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4 RJ 186/56

Aus den Gründen

Die im Jahre 1893 geborene Klägerin war seit 1909 bei der LVA Brandenburg invalidenversichert. Vers.Unterlagen sind nicht mehr vorhanden; lediglich die Zahl der Quittungskarten ist bekannt. Von 1909 bis 1919 war sie als Hausangestellte bei verschiedenen Arbeitgebern und von 1919 bis 1933 als Schweißerin bei der Firma O. G.m.b.H. beschäftigt. Von 1933 bis 1938 übte sie keine versicherungspflichtige Beschäftigung aus, entrichtete jedoch freiwillige Beiträge. Von 1938 bis 1944 war sie als Spritzerin bei der Firma Bl.-W. G.m.b.H. tätig. Während der Zeit vom 1.1.1943 bis zum 21.11.1943 hat sie, wie aus einer Bescheinigung der Firma Bl.-W. - deren Unterlagen im übrigen allerdings verlorengegangen sind - hervorgeht, 699,67 RM verdient, wovon 67,61 RM Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sind. Seitdem übt sie keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr aus; Beiträge sind nicht mehr entrichtet worden. Die Beklagte gewährt der Klägerin seit 1.7.1947 Invalidenrente. Die Klägerin begehrt eine höhere Rente. Im Laufe des Verfahrens hat die Beklagte auf die Vorstellungen der Klägerin hin die Rente verschiedentlich erhöht; sie erkennt nun die gesamten angeführten Zeiten als Vers.Zeiten an, berechnet jedoch - abgesehen von der Zeit vom 1.1. bis zum 21.11.1943, für welche die Arbeitgeberin die Höhe des Verdienstes und der abgeführten Sozialversicherungsbeiträge bescheinigt hat - die Steigerungsbeträge nach der Anlage 2 zur Ersten DurchfVO des FremdRG vom 31.7.1954 (BGBl. I S. 245). Die Klägerin verlangt die Berechnung auch dieser Steigerungsbeträge entsprechend ihrem damaligen tatsächlichen Arbeitseinkommen. Sie sei von 1904 bis 1919 nicht nur in Haushalten, sondern auch in Betrieben, in welchen sie ein höheres Einkommen gehabt habe - Nachweise fehlen ihr allerdings - beschäftigt gewesen, habe außerdem von 1919 bis 1933, wie ihre damalige Mitarbeiterin bei der Firma O. G.m.b.H., Frau W., eidesstattlich versichert habe, 38,00 bis 45,00 RM netto wöchentlich und von 1938 bis 1944, wie ihre damalige Mitarbeiterin bei der Bl.-W. G.m.b.H., Frau F., eidesstattlich versichert habe, wöchentlich 35,00 bis 40,00 RM netto verdient. Das SG hat die Klage mit der Maßgabe abgewiesen, daß die Beklagte ihrem Anerkenntnis entsprechend verurteilt wird, der Klägerin eine monatliche Invalidenrente in Höhe von 72,00 DM zu zahlen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Der gegen das Urteil des LSG gerichteten zulässigen Revision mußte der Erfolg versagt bleiben.

