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4 RJ 239/57

Aus den Gründen

Für die ... geborene Klägerin sind während ihrer Tätigkeit als Platzanweiserin von 1952 bis zum Juli 1954 insgesamt 28 Monate Pflichtbeiträge zur JV entrichtet worden. Im März 1957 beantragte die Klägerin die Erstattung des Arbeitnehmeranteils dieser Beiträge von insgesamt 165,28 DM; die Beklagte lehnte diese Erstattung ab, weil die Vers.Pflicht der Klägerin schon vor dem 01.01.1957 entfallen sei.

Das SG verurteilte die Beklagte am 04.10.1957 kostenpflichtig zur Erstattung des genannten Betrages. Die Anwendbarkeit des § 1303 Abs. 1 RVO auch auf die Fälle, bei denen die Vers.Pflicht schon vor dem 01.01.1957 beendet gewesen sei, schließt das SG aus Sinn und Zweck der Vorschrift, denen der Wortlaut nicht entgegenstehe. Es bestehe kein Anlaß, Versicherte, die nach dem bisherigen Recht zur Aufrechterhaltung des Vers.Verhältnisses durch Zahlung freiwilliger Beiträge in der Lage gewesen seien und diese Möglichkeit nach neuem Recht infolge zu geringer Anzahl von Pflichtbeiträgen nicht mehr besäßen, verschieden zu behandeln, je nachdem, ob ihre Pflichtmitgliedschaft vor oder nach dem Inkrafttreten der Neuregelung ihr Ende gefunden habe. In beiden Fällen solle gleichermaßen der Verlust dieses Anwartschaftsrechts entschädigt werden. Anders könne es - worüber das SG nicht zu entscheiden habe - nur bei denjenigen Versicherten liegen, die schon nach dem bisherigen Recht nicht weiterversicherungsberechtigt gewesen seien, weil sie weniger als 26 Wochenbeiträge entrichtet hätten.

Die Beklagte hat Sprungrevision gegen dieses Urteil eingelegt; sie rügt § 1303 RVO n.F. als verletzt. Der Wortlaut des § 1303 setze voraus, daß im Zeitpunkt des Entfallens der Vers.Pflicht bereits kein Recht zur Weiterversicherung nach § 1233 RVO bestehe; von einem solchen Weiterversicherungsrecht könne aber überhaupt erst nach Inkrafttreten des ArVNG die Rede sein. Eine rückwirkende Anwendung hätte ausdrücklich vorgesehen sein müssen; daß demgegenüber die §§ 1302 und 1304 RVO n.F. ausdrücklich die Rückwirkung ausschlössen, reiche nicht aus, im Umkehrschluß daraus für § 1303 eine Rückwirkung anzunehmen, da die Tatbestände der drei Paragraphen durchaus unterschiedlich seien. Bei vorherigem Entfallen der Vers.Pflicht habe, wenn - wie hier - mehr als 26 Pflichtbeiträge entrichtet seien, die Möglichkeit zur Weiterversicherung nach § 1244 RVO a.F. bestanden; hätte die Klägerin davon Gebrauch gemacht, so würde sie über Art. 2 § 2 ArVNG die Versicherung auch über den 13.12.1956 aufrechterhalten haben können. Ein Ausgleich sei daher nicht erforderlich; wenn die Klägerin von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, so müsse sie den nunmehr eingetretenen Rechtsverlust ebenso hinnehmen wie die sonstigen Folgen verspäteter Beitragsentrichtung.

Die Sprungrevision ist statthaft (wird ausgeführt); sie ist jedoch nicht begründet.

Die Entscheidung hängt, da alle übrigen Voraussetzungen mit dem angefochtenen Urteil ohne Bedenken als gegeben angesehen werden können, einzig von der Frage ab, ob das SG zu Recht davon ausgegangen ist, daß § 1303 RVO n.F. auch auf Fälle anzuwenden ist, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vorschrift die Vers.Pflicht des Versicherten bereits entfallen war.

