XII ZB 623/17
Tenor
Der Antragsgegnerin wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das Verfahren der Rechtsbeschwerde bewilligt und Rechtsanwalt … beigeordnet.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 23. Familiensenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 30. November 2017 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 2.140 €
Gründe
I.
Auf den am 22. Februar 2016 zugestellten Antrag hat das Familiengericht die am 26. Juni 1992 geschlossene Ehe des 1971 geborenen Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) und der 1970 geborenen Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Während der Ehezeit (1. Juni 1992 bis 31. Januar 2016; § 3 Abs. 1 VersAusglG) hat der Ehemann in der gesetzlichen Rentenversicherung 1,2972 Entgeltpunkte mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 0,6486 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 4.398,76 € sowie 11,3825 Entgeltpunkte (Ost) mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 5,6913 Entgeltpunkten (Ost) und einem korrespondierenden Kapitalwert von 33.624,87 € erworben. Die Ehefrau hat, überwiegend durch Tätigkeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen, in der gesetzlichen Rentenversicherung 34,7177 Entgeltpunkte (Ost) mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 17,3589 Entgeltpunkten (Ost) und einem korrespondierenden Kapitalwert von 102.558,43 € erworben, darüber hinaus ein privates Anrecht mit einem ehezeitlichen Kapitalwert von 2.055,75 €. Das Familiengericht hat den Versorgungsausgleich wegen grober Unbilligkeit (§ 27 VersAusglG) ausgeschlossen, da die erwerbsunfähig erblindete, auf einen Rollstuhl angewiesene und an epileptischen Anfällen leidende Ehefrau voraussichtlich nicht mehr in der Lage sein werde, weitere eigene Anwartschaften zu erwirtschaften.
Auf die Beschwerde des Ehemanns hat das Oberlandesgericht die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechte intern geteilt und nur den Ausgleich des privaten Anrechts wegen Geringfügigkeit (§ 18 Abs. 2 VersAusglG) ausgeschlossen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Ehefrau.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Versorgungsausgleich sei dem Grundsatz nach unabhängig von den Ursachen, die zur Auflösung der Ehe geführt haben, und den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten durchzuführen. Für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des Versorgungsausgleichs als Ausnahmefall sei erforderlich, dass seine schematische Durchführung dem Gerechtigkeitsgedanken in unerträglicher Weise widerspräche, wie es etwa der Fall wäre, wenn der ausgleichspflichtige Ehegatte auf seine Versorgungsanrechte dringend angewiesen und der Ausgleichsberechtigte bereits anderweitig angemessen abgesichert sei. Diese Konstellation liege jedoch nicht vor, selbst wenn allein der insgesamt ausgleichsberechtigte Ehemann nach der Ehe noch Rentenanwartschaften durch Arbeit erwirtschaften könne. Aufgrund seines beruflichen Werdegangs und seiner gesundheitlichen Verfassung sei nicht zu erwarten, dass der Ehemann, der bislang nur Anwartschaften von monatlich rund 380 € erworben habe, in den ihm verbleibenden 21 Erwerbsjahren in der Lage sei, nennenswerte weitere Anwartschaften zu erwirtschaften.
Eine grobe Unbilligkeit ergebe sich auch nicht daraus, dass die Versicherungsbeiträge der Ehefrau nicht auf der Basis ihres in der Behindertenwerkstatt tatsächlich bezogenen, geringen Arbeitsentgelts errechnet worden seien, sondern im Wesentlichen auf staatlichen Zuwendungen zugunsten behinderter Menschen beruhten. Ebenso reiche nicht aus, dass die Rentenkürzung bei der Ehefrau aufgrund des entfallenen früheren Rentnerprivilegs sofort wirksam werde, während der Ehemann erst nach seinem Renteneintritt davon profitiere.
Schließlich sei dem Ehemann keine grobe Verletzung seiner Unterhaltspflichten vorzuwerfen, die einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs rechtfertigten könnte, da er sich am Erwerb des Familieneinkommens und an der gemeinsamen Kindererziehung im Rahmen seiner Möglichkeiten beteiligt habe.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Zu Recht ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass auch das durch die Tätigkeit der Ehefrau in einer Werkstatt für behinderte Menschen erworbene Anrecht grundsätzlich dem Versorgungsausgleich unterfällt, weil es durch Arbeit im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG geschaffen ist. Zwar bemessen sich die für behinderte Menschen zu entrichtenden Rentenbeiträge gemäß § 162 Nr. 2 SGB VI nicht nach dem auf der Arbeitsleistung beruhenden Entgelt, sondern nach einem fiktiven Mindestarbeitsentgelt in Höhe von 80 Prozent der Bezugsgröße, sofern - wie von der Ehefrau - kein höheres Arbeitsentgelt erreicht wird. Darauf, ob die Beitrags- und spätere Rentenhöhe mit der Höhe des Arbeitsentgelts korrespondiert, kommt es jedoch nicht an. Denn § 2 Abs. 2 VersAusglG verlangt nicht ein beitragsfinanziertes Versorgungssystem, sondern nur einen Kausalitäts- und Zurechnungszusammenhang zwischen der Arbeitsleistung des Ehegatten und seinem Rentenanspruch. Ausgleichspflichtig wäre daher auch ein Rentenanrecht, das sich allein aus Arbeitgeberbeiträgen oder aus Steuermitteln finanziert, sofern nur das Teilhaberecht des Ehegatten auf seine Arbeit als Teil der gemeinsamen Lebensleistung der Ehegatten zurückzuführen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 649/11 - FamRZ 2013, 106 Rn. 14 mwN).
b) Ebenso ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht nicht durch Anwendung des § 27 VersAusglG von der Teilung des Anrechts ganz oder teilweise abgesehen hat.
