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1 RA 144/59

Aus den Gründen

Die Klägerin erstrebt Hinterbliebenenrente als geschiedene Frau. Ihr früherer Ehemann hat der Rent.Vers. angehört. Bei seinem Tode im September 1954 war die Versicherung geordnet. Die Ehe wurde im April 1953 geschieden. Die Klägerin verzichtete durch gerichtlichen Vergleich auf Unterhalt. Sie nahm eine Stellung als Buchhalterin und Kassiererin an. Ihr Gehalt betrug monatlich 385,00 DM brutto. Sie bekam eine Zweizimmer-Wohnung und kaufte - auf Abzahlung im Gesamtpreis von über 4500,00 DM - die Einrichtungen für ein Doppelschlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine Küche. Seit April 1954 lebte der Versicherte wieder mit der Klägerin zusammen. Beide beabsichtigten, sich erneut zu heiraten. Der Versicherte verdiente von Mai bis zu seinem Tode am 4.9.1954 monatlich über 500,00 DM. Er gab, von einem geringfügigen Taschengeld abgesehen, der Klägerin regelmäßig seinen gesamten Lohn. Das beiderseitige Einkommen wurde folgendermaßen verwendet: 250,00 DM Haushaltsgeld, 77,00 DM Miete, 140,00 DM Ratenzahlungen für die Möbel, der Rest für sonstige Anschaffungen wie Gardinen, Geschirr usw.

Die Klägerin beantragte im Februar 1955 Rente als geschiedene Frau. Ihr Antrag wurde abgelehnt, auch ihre Klage hatte keinen Erfolg. Vor dem LSG beschränkte sie ihren Anspruch auf Hinterbliebenenrente auf die Zeit von Januar 1957 an. Dementsprechend wurde die Beklagte verurteilt. Das LSG ist der Auffassung, die Zahlungen des Versicherten an die Klägerin von Mai bis September 1954 stellten eine tatsächliche Unterhaltsleistung im Sinne des § 42 AVG n.F. - Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode - dar. Der Versicherte habe durch die Überlassung seines vollen Lohnes nicht nur den auf ihn entfallenden Beitrag zur gemeinsamen Haushaltsführung erbracht, dafür hätten monatlich etwa 200,00 DM ausgereicht; er habe vielmehr den überschießenden Betrag von 100,00 bis 170,00 DM monatlich der Klägerin als Unterhaltsleistung gegeben. Daß die Klägerin dadurch mehr Geldmittel zur Verfügung gehabt habe, als sie für ihren angemessenen Unterhalt benötigte, ändere an der Wertung der Zahlungen als Unterhaltsleistungen nichts. § 42 AVG n.F. verlange nicht, daß die Unterhaltsleistungen das ganze Jahr hindurch erfolgt seien.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Eine Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau wird, falls die Wartezeit erfüllt ist oder als erfüllt gilt, nach dem Tode des Versicherten gewährt, wenn dieser seiner geschiedenen Frau z. Z. seines Todes Unterhalt zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (§ 42 AVG n.F.). Die erste Alternative scheidet im vorliegenden Rechtsstreit als Rechtsgrundlage aus, weil die Klägerin durch Vergleich wirksam auf Unterhalt verzichtet hatte, so daß für den Versicherten z. Z. seines Todes keine Pflicht zur Unterhaltsleistung bestand. Die Voraussetzungen der zweiten Alternative sind jedoch erfüllt; der Versicherte hat der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode freiwillig (vgl. BSG 12 S. 278) Unterhalt gewährt.

Die Leistungen des Versicherten waren, wenn auch nur zu einem Bruchteil, Unterhalt für die Klägerin. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Versicherte durch die Hingabe seines Lohnes der Klägerin von Mai bis September 1954 Zahlungen geleistet, die erheblich höher waren als ein etwaiger Beitrag, den er als seinen Anteil an der gemeinsamen Haushaltsführung zu leisten gehabt hätte. Das Gericht hat weiter festgestellt, daß die beiderseitigen Einkünfte für die Haushaltsführung und für den Kauf von Einrichtungsgegenständen verbraucht wurden. Bei dieser Sachlage hat das LSG mit Recht einen Teil des vom Versicherten geleisteten Beitrags als Unterhaltsleistung an die Klägerin angesehen. Dazu brauchte es nicht aufzuklären, wie die Klägerin die ihr zur Verfügung stehenden Geldmittel im einzelnen auf den laufenden Unterhalt und auf den Ankauf und die Abzahlungen von Mobiliar verteilte, weil auch die Anschaffung und Erhaltung der Wohnungseinrichtung und des Hausrats begrifflich zum Unterhalt gehören und deshalb Leistungen, die dafür bestimmt und verwandt werden, Unterhaltsleistungen sind. Bei einer gemeinsamen eheähnlichen Lebensführung mit eigenen, aber ungleichen Einkünften der Partner kann nach allgemeiner Lebenserfahrung angenommen werden, daß, falls das Einkommen - wie im vorliegenden Fall - insgesamt für den Haushalt verbraucht wird, etwa die Hälfte der Differenz der beiderseitigen Einkünfte dem Partner zufließt, der weniger verdient und entsprechend weniger beiträgt (vgl. hierzu für das Verhältnis von Ehegatten untereinander, die beide Einkünfte haben, BSG 10 S. 28, 11 S. 198). Der Beitrag des Versicherten war je Monat etwa um 100,00 DM höher als der der Klägerin. Die Hälfte dieser Differenz muß als Unterhaltsleistung gewertet werden. Der sich daraus ergebende Betrag von etwa 50,00 DM im Monat ist auch, sowohl absolut als auch gemessen an den eigenen Einkünften der Klägerin, nicht so geringfügig, daß er aus diesem Grunde nicht mehr als Unterhalt angesehen werden könnte. Zu dem gleichen Ergebnis, wenn auch über eine andere Berechnung, ist auch das LSG gekommen.

