XII ZB 450/13
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom 23. Juli 2013 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Wert: 1.000 €
Gründe
I.
Der Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) und die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) sind geschiedene Ehegatten und beziehen Alterseinkünfte. Sie streiten über die Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich, die nach dem vor dem 1. September 2009 geltenden Recht ergangen ist.
Der Versorgungsausgleich wurde im Scheidungsurteil vom 2. September 1993 für die Ehezeit vom 1. Mai 1956 bis zum 31. März 1991 durchgeführt. Dabei wurden neben auf beiden Seiten bestehenden gesetzlichen Rentenanwartschaften eine Beamtenversorgung des Ehemanns sowie eine Anwartschaft der Ehefrau bei einer kommunalen Zusatzversorgungskasse einbezogen.
Auf Antrag des Ehemanns vom 1. Dezember 2011 hat das Amtsgericht die Entscheidung nach § 51 VersAusglG dahin abgeändert, dass es die gesetzlichen Rentenanrechte jeweils intern geteilt und im Weg der externen Teilung zu Lasten der Beamtenversorgung des Ehemanns bezogen auf das Ende der Ehezeit ein Anrecht der Ehefrau von monatlich 622,90 € bei der Deutschen Rentenversicherung Bund begründet hat. Hinsichtlich des Anrechts der Ehefrau auf Zusatzversorgung, das aufgrund einer an die Ehefrau 1995 geleisteten Abfindung von 25.801,76 DM erloschen ist, hat es festgestellt, dass ein Ausgleich nicht stattfinde. Auf die Beschwerde des Ehemanns hat das Oberlandesgericht das zu Lasten der Beamtenversorgung begründete Anrecht der Ehefrau auf monatlich 590,10 € gekürzt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erstrebt.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat im Rahmen der Abänderung nach § 51 Abs. 1 VersAusglG das Anrecht der Ehefrau bei der Zusatzversorgungskasse als nicht mehr ausgleichsfähig angesehen, weil dieses nicht mehr vorhanden sei und weder geteilt noch fingiert werden könne. Auch ein schuldrechtlicher Ausgleich setze voraus, dass das Anrecht noch bestehe.
In Betracht komme letztlich nur eine Berücksichtigung im Rahmen von § 27 VersAusglG, der auch im Abänderungsverfahren anwendbar sei. Die Ehefrau habe ihr Anrecht bei der Zusatzversorgungskasse aufgelöst, was zu einer Benachteiligung des Ehemanns führe. Dies müsse durch Kürzung der übertragenen Anrechte des Ehemanns berücksichtigt werden, weil es anderenfalls zu einer nicht vorgesehenen Abweichung von der Erstentscheidung käme, die auf dem einseitigen Verhalten der Ehefrau beruhte. Auf ein schuldhaftes Verhalten oder eine Schädigungsabsicht komme es nicht an. Es genüge, dass der Halbteilungsgrundsatz verletzt sei. Zwar reiche es nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht aus, wenn die Durchführung des Versorgungsausgleichs dazu führe, dass der Ausgleichsberechtigte eine höhere Versorgung erhalte als der Ausgleichspflichtige. Hier sei jedoch zu beachten, dass der Ausgleichspflichtige durch die Abfindung eines Anrechts der Ausgleichsberechtigten stärker belastet werde und dieses Anrecht ursprünglich auch rechtskräftig berücksichtigt worden sei. Daher sei die Herabsetzung des Versorgungsausgleichs geboten.
Das Oberlandesgericht hat die Herabsetzung durchgeführt, indem es den dem Ausgleichswert korrespondierenden Kapitalwert der Beamtenversorgung um den korrespondierenden Kapitalwert der Zusatzversorgung vermindert hat, und ist zu einem Ausgleichsbetrag von monatlich 590,10 € (anstelle von 622,90 €) gelangt.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Das Oberlandesgericht hat ausgehend von der Berechnung des Amtsgerichts die Abänderung nach § 51 Abs. 1 VersAusglG schon deshalb als eröffnet angesehen, weil der Ausgleichswert der Beamtenversorgung des Ehemanns wesentlich gesunken ist. Insoweit erhebt die Rechtsbeschwerde keine Rügen und besteht auch sonst kein Anlass zur Beanstandung. Als Folge der nach der Übergangsregelung des § 51 Abs. 1 VersAusglG eröffneten Abänderung ist der Versorgungsausgleich nach dem seit 1. September 2009 geltenden Recht hinsichtlich sämtlicher einbezogener Anrechte vollständig und ohne Bindung an die Ausgangsentscheidung durchzuführen ("Totalrevision"; vergleiche Senatsbeschluss vom 24. Juni 2015 - XII ZB 495/12 - FamRZ 2015, 1688 Rn. 23 mwN; zu fehlerhaft nicht in die Ausgangsentscheidung einbezogenen Anrechten vergleiche allerdings Senatsbeschluss BGHZ 198, 91 = FamRZ 2013, 1548 Rn. 14 ff.).