Nach § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen. Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig erscheint, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung. Diese ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde nur daraufhin zu überprüfen, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind und das Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (Senatsbeschluss vom 16. August 2017 - XII ZB 21/17 - FamRZ 2017, 1914 Rn. 25). Nach diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab sind Rechtsfehler bei der vom Oberlandesgericht getroffenen Ermessensabwägung nicht zu erkennen.
aa) Das Oberlandesgericht hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass die Ehefrau die in 1993, 1998 und 2001 geborenen Kinder - eines davon schwerbehindert - versorgt hat, sie selbst erblindet und auf einen Rollstuhl angewiesen ist und in den Jahren 2004 bis 2012 vollzeitig in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig war. Weiter hat es berücksichtigt, dass der Ehemann bis 2003 zunächst als Industrieschlosser und später in der Verkehrssicherung mit einem Nettoeinkommen von zuletzt 1.400 € berufstätig, anschließend nur noch zeitweilig bei Zeitarbeitsunternehmen oder anderweitig gering bezahlt tätig war.
Hinsichtlich der Versorgungssituation hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass der Ehemann nach derzeitigem Stand eine Altersrente von monatlich 380,53 € zu erwarten habe, die Ehefrau eine solche von 1.030,07 €. Aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs ergebe sich eine Minderung der Altersrente der Ehefrau um monatlich 296,66 € zugunsten des Ehemanns.
Derzeit beziehe die Ehefrau eine Erwerbsminderungsrente mit einem Auszahlbetrag von monatlich 1.244 € zuzüglich Landesblindengeld und Blindenhilfe sowie Hilfe zur Pflege bis zu einem Gesamtwert von monatlich 1.685,17 € ohne Einkommensanrechnung. Der Ehemann sei derzeit arbeitslos und trage für zwei Stunden in der Woche Zeitungen aus. Er bemühe sich um Arbeit, habe dabei aber Schwierigkeiten wegen seines starken Übergewichts und einer Knieschädigung.
Aufgrund seines beruflichen Werdegangs und seiner körperlichen Verfassung sei anzunehmen, dass der Ehemann auch aufgrund nachehelicher Tätigkeiten voraussichtlich keine angemessene Altersabsicherung erwerben werde. Auch bleibe die Ehefrau künftig nicht ohne jeglichen weiteren Ausbau ihrer Altersabsicherung, da sie aufgrund des Bezugs von Erwerbsminderungsrente von gesetzlichen Zurechnungszeiten (vgl. §§ 59, 253 a SGB VI) profitiere.
bb) Aus diesen Umständen hat das Oberlandesgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gefolgert, dass ein unbilliges wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den beteiligten Eheleuten jedenfalls nicht daraus abgeleitet werden kann, dass der Ehemann als Ausgleichsberechtigter bereits anderweitig voll abgesichert sei, während die insgesamt ausgleichspflichtige Ehefrau auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung ihres Unterhalts dringend angewiesen sei (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 8. April 2015 - XII ZB 428/12 - FamRZ 2015, 1001 Rn. 21).
cc) Auch steht es in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung, dass das Entfallen des früheren "Rentnerprivilegs" (§ 101 Abs. 3 SGB VI a.F.) durch das neue Versorgungsausgleichsrecht eine grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmende Gesetzesänderung darstellt, die für sich genommen, ohne Hinzutreten weiterer Umstände, keine Korrektur nach § 27 VersAusglG rechtfertigt (Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 253/13 - FamRZ 2014, 461 Rn. 16 f.). Dies gilt erst recht für den Fall des Bezugs einer laufenden Versorgung wegen Invalidität, für den das Gesetz nach näherer Maßgabe des § 35 Abs. 1 VersAusglG auf Antrag eine Anpassung der Kürzung vorsieht.
dd) Schließlich hat das Oberlandesgericht mit zutreffenden Erwägungen keine besondere Härte darin gesehen, dass die Ehefrau als behinderter Mensch in Anwendung des § 162 Nr. 2 SGB VI höhere Anwartschaften erworben hat, als es einer Beitragsleistung bemessen an dem von ihr tatsächlich bezogenen Arbeitsentgelt (§ 162 Nr. 1 SGB VI) entspräche. Denn mit der Regelung des § 162 Nr. 2 SGB VI wird nicht eine verbesserte Altersversorgung behinderter Menschen gegenüber nicht behinderten Menschen verfolgt, deren Ausgleich den Zielen des Versorgungsausgleichs widerstreben könnte. Vielmehr wird durch die Regelung lediglich vorgebeugt, dass behinderte Menschen unter Zugrundelegung der tatsächlichen Arbeitsentgelte ihrer nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI versicherungspflichtigen Tätigkeiten lediglich Bagatellanrechte erwerben und ihnen dadurch unangemessene Rentennachteile gegenüber erwerbstätigen, nicht behinderten Menschen entstehen (vgl. BT-Drucks. 7/1992 S. 14 zu § 7 SVBG). Ausgehend vom Grundsatz der auf Lebenszeit angelegten ehezeitlichen Lebens- und Versorgungsgemeinschaft fügt sich deshalb auch der Ausgleich von aufgrund Beitragsbemessung nach § 162 Nr. 2 SGB VI erworbenen Rentenanrechten in das System der vom Gesetz gewollten Halbteilung.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).