Zu Recht ist der Klägerin die Invalidenrente zugesprochen worden. Der Anspruch richtet sich, wie das LSG nicht verkannt hat, nach dem FremdRG, da sich die Klägerin ständig im Gebiet des Landes Berlin aufhält, ausschließlich bei der LVA Brandenburg, einem Vers.Tr. im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG, versichert gewesen ist und von diesem Vers.Tr. keine Leistung erhält. Streit besteht zwischen den Parteien lediglich darüber, ob die Berechnung der Steigerungsbeträge auf Grund des von der Klägerin erzielten tatsächlichen Verdienstes oder auf Grund der Tabelle in Anlage 2 zur Ersten DurchfVO zum FremdRG zu erfolgen hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Berechnung der Rente zu Recht nach der Tabelle in Anlage 2 zur Ersten DurchfVO zum FremdRG vorgenommen worden. Das LSG irrt allerdings bei der Auslegung des § 6 FremdRG und des § 5 der Ersten DurchfVO zum FremdRG. Entgegen der Auffassung des LSG haben die Begriffe „ausreichende Nachweise“, „nachweisbar“, „feststeht“ und „Glaubhaftmachung“ in diesen Vorschriften keine andere als die ihnen auch sonst im Verfahrensrecht zukommende Bedeutung. Die Begriffe „ausreichende Nachweise“, „nachweisbar“, „feststeht“ bedeuten also auch hier, daß ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit bestehen muß, daß kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 519). Das Gericht muß also in Fällen der hier zu entscheidenden Art die volle Überzeugung haben, daß die entrichteten Beiträge eine bestimmte Höhe gehabt haben. Das Gericht kann und muß allerdings wie auch sonst im sozialgerichtlichen Verfahren alle geeigneten und greifbaren Beweise erheben, solange es die volle Überzeugung in diesem Sinne noch nicht erlangt hat. „Glaubhaftmachung“ bedeutet auch in diesen Vorschriften, daß die gute Möglichkeit besteht, daß sich der Vorgang so zugetragen hat (Rosenberg a.a.O., S. 52), d.h. hier also, daß die Beiträge eine bestimmte Höhe gehabt haben. Für die Glaubhaftmachung hat der Gesetzgeber hier eine Beschränkung der Mittel der Glaubhaftmachung insofern angeordnet, als nur Arbeitsbescheinigungen und sonstige als zuverlässig zu erachtende Unterlagen zugelassen sind. Welche Bedeutung diese Beschränkung im einzelnen hat, bedarf keiner Untersuchung; jedenfalls können aus dieser Beschränkung keine Schlüsse auf die Bedeutung der Begriffe „nachweisen“ oder „feststehen“ gezogen werden. Hierzu besteht auch bei richtiger Auffassung dieser Vorschriften kein Anlaß. § 6 Abs. 1 Nr. 3 FremdRG unterscheidet zwischen Vers.Zeiten, die nachgewiesen sind („ ... für die ... anzurechnenden Versicherungszeiten“), und solchen, die nicht nachgewiesen, aber glaubhaft gemacht sind („ ... für die nicht nachweisbaren, aber durch Arbeitsbescheinigungen oder sonstige als zuverlässig zu erachtende Unterlagen glaubhaft gemachten Versicherungszeiten …“). Hier handelt es sich um einen Fall der ersteren Art; denn die Vers.Zeiten sind nachgewiesen. Das Gesetz unterscheidet in diesen Fällen zwischen Beiträgen, deren Höhe feststeht, und solchen, deren Höhe nicht feststeht. Die ersteren müssen voll berücksichtigt werden, die letzteren müssen nach der Tabelle der Anlage 2 der Ersten DurchfVO zum FremdRG berechnet werden. In den Fällen, in denen die Vers.Zeiten dagegen nicht feststehen, vielmehr nur glaubhaft gemacht sind, muß stets die Tabelle angewandt werden. Einer entsprechenden Unterscheidung wie bei der ersten Gruppe von Fällen bedurfte es hier nicht, weil dann, wenn die Vers.Zeiten als solche schon nicht feststehen, auch die Höhe der Beiträge nicht feststehen kann. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung offensichtlich bezüglich der Vers.Zeiten gegenüber dem Normalzustand, in dem stets ihr Nachweis erfolgen muß, eine Erleichterung eintreten lassen, um die besonderen Kriegsumstände, durch welche die Vers.Unterlagen vielfach verlorengegangen sind, angemessen zu berücksichtigen, wollte allerdings um Mißbräuche zu vermeiden, nicht alle Mittel der Glaubhaftmachung gelten lassen. Dieses Entgegenkommen aber war nicht erforderlich hinsichtlich der Höhe der Beiträge, da es insoweit den von ihm gefundenen Ausweg der Pauschalberechnung gibt, falls der Nachweis nicht möglich ist. Hinsichtlich der Höhe der Beiträge wird also grundsätzlich der volle Nachweis gefordert. Ist dieser Nachweis nicht möglich, so ist stets die Tabelle anzuwenden. Eine bloße Glaubhaftmachung ist also nicht vorgesehen. Bei dem Nachweis aber ist eine Beschränkung der Beweismittel nicht möglich. Unklarheit hat allerdings § 5 der Ersten DurchfVO zum FremdRG in diese an sich klare Rechtslage gebracht, da er den Eindruck entstehen läßt, also ob die Tabelle nur bei den glaubhaft gemachten, nicht aber bei den nachgewiesenen Vers.Zeiten angewandt werden müßte („ ... für die Anrechnung der durch Arbeitsbescheinigungen oder sonstige als zuverlässig zu erachtende Unterlagen glaubhaft gemachte Versicherungszeiten ...“). Bei einer wörtlichen Auslegung dieser Vorschrift würde es daher überhaupt an einer Regelung der Fälle fehlen, in denen die Vers.Zeiten nachgewiesen sind, obwohl § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes auch diese Fälle durch RechtsVO der Bundesregierung geregelt wissen wollte. Diese Vorschrift aber ist in sich widerspruchsvoll; denn der erste Teil des ersten Satzes dieser Vorschrift deutet darauf hin, daß alle Fälle geregelt werden sollten, in welchen die Höhe der Beiträge oder der zu berücksichtigenden Entgelte nicht nachgewiesen werden können („Zur Feststellung der Steigerungsbeträge für die nach § 4 des Gesetzes anzurechnenden Vers.Zeiten, bei denen das zu berücksichtigende Entgelt oder die Höhe des Beitrags nicht nachgewiesen wird, ist …“). Hierin kommt der Wille einer umfassenden Regelung aller Fälle so stark zum Ausdruck, daß die folgende Einschränkung nur als eine mißverständliche Formulierung angesehen werden kann; denn es ist anzunehmen, daß die Bundesregierung, da eine weitere Regelung nicht erfolgt ist, mit dieser Vorschrift alle in § 6 Abs. 1 Nr. 3 FremdRG ausdrücklich ihrer Regelung übertragenen Fälle ordnen wollte. Die in ihrem Wortlaut insoweit widerspruchsvolle Vorschrift muß demnach so ausgelegt werden, daß auch bei der zweiten Gruppe von Fällen, in welchen zwar die Vers.Zeiten, nicht aber die Höhe der Beiträge oder der zu berücksichtigenden Entgelte nachgewiesen sind, die Tabelle anzuwenden ist.

