11 RV 300/62
Aus den Gründen
Der Begriff „Wehrertüchtigungslager“ ist im Ges. nicht näher erläutert; was darunter zu verstehen ist, ist daher im Wege der Auslegung zu ermitteln. Lehrgänge für Wehrertüchtigung sind offiziell zwar erst in den Kriegsjahren eingeführt worden (vgl. RErl. des damaligen RMdI v. 2.10.1941, abgedruckt im MinBl des Reichs- und Preuß. Ministers des Innern - MBliV - 1941, 1763 sowie Erl. des damaligen Jugendführers des Deutschen Reichs v. 27.5.1942, MBliV 1942, 1259), unter den Begriff Wehrertüchtigungslager in § 3 BVG fallen jedoch nicht nur die in dem o.a. Erl. v. 27.5.1942 erwähnten „Wehrertüchtigungslager der Hitler-Jugend“, die „Reichsausbildungslager“ und die „Führerlehrgänge“ (vgl. Ziff. I Abs. 1 des o.a. Erl.), denn in § 3 Abs. 1 Buchst. l BVG ist weder von Wehrertüchtigungslagern der Hitler-Jugend die Rede, noch sind dort sonstige einschränkende Zusätze, wie z.B. im § 3 Abs. 1 Buchst. d - „ … und damit einem militärischen Befehlshaber unterstellt waren“ - und Buchst. f - „im Kriege“ - gebraucht; es ist deshalb davon auszugehen, daß unter diesen Begriff alle Lager fallen, in denen Lehrgänge abgehalten worden sind, die der vormilitärischen Ausbildung und damit der Wehrertüchtigung gedient haben. … Daß auch schon 1933 Lager bestanden haben, die auf Grund staatlicher Lenkung nach Ausgestaltung und Dienstplan dem Zweck dienten, Studenten und Abiturienten vormilitärisch auszubilden, ergibt sich aus dem Erl. des Reichskommissars für den freiwilligen Arbeitsdienst v. 2.2.1933 über die Durchf. des „freiwilligen Werkhalbjahres“ (vgl. RABl I 1933, 36). Danach gliederte sich das „Werkhalbjahr“ in etwa 4 Monate freiwilligen Arbeitsdienst und etwa 1 ½ Monate Geländesport. Der zweite Teil des Werkhalbjahres, der Geländesport, wurde vom Reichskuratorium für Jugendertüchtigung durchgeführt. Dieses Reichskuratorium war aber am 23.9.1932 für die vormilitärische Ausbildung gegründet worden, es wurde von einem General a.D. geleitet und unterstand nur aus Tarnungs- und Etatsgründen dem Reichsarbeitsminister (vgl. Absolon, Wehrgesuch und Wehrdienst 1935 bis 1945 S. 75 Anm. 48). Das „Werkhalbjahr“ als die „zweckvolle Folge von Arbeitsdienst und Geländesport“ wollte den Abiturienten „bewußt“ machen, daß in der eigenen Lebensgestaltung der freiwillige, uneigennützige Dienst am Volke und an der Gemeinschaft an erster Stelle stehen soll, es wollte ihnen vor Augen führen, daß der Wille zur Kameradschaft wert ist, über das Erlebnis der Jugend hinaus lebendig zu bleiben, daß für das Schicksal der Nation das Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen, der Wille zur Selbsthilfe, Disziplin und Ordnung von grundlegender Bedeutung sind; die Teilnahme am Geländesport sollte den Abiturienten in den Wehrgedanken einführen und ihn durch praktische Übung zum wehrhaften Manne erziehen“ (vgl. auch das am 28.1.1933 herausgegebene Merkblatt für Abiturienten für das Werkhalbjahr, RABl I 1933, 48). Daraus ergibt sich, daß nicht nur der zweite Teil des „Werkhalbjahres“, der Geländesport, der vormilitärischen Ausbildung und damit der Wehrertüchtigung gedient hat, sondern daß die ganze Einrichtung des „Werkhalbjahres“ eine vormilitärische Erziehung bezweckt hat. Wenn im ersten Teil des Werkhalbjahres auch „körperliche Außenarbeit mit Hacke und Schaufel“ zu leisten gewesen ist, so hat auch dies, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorwiegend, der körperlichen Ertüchtigung der akademischen Jugend mit dem Ziele ihrer Wehrertüchtigung gedient. Das Werkhalbjahr ist daher seinem Gesamtgepräge nach von dem Gedanken der Wehrertüchtigung getragen worden, und es ist auch diesem Gedanken entsprechend gestaltet gewesen. Der Zweck dieses „Werkhalbjahres“ ist es gewesen, die akademische Jugend auf den Militärdienst vorzubereiten und sie möglichst schnell für militärische Führungsaufgaben geeignet zu machen. Das Werkhalbjahr i.S. des Erl. v. 2.2.1933 ist daher als Dienst in Wehrertüchtigungslagern i.S. des § 3 Abs. 1 Buchst. l BVG anzusehen.