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4 RJ 69/61

Aus den Gründen

Die am 10.9.1915 geborene, in BW wohnende kinderlose Klägerin hat am 30.9.1953 bei der beklagten LVA die Witwenrente nach ihrem seit 1944 verschollenen und durch Entsch. des AG in B./Harz - SBZ - v. 2.6.1950 mit Zeitpunkt v. 31.7.1949 für tot erklärten Ehemann, der zuletzt in B. wohnhaft gewesen war, beantragt.

Die Beklagte hat diesen Antrag abgelehnt. Der Ehemann der Klägerin sei zwar durch ein Gericht der SBZ für tot erklärt worden. Nach den dort maßgebenden Vorschriften werde der Zeitpunkt des Todes Kriegsverschollener aber generell auf den 31.7.1949 festgesetzt. Dieses Verfahren weiche erheblich von den in W. geltenden Vorschriften ab. Die von Gerichten der SBZ auf den 31.7.1949 festgesetzten Todeserklärungen könnten daher in BW. nicht als rechtsverbindlich anerkannt werden. Das SG hat die Klage abgewiesen.

Das LSG hat den Besch. der Beklagten und das Urt. des SG aufgehoben.

Gleichgültig, ob sich der Witwenrentenanspruch der Klägerin nach §§ 23, 49 des Berliner RVÜG v. 10.7.1952 (GVBl.  S. 588) oder gem. § 2 des FremdRG v. 7.8.1953 (BGBl. I S48), nach §§ 1256, 1259 RVO a.F. i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 21 Abs. 5 SVAG i.d.F. des 3. Ges. zur Änderung des SVAG v. 21.1.1956 (BGBl. I 16) und § 15 der DVO zum SVAG richtet, stände der Klägerin, da sie nicht invalide und selbst am 31.12.1956 erst 42 Jahre alt war sowie kinderlos geblieben ist, Witwenrente nur zu, wenn ihr Ehemann erst nach dem 31.5.1949 gestorben wäre. Da sein Tod nicht feststeht, kommt es darauf an, ob der Eintritt seines Todes nach dem 31.5.1949 zu vermuten ist. Ist der Eintritt seines Todes dagegen vor dem 1.6.1949 zu vermuten, so steht der Klägerin ein Anspruch auf Witwenrente für diese Zeit nicht zu. Dies hat das Berufungsgericht nicht verkannt.

Nach dem Beschl. des Gr. S. des BSG v. 11.5.1960 (BSG 12, 139) richtet sich bei Verschollenen, falls eine Todeserklärung vorliegt, der vermutliche Todeszeitpunkt nach dem in der Todeserklärung festgestellten Todeszeitpunkt. Die LVA hat keine Möglichkeit, in diesen Fällen einen anderen Todestag festzustellen. Dieser Grundsatz ist zwar nur für das bundesdeutsche Recht und das Recht Ws ausgesprochen worden, muß aber auch angewandt werden, wenn die Todeserklärung nach der sowjetzonalen VO über die Zulässigkeit von Anträgen auf Todeserklärungen von Kriegsteilnehmern v. 22.2.1949 (Zentralversorgungsblatt = ZVBl. S. 124) i.V.m. der DVO v. 23.7.1949 (ZVBl. S. 550) ausgesprochen worden ist. Denn die von einem zuständigen Gericht der SBZ ergangene Todesfeststellung ist auch im Gebiet der Bundesrepublik und Ws wirksam.