Entscheidend ist also, ob die Höhe der Beiträge oder - für die Zeit seit Einführung des Lohnabzugsverfahrens - die „zu berücksichtigenden Entgelte“ nachweisbar sind oder nicht. Entgelt in diesem Sinne ist nicht der tatsächliche Verdienst des Versicherten, sondern das vom Arbeitgeber auf der Quittungskarte zum Nachweis der entrichtenden Beiträge eingetragene Entgelt, der bei der Berechnung der Steigerungsbeträge maßgebend ist (§§ 10, 11 der 2. LAV vom 24.4.1942 - RGBl. I S. 252 -).

Über die Höhe der entrichteten Beiträge und des auf der Quittungskarte eingetragenen Entgelts aber sind hier keine Beweise erhoben, und es ist auch nicht ersichtlich, welche Beweise erhoben werden könnten. Quittungskarten oder sonstige Vers.Unterlagen sind nicht auffindbar. Abgesehen von der auch von der Beklagten hinsichtlich der Beitragshöhe anerkannten Zeit vom 1.1.1943 bis zum 21.11.1943, für welche eine Bescheinigung des Arbeitgebers über die Höhe der abgeführten Beiträge vorliegt, sind lediglich eidesstattliche Erklärungen der von der Klägerin benannten Zeuginnen über den Verdienst der Klägerin während der noch strittigen Zeiten vorhanden. Wenn es auch nicht unbedenklich ist, daß das LSG die Vernehmung dieser Zeuginnen oder - wie es ausführt - die Verwertung der von diesen abgegebenen eidesstattlichen Erklärungen mit der Begründung abgelehnt hat, sie könnten doch nichts mehr über die zehn bis zwanzig Jahre zurückliegenden Vorgänge aussagen, weil sonstige Unterlagen hinsichtlich der Beitragshöhe nicht vorlägen, so ist doch aus einem anderen Grunde die Nichtvernehmung dieser Zeuginnen gerechtfertigt. Sie konnten und sollten über die hier allein entscheidende Frage, in welcher Höhe Beiträge geleistet oder in welcher Höhe Entgelte auf den Quittungskarten eingetragen sind, nichts aussagen, sondern konnten und sollten nur über die Höhe des Verdienstes der Klägerin aussagen. Dies aber ist nicht entscheidend. Es mag sein, daß in besonderen Fällen aus der Tatsache, daß ein Beschäftigter Entgelt in einer bestimmten Höhe erhalten hat, u.U. geschlossen werden kann, daß auch Beiträge in entsprechender Höhe entrichtet worden sind. Ob diese Schlußfolgerung aber im Einzelfall möglich ist, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die allein dem Tatsachengericht zusteht. Das LSG glaubte im vorliegenden Fall jedenfalls, diese Schlußfolgerung nicht ziehen zu können, wie aus seinen Urteilsgründen mittelbar entnommen werden muß. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das LSG hierbei die Grenzen des ihm zustehenden Rechts auf freie Beweiswürdigung verletzt hat. Hierfür besteht jedoch kein Anlaß. Den Ehemann der Klägerin brauchte das LSG nicht als Zeugen zu vernehmen, weil es die Behauptung, die er bestätigen sollte - daß die Klägerin von 1933 bis 1937 freiwillige Beiträge von jeweils 0,60 RM entrichtet hat -, als wahr unterstellt hat. Der Zeuge sollte dagegen offenbar nicht über die Zahl der entrichteten freiwilligen Beiträge vernommen werden, da die mit der Feststellung des LSG übereinstimmende entsprechende Feststellung des SG während des Verfahrens vor dem LSG ebensowenig angegriffen worden ist wie im Verfahren vor dem erkennenden Senat.

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