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XII ZB 368/14

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 2. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Bamberg vom 23. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Wert: 35.212 €

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine im Scheidungsverbund ergangene Entscheidung zum Zugewinnausgleich.

Das Amtsgericht hat im schriftlichen Verfahren mit einem am 24. September 2013 verkündeten Beschluss die Ehe der Beteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich geregelt und den Antragsgegner zur Zahlung von Zugewinnausgleich verpflichtet. Die am 1. Oktober 2013 von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts veranlasste Zustellung der Entscheidung an den Antragsgegner ist erst am 21. Oktober 2013 erfolgt.

Nachdem am 18. Oktober 2013 das Empfangsbekenntnis der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners noch nicht zurückgesendet war, hat ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts erneut die Zustellung von zwei Ausfertigungen der amtsgerichtlichen Entscheidung veranlasst, weil er Zweifel daran hatte, ob die bereits vorgenommene Zustellung des Beschlusses erfolgreich war. Hierfür hat er einen auf den 9. August 2013 datierten Beschlussentwurf, der in der Datenverarbeitungsanlage des Amtsgerichts gespeichert war, ausgedruckt und als Ausfertigung an die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners zum Zwecke der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis übersandt. Das Empfangsbekenntnis hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners ebenfalls am 21. Oktober 2013 unterzeichnet.

Mit einem beim Amtsgericht am 12. November 2013 eingegangenen Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten, in dem als anzufechtende Entscheidung die "Entscheidung vom 9. August 2013" genannt ist, hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt. Der Beschwerdeschrift war die auf den 9. August 2013 datierte Beschlussausfertigung beigefügt. Nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 20. Januar 2014 hat der Antragsgegner mit einem am 16. Januar 2