Der Einwand der Beklagten, Unterhaltsleistungen lägen deshalb nicht vor, weil die Klägerin eigenes, für ihre Lebensführung ausreichendes Einkommen gehabt habe, ist nicht begründet. Das Gesetz spricht in § 42 AVG n.F. von Unterhalt schlechthin; es gibt keinen Anhalt dafür, daß darunter nur Beiträge verstanden werden sollen, die zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs erforderlich sind. Im Eherecht ist nicht der notwendige Unterhalt, sondern regelmäßig der angemessene Unterhalt Maßstab für die Leistungen des Verpflichteten (vgl. § 58 EheG). Aber selbst der angemessene Unterhalt ist nur der Betrag, den der Verpflichtete kraft Gesetzes höchstens zu leisten hat. Über den Begriff des Unterhalts ist damit nichts ausgesagt. Auch darüber hinausgehende Zahlungen zur Bestreitung der Lebensführung können begrifflich Unterhaltsleistungen sein, mögen sie auch, weil freiwillig gewährt, als Schenkungen beurteilt werden. Das schließt jedoch nicht aus, daß es - schenkungsweise gewährte - Unterhaltsleistungen bleiben. Daß Zahlungen auch dann als Unterhaltsleistungen angesehen werden, wenn der angemessene Unterhalt bereits gedeckt ist, folgt auch aus der gesetzlich zugelassenen Möglichkeit, Unterhaltsverträge zu schließen, die die Unterhaltspflicht abweichend von der gesetzlichen Regelung festlegen (vgl. § 72 EheG). In solchen Verträgen können Beträge vereinbart werden, die über dem angemessenen Unterhalt liegen, ohne daß sie ihren Charakter als Unterhaltsbeträge verlieren.

Die Leistungen des Versicherten sind im letzten Jahr vor seinem Tode erfolgt. Der Unterhalt ist zwar nicht ein volles Jahr hindurch, sondern nur in den letzten vier Monaten gewährt worden; bei den Besonderheiten des in diesem Rechtsstreit zu beurteilenden Sachverhalts - der Versicherte hat nach der Scheidung bis April 1954 in der sowjetischen Besatzungszone gelebt - ist dies jedoch ausreichend, um die Voraussetzung der letzten Alternative des § 42 zu erfüllen, ohne daß im vorliegenden Fall geklärt zu werden braucht, ob in den Regelfällen - wenn etwa der Versicherte unterhaltsfähig und an Zahlungen nicht gehindert ist - ebenfalls Unterhaltsleistungen während der letzten Monate genügen oder ob dann der Jahreszeitraum kontinuierlich oder doch überwiegend mit Unterhaltsbeiträgen gedeckt sein muß. Selbst wenn man aus § 42 AVG n.F. folgert, daß normalerweise ein ganzes Jahr hindurch Unterhaltszahlungen erfolgt sein müssen, so kann das nach Ansicht des Senats jedenfalls dann nicht gelten, wenn außergewöhnliche Umstände, die der Versicherte weder beeinflussen noch gar beheben konnte, ihn an der Gewährung laufender Unterhaltszahlungen gehindert haben und wenn aus den - nach Wegfall des Hindernisses - geleisteten Zahlungen auf die Absicht regelmäßiger Unterhaltsgewährung geschlossen werden kann (vgl. Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, S. 129). Ein solch ungewöhnlicher Hinderungsgrund muß in der Tatsache gesehen werden, daß der Versicherte bis April 1954 in der sowjetischen Besatzungszone lebte. Von dorther sind regelmäßige Unterhaltszahlungen an Verwandte oder frühere Angehörige, die - wie die Klägerin - in die Bundesrepublik geflüchtet sind, nicht möglich und wegen der politischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone auch schlechterdings nicht zumutbar. Innerhalb des maßgeblichen Jahreszeitraums konnte deshalb die Unterhaltsgewährung erst einsetzen, nachdem der Versicherte in die Bundesrepublik gekommen war. Unmittelbar danach hat er die Unterhaltsleistung freiwillig und tatsächlich auch aufgenommen und bis zu seinem Tode ununterbrochen beibehalten. Aus dem Wunsch, die Klägerin wieder zu heiraten, ergibt sich auch die Absicht, regelmäßig und auf Dauer Unterhalt gewähren zu wollen.

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