Zu Recht ist das Oberlandesgericht ferner davon ausgegangen, dass das in die Ausgleichsberechnung der Ausgangsentscheidung noch eingestellte und daher einbezogene Anrecht der Ehefrau bei der kommunalen Zusatzversorgungskasse (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juni 2015 - XII ZB 495/12 - FamRZ 2015, 1688 Rn. 26) nicht mehr besteht und daher im Rahmen der Abänderung nach § 51 VersAusglG nicht mehr ausgeglichen werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. April 2015 - XII ZB 701/13 - FamRZ 2015, 998 Rn. 10 f. und vom 18. April 2012 - XII ZB 325/11 - FamRZ 2012, 1039 Rn. 11 mwN).
b) Die vom Oberlandesgericht in Anwendung von § 27 VersAusglG vorgenommene Kürzung des Ausgleichs der Beamtenversorgung des Ehemanns ist nicht zu beanstanden und hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
aa) § 27 VersAusglG findet im Abänderungsverfahren nach § 51 Abs. 1 VersAusglG Anwendung. Dies folgt bereits aus der sich aus § 52 Abs. 1 VersAusglG, § 226 Abs. 3 FamFG ergebenden ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung und stimmt damit überein, dass der Versorgungsausgleich hinsichtlich der in die Ausgangsentscheidung einbezogenen Anrechte vollständig neu und ohne Bindung an die abzuändernde Entscheidung durchzuführen ist.
bb) Gemäß § 27 Satz 1 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig erscheint, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung. Diese ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde nur daraufhin zu überprüfen, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden und das Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (Senatsbeschlüsse vom 1. April 2015 - XII ZB 701/13 - FamRZ 2015, 998 Rn. 14 f.; vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 253/13 - FamRZ 2014, 461 Rn. 13 und vom 19. September 2012 - XII ZB 649/11 - FamRZ 2013, 106 Rn. 16 mwN).
Aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG folgt, dass beide Eheleute gleichermaßen an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen berechtigt sind. Die Leistungen, die von den Ehegatten im Rahmen der ehelichen Rollenverteilung erbracht werden, sind als grundsätzlich gleichwertig anzusehen; die Leistungen desjenigen Ehegatten, der Haushaltsführung und Kinderbetreuung übernommen hat, haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als das Erwerbseinkommen des berufstätigen Ehegatten. Der Versorgungsausgleich dient insoweit der Aufteilung von gemeinsam erwirtschaftetem Vermögen der Eheleute, welches nur wegen der in der Ehe gewählten Aufgabenverteilung einem der beiden Ehegatten rechtlich zugeordnet war (vgl. BVerfG FamRZ 1984, 653, 654 und FamRZ 2003, 1173; Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2013 - XII ZB 176/12 - FamRZ 2014, 105 Rn. 24; vergleiche auch Senatsbeschluss vom 9. Mai 1990 - XII ZB 76/89 - FamRZ 1990, 985, 986 f.).
In diesem Zusammenhang hat die Härtefallklausel des § 27 VersAusglG die Funktion eines Gerechtigkeitskorrektivs. Sie soll als Ausnahmeregelung eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglichen, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur "Prämierung" einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde. Die Auslegung des § 27 VersAusglG hat sich indessen stets an der gesetzgeberischen Zielsetzung des Versorgungsausgleichs zu orientieren, nämlich die gleichberechtigte Teilhabe der Eheleute an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen zu verwirklichen und dem Ehegatten, der in der Ehezeit wegen der Aufteilung von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit keine eigenen Versorgungsanwartschaften hat aufbauen können, eine eigene Versorgung zu verschaffen (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2013 - XII ZB 176/12 - FamRZ 2014, 105 Rn. 25; BVerfG FamRZ 2003, 1173 f.).
Tragender Grundsatz des Versorgungsausgleichs ist dementsprechend die in § 1 Abs. 1 VersAusglG niedergelegte Halbteilung der ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte. Der Senat hat demzufolge die Anwendung des § 27 VersAusglG gebilligt, wenn ein Ehegatte ein ehezeitlich erworbenes Anrecht durch Ausübung des ihm eingeräumten Kapitalwahlrechts dem Versorgungsausgleich entzogen hat und dieses auch nicht dem Zugewinnausgleich unterfiel. Der Senat hat dabei eine Treuwidrigkeit nicht darin erblickt, dass der Ehegatte das Anrecht dem Versorgungsausgleich entzogen hat, sondern darin, dass dieser gleichwohl in unverminderter Höhe an den Anrechten des anderen Ehegatten teilhaben will (Senatsbeschluss vom 1. April 2015 - XII ZB 701/13 - FamRZ 2015, 998 Rn. 19 ff.).
