeltern (Großeltern) übertritt (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3 S. 690e, 691). Auch Lauterbach (Unfallversicherung, 2. Aufl., § 559b RVO, S. 112b Anm. 23 zu 3) führt zur Haushaltsaufnahme näher aus: Wenn auch die Eltern der Kinder mit den Großeltern zusammenwohnen, kann die Unterhaltsgewährung durch die Großeltern von Bedeutung sein; denn die Unterhaltsgewährung durch die Eltern kann gegen eine Übernahme der Kinder in den Haushalt der Großeltern sprechen. Indessen sind auch hier die Umstände des Einzelfalles entscheidend. Großeltern unterhalten die Kinder überwiegend, wenn sie mehr als die Hälfte des Unterhalts aufbringen, das ist mehr als ein nicht unerheblicher Betrag, wie er sonst für Pflegekinder vorgesehen ist (so Lauterbach, a.a.O. S. 111a und b). Auch BSGE 13, 72 setzt voraus, daß das Kind von den Großeltern in ihren Haushalt aufgenommen worden ist. Dieser Tatbestand ist dann erfüllt, wenn das Kind aus dem Haushalt der Mutter gelöst und in den Haushalt der Großeltern übergeführt worden ist. Die Trennung vom elterlichen Haushalt ist hierbei wesentlich und hat in dem Gesetz dadurch ihren Ausdruck gefunden, daß § 2 Abs. 1 Satz 3 KindGG den Akkusativ der Bewegung und des Zieles (wohin ?) „in den Haushalt von Großeltern“ gebraucht. Auf Grund dieser Andeutung im Gesetz ist in Übereinstimmung mit der weit überwiegenden Rechtsprechung und dem Schrifttum zu schließen, daß bei einem gemeinsamen Haushalt der Eltern und Großeltern, mögen auch die Eltern an dem gemeinsamen Haushalt selbst nur anteilmäßig beteiligt sein, das Kind nicht „in den Haushalt der Großeltern verbracht ist“, weil es an dem Tatbestandsmerkmal fehlt, daß das Kind aus dem Haushalt der Eltern (Kindesmutter) entfernt worden ist. Das LSG hat, wie die Revision mit Recht rügt, die Aufnahme in den Haushalt der Großeltern isoliert von dem Verbleiben des Kindes im Haushalt seiner Mutter bzw. dem gemeinschaftlichen Haushalt der Familiengemeinschaft betrachtet, die zwischen der Kindesmutter und ihren Eltern besteht. Dem LSG ist einzuräumen, daß in der Familie des Klägers kein zwischen der Mutter und den Eltern abgegrenzter Haushalt bestanden hat, sondern es sich um einen Familienhaushalt handelt, wie dies das LSG auch festgestellt hat. Darauf, ob aber der Haushalt rechtlich bei den Großeltern verblieben ist, kommt es für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 KindGG nicht an, sondern darauf, ob das Kind von einem Haushalt (der Kindesmutter) in einen anderen Haushalt (der Großeltern) gebracht worden ist. Das ist hier nicht der Fall, weil die Kindesmutter den Pflichten einer Personensorge nachgekommen ist. Auch wenn der Haushalt von den Großeltern geführt worden ist, und die Kindesmutter im wesentlichen Kostgängerin im elterlichen Haushalt war, so läßt sich doch nicht das primäre Erziehungs- und Fürsorgerecht der Mutter gegenüber dem Kind wegdenken. Das Kind, das mit der Mutter zusammenlebt, konnte zwar nach der tatsächlichen Lage der Verhältnisse zugleich dem gemeinsamen Haushalt mit den Großeltern zugerechnet werden, aber das bedeutet noch nicht, daß das Kind aus der Familiengemeinschaft mit der Mutter getrennt worden ist. Auch wenn danach das Kind als leibliches Kind der Mutter und als Pflegekind den Großeltern in gleicher Weise zugehörig betrachtet wird, so können nicht beide Familienverhältnisse für den Bezug von Kindergeld oder Waisenrente in gleicher Weise bewertet werden. Hier muß vielmehr das nähere Familienverhältnis der Mutter vorgehen. Denn das Familienband des unehelichen Kindes mit der Mutter ist enger und näher als das mit den Großeltern. Der Kläger kann daher nicht als in den Haushalt der Großeltern aufgenommen angesehen werden. Für die Entscheidung der Frage, ob der Kläger als Pflegekind der Großeltern zu gelten hat, kommt es somit nur noch darauf an, ob er überwiegend von den Großeltern unterhalten worden ist (wird ausgeführt).

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