§ 1303 RVO n.F. ist erst am 01.01.1957 in Kraft getreten; er ist daher, da in den Übergangsvorschriften nichts Besonderes bestimmt wird, auch nur anwendbar auf einen Sachverhalt, der erst nach jenem Zeitpunkt eingetreten ist. Der Gesetzgeber hat mit jener Vorschrift den in Frage kommenden Versicherten ein echtes Wahlrecht eingeräumt, ob sie von ihrem Erstattungsrecht Gebrauch machen wollen oder ob sie mit Rücksicht auf etwaige spätere erneute Zugehörigkeit zur Rentenversicherung mit ihren bereits gezahlten Beiträgen weiter der Vers.Gemeinschaft angehören wollen. Dieses Wahlrecht wird ausgeübt durch die entsprechende Antragstellung. Es ergibt sich daraus, daß im Falle des § 1303 Abs. 1 - anders als § 1303 Abs. 2 und 3 RVO - der Antrag nicht nur verfahrensmäßig auslösende Bedeutung hat, sondern daß er einen wesentlichen materiell-rechtlichen Bestandteil der Anspruchsvoraussetzungen darstellt. Wird daher entsprechend der erst durch § 1303 Abs. 1 RVO eröffneten Wahlmöglichkeit von einem Versicherten nach Inkrafttreten der Neuregelung ein entsprechender Antrag gestellt, so kann es sich dabei niemals um einen Fall rückwirkender Anwendung der neuen Vorschriften auf bereits zurückliegende Sachverhalte, sondern stets nur um einen von vornherein den neuen Vorschriften unterliegenden Sachverhalt handeln.

Für die Frage, ob ein Anspruch nach § 1303 Abs. 1 RVO vorliegt, kann es daher auch nur darauf ankommen, ob die außer jenem Antrag erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind. Diese liegen dann vor, wenn im Zeitpunkt des Antrags die Vers.Pflicht entfallen ist und keine Weiterversicherungsberechtigung nach § 1233 RVO besteht. Darüber, wann diese weiteren Voraussetzungen eingetreten sein müssen, besagt die gesetzliche Bestimmung ausdrücklich nichts. Während aber frühestens von dem Inkrafttreten des Gesetzes an von einer Weiterversicherungsberechtigung nach § 1233 RVO die Rede sein kann, fehlt hinsichtlich des zulässigen Zeitpunktes des Entfallens der Vers.Pflicht jede aus der Vorschrift unmittelbar zu entnehmende zeitliche Begrenzung.

Der Umstand, daß der Gesetzgeber bei den unmittelbar benachbarten, inhaltlich verwandten Vorschriften der §§ 1302 und 1304 RVO in Art. 2 §§ 27 und 28 ArVNG eine nur die Zeit nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung erfassende Abgrenzung vorgenommen hat, spricht dafür, daß bei § 1303 Abs. 1 RVO nicht an eine derartige Einschränkung gedacht war. Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man berücksichtigt, daß auch das Recht auf die Weiterversicherung selbst nach § 1233 RVO allen Versicherten eingeräumt ist, soweit sie innerhalb der letzten zehn Jahre 60 Pflichtbeiträge entrichtet haben, völlig unabhängig davon, ob diese Beitragsleistungen schon vor oder erst nach Inkrafttreten der Neuregelung ihr Ende fanden. Da § 1303 RVO denselben Versichertenkreis für den Fall erfaßt, daß die in § 1233 RVO genannten Voraussetzungen hinsichtlich der Zeiten vorheriger Pflichtversicherung nicht erfüllt sind, wird man auch hinsichtlich der Frage, wann die Vers.Pflicht entfallen sein muß, beide Vorschriften übereinstimmend behandeln müssen. Schließlich spricht auch der Zweck der Vorschrift für die Auffassung des erkennenden Senats, da kein hinreichender Grund ersichtlich ist, Versicherte, denen durch die Neuregelung die Möglichkeit der Weiterversicherung genommen wird, je nach dem Zeitpunkt des letztgeleisteten Pflichtbeitrages unterschiedlich zu behandeln.

Diese Gründe werden weder durch eine Berufung auf die grammatikalische Fassung der Vorschrift (Gegenwartsform: „entfällt“) noch durch einen Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 1303 RVO wirksam entkräftet; sprachliche Ungenauigkeiten begegnen in der Gesetzgebung nicht ganzselten, und die ursprünglich beabsichtigte Regelung mit Übergangsvorschriften ganz anderer Art läßt rückschauend keine eindeutigen Schlüsse auf den Sinn der später in davon abweichender Fassung in Kraft getretenen Vorschriften zu.

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