Dem entspricht die Lage im vorliegenden Fall. Dass die Ehefrau die Zahlung einer Abfindung gewählt hat und das Anrecht demzufolge erloschen ist, ist zwar für sich genommen nicht zuletzt deswegen unbedenklich, weil über den Versorgungsausgleich bereits rechtskräftig entschieden war und sie mit einer Abänderung der Entscheidung nicht rechnen musste. Infolge der durch die gesetzliche Übergangsregelung in § 51 VersAusglG eröffneten Totalrevision hat sich die Lage aber dadurch verschoben, dass die Ehefrau bei erneuter Durchführung des Versorgungsausgleichs an den ehezeitlichen Anrechten des Ehemanns unverändert hälftig teilhaben kann, während ihre Anwartschaft auf eine Zusatzversorgung nicht mehr zum Ausgleich zur Verfügung steht. Das Oberlandesgericht hat demnach in der schematischen Durchführung des Versorgungsausgleichs im Rahmen des ihm zustehenden tatrichterlichen Ermessens in zulässiger Weise eine unbillige Härte im Sinne von § 27 Satz 1 VersAusglG erblickt und den Ausgleich der Beamtenversorgung soweit gekürzt, als dies zur Halbteilung der beiderseitigen Anrechte (einschließlich des entfallenen Anrechts der Ehefrau) erforderlich ist.
cc) Die Rechtsbeschwerde macht geltend, das Oberlandesgericht habe die Funktion des korrespondierenden Kapitalwerts verkannt und keine Feststellungen zur Vergleichbarkeit der Anrechte getroffen. Vielmehr seien nach § 47 Abs. 6 VersAusglG bei einem Wertvergleich nach § 27 VersAusglG auch die weiteren Faktoren der Anrechte zu berücksichtigen. Die Rüge ist unbegründet.
Nach § 47 Abs. 1 VersAusglG ist der korrespondierende Kapitalwert eine Hilfsgröße für ein Anrecht, dessen Ausgleichswert nach § 5 Abs. 3 VersAusglG nicht bereits als Kapitalwert bestimmt ist. Sie dient dazu, verschiedenartige Anrechte vergleichbar zu machen (vgl. BT-Drucks. 16/10144 S. 84; Johannsen/Henrich/Holzwarth Familienrecht 6. Aufl. § 47 VersAusglG Rn. 2). Für Anrechte im Sinne des § 44 Abs. 1 VersAusglG, also insbesondere Beamtenversorgungen, sind bei der Ermittlung des korrespondierenden Kapitalwerts die Berechnungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend anzuwenden (§ 47 Abs. 3 VersAusglG). Für ein Anrecht, das bei einem Träger einer Zusatzversorgung des öffentlichen oder kirchlichen Dienstes besteht, ist nach § 47 Abs. 4 Satz 2 VersAusglG als korrespondierender Kapitalwert der Barwert im Sinne des § 47 Abs. 5 VersAusglG zu ermitteln (vgl. MünchKommBGB/Dörr/Glockner 7. Aufl. § 47 VersAusglG Rn. 12 mwN).
Dass die Wertermittlung des Oberlandesgerichts diesen Maßstäben nicht entspricht, wird von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt. Zwar sind nach § 47 Abs. 6 VersAusglG auch weitere Faktoren zu berücksichtigen, die sich auf die Versorgung auswirken (zu den Faktoren vergleiche Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 195; Johannsen/Henrich/Holzwarth Familienrecht 6. Aufl. § 47 Rn. 15), und hat das Oberlandesgericht insoweit keine gesonderten Feststellungen getroffen. Grundsätzlich darf das Familiengericht aber von dem nach den obenstehenden Maßstäben ermittelten korrespondierenden Kapitalwert ausgehen, der den unterschiedlichen Typen der Versorgungen jedenfalls im Wesentlichen bereits Rechnung trägt (a.A. Erman/Norpoth BGB 14. Aufl. § 47 Rn. 15, nach dem abweichend von der gesetzlichen Regelung sämtliche Anrechte nach § 47 Abs. 5 VersAusglG zu bewerten sein sollen). So wird sich insbesondere die Dynamik der jeweiligen Versorgung in der Regel im korrespondierenden Kapitalwert widerspiegeln (vgl. Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 195). Eine weitergehende Ermittlungspflicht des Familiengerichts besteht dementsprechend nur, wenn im konkreten Fall - etwa wegen Unterschieden im Leistungsumfang, in der Dynamik oder der Insolvenzsicherung - Anhaltspunkte für von den korrespondierenden Kapitalwerten abweichende Werte der miteinander verglichenen Anrechte bestehen.
Dass nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall zwischen der Beamtenversorgung des Ehemanns und der (ursprünglichen) Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes der Ehefrau insofern wesentliche Unterschiede bestehen, die das Oberlandesgericht zu weiteren Feststellungen hätten veranlassen müssen, ist von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt worden. Das Oberlandesgericht hat sich demnach bei der nach § 27 VersAusglG zu treffenden Billigkeitsentscheidung durch die Kürzung des externen Ausgleichs der Beamtenversorgung um einen Monatsbetrag von rund 33 € im Rahmen des ihm zustehenden tatrichterlichen Ermessens gehalten.