Die Frage der Wirksamkeit sowjetzonaler Todeserklärungen beantwortet sich nach den Grundsätzen des interzonalen Rechts, das grundsätzlich jedenfalls dem interlokalen Recht entspricht. Allerdings ergeben sich aus dem Unterschied zwischen Zonen einerseits und Ländern eines Bundesstaats andererseits naturgemäß gewisse Abweichungen. Da auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit das interlokale Recht nur schwach ausgebildet ist, muß auf die Grundsätze des interlokalen Privatrechts zurückgegriffen werden, das wiederum weitgehend den Regeln des internationalen Privatrechts folgt (Soergel, BGB 8. Aufl. Bd. IV Anm. 13 zur Vorbem. zu Art. 7 EG BGB). Während aber im internationalen Privatrecht die Staatsangehörigkeit maßgebender Anknüpfungspunkt ist, die Staatsangehörigkeit also darüber entscheidet, welches Recht anzuwenden ist, wird für das interzonale Recht allg. - da es an unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten fehlt - der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort als maßgebender Anknüpfungspunkt angesehen (Ficker, Grundfragen des Deutschen interlokalen Rechts, S 29 ff; Staudinger, Komm. zum BGB, 11. Aufl. Anm. 4 zu § 12; Soergel, 8. Aufl. Anm. 8 zu § 12). Für das Verschollenheitsrecht ergibt sich dies zudem auch aus § 15 VerschG, der ausdrücklich das Gericht für zuständig erklärt, in dessen Bezirk der Verschollene seinen letzten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland - d.h. auch in der heutigen SBZ - hatte. Dies war im vorliegenden Falle B./Harz. § 15 a VerschG kommt hier nicht zum Zuge, da ein Gerichtsstand nach § 15 VerschG begründet war und in B./Harz weiterhin eine deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt wird. Zwar würde nach Art. 2 § 7 VerschÄndG u.U. nicht § 15 VerschG, sondern § 15 a VerschG maßgebend und damit das Amtsgericht B. zuständig sein. Das VerschÄndG ist aber, da zur Zeit seines Inkrafttretens der Beschl. des AG in B. bereits ergangen war, auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar (vgl. dazu Art. 4 § 1 VerschÄndG). Auch nach dem Recht der SBZ war das AG B. zuständig, weil der letzte Wohnsitz und gewöhnliche Aufenthalt des Ehemanns der Klägerin im Bezirk des AG B. lag (vgl. dazu Soergel a.a.O. Anm. 3 zu § 15 des VerschG; Staudinger, BGB, 11. Aufl. Anm. 4 zu §12). Der Beschl. des AG in B. ist daher auch in der Bundesrepublik und B. grundsätzlich wirksam.

Die Frage, ob ein sowjetzonales Urt. innerhalb der Bundesrepublik und Berlins - West - vollstreckt werden kann (§ 328 ZPO), spielt hier keine Rolle, weil dies naturgemäß nur für Leistungsurt., allenfalls für Leistungs-entsch.en der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Bedeutung sein kann, nicht aber für ihrer Art nach überhaupt nicht vollstreckungsfähige Entsch.en der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Soergel a.a.O. Anm. 5 Vorbem. vor Art. 7 EG BGB).

Zu prüfen war allerdings, ob dieser Beschl. nicht ausnahmsweise nach dem auch im interzonalen Recht entsprechend anwendbaren Art. 30 EG BGB unberücksichtigt bleiben mußte. Dies wäre der Fall, wenn er gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines Ges. der Bundesrepublik Deutschland oder Ws verstoßen würde. Ein solcher Verstoß kann aber nur angenommen werden, wenn der Unterschied zwischen den staatspolitischen oder sozialen Anschauungen, auf denen das nach den Vorschriften des interzonalen Rechts an sich maßgebende Recht der SBZ und das davon abweichende Recht der Bundesrepublik Deutschland und Ws beruhen, so erheblich ist, daß die Anwendung des sowjetzonalen Rechts direkt die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens der Bundesrepublik Deutschland und Ws angreifen würde. Es muß sich also schon um einen schweren Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines Ges. der Bundesrepublik Deutschland oder Ws handeln, um die Nichtanwendung sowjetzonalen Rechts zu rechtfertigen. Die Anwendung des sowjetzonalen Rechts muß für die Anschauung von Sitte und Recht, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland und W herrschen, schlechthin untragbar sein (so für das internationale Privatrecht des RG in ständiger Rechtspr., vgl. RG 138, 214, 216; Soergel a.a.O. Anm. 1 und 3 zu Art. 30 EG BGB). Der Senat sah keinen Anlaß, für das interzonale Recht andere Grundsätze als die vom RG in ständiger Rechtspr. für das internationale Privatrecht entwickelten anzuerkennen. Ein solch schwerer Verstoß liegt hier aber nicht vor. Da sich das Verfahren bei Todeserklärungen in der SBZ im Grundsatz jedenfalls nicht wesentlich von dem in der Bundesrepublik und W geltenden Verschollenheitsrecht unterscheidet, wären allenfalls hinsichtlich der zu unterschiedlichen Todestagen führenden Vorschriften Bedenken möglich. Dieser Unterschied aber allein kann nicht als so wesentlich angesehen werden, daß der von dem sowjetzonalen AG festgestellte Todestag für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Ws schlechthin untragbar wäre. Es muß bedacht werden, daß diese Frage nur einheitlich beantwortet werden kann, daß es also nicht möglich ist, wegen der sich für einzelne Rechtsgebiete, hier für das SozVersRecht, ergebenden unterschiedlichen Folgen gegenüber dem in der Bundesrepublik und in WB bestehenden Rechtszustand einen solchen Todestag mit Wirkung für dieses Rechtsgebiet nicht anzuerkennen. Werden solche unterschiedliche Folgen nicht als tragbar angesehen, so steht es dem Gesetzgeber frei, eine entsprechende Regelung zu treffen. Während dies für das Recht der privaten Lebensvers. in Art. 4 § 3 VerschÄndG geschehen ist, fehlt es an einer solchen Regelung für das SozVersRecht. Aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber für das Recht der privaten Lebensvers. ausdrücklich die Folgen der unterschiedlichen Todestage - vor bzw. nach dem Stichtag der Währungsumstellung - ausgeräumt hat, ist im übrigen zu schließen, daß er die von Gerichten der SBZ festgestellten Todestage auch in der Bundesrepublik Deutschland und in B. als maßgebend ansieht. Denn andernfalls wäre diese Regelung überflüssig gewesen. Eine analoge Anwendung des Art. 4 § 3 a.a.O. auf das Recht der SozVers, an die man vielleicht denken könnte, ist schon deshalb nicht möglich, weil es sich um ganz andersartige Folgen der unterschiedlichen Todestage handelt.

Die beklagte LVA meint, diese unterschiedliche Regelung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Sie übersieht hierbei aber, daß ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz überhaupt nur dann vorliegen kann, wenn es sich bei beiden zu vergleichenden Gesetzen um solche der Bundesrepublik und WBs handelt, wenn beide zu vergleichenden Ges. dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung unterworfen sind. Ein solcher Verstoß kann nicht deshalb gegeben sein, weil ein ausländisches oder sowjetzonales Ges. einen von einem Ges. der Bundesrepublik und WBs abweichenden Inhalt hat. Allenfalls könnte daran gedacht werden, einen solchen Verstoß darin zu erblicken, daß der Gesetzgeber das interzonale Recht, welches seiner Verfügungsgewalt unterliegt, in dem Sinne geregelt hat, daß die nach sowjetzonalem Recht festgestellten - abweichenden - Todestage in der Bundesrepublik und in WB anerkannt werden, oder daß er es verabsäumt hat, wie für das Recht der privaten Lebenvers., die unterschiedlichen Folgen verschiedener Todestage auszuräumen. Diese Überlegungen könnten aber nur dann zur Annahme einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes führen, wenn die unterschiedliche Regelung sachfremd und willkürlich wäre. Für eine solche Annahme besteht jedoch hier kein Anhalt. Es darf nicht übersehen werden, daß das interzonale Recht, wenn es auch bundesdeutsches Recht und Recht WB ist, praktisch mit dem interzonalen Recht der SBZ insofern verknüpft ist, als jede Änderung des interzonalen Rechts der Bundesrepublik oder WBs die Gefahr einer entsprechenden Änderung des interzonalen Rechts der SBZ heraufbeschwören würde. Man kann dem Gesetzgeber nicht den Vorwurf der Sachfremdheit und der Willkür machen, wenn er von einer Regelung absieht, die eine solche Gefahr heraufbeschwören könnte. Da somit die Todeserklärung des sowjetzonalen AG auch im Gebiet der Bundesrepublik und WBs maßgebend ist, steht der Klägerin die Witwenrente auch für die Zeit v. 1.10.1953 bis zum 31.12.1956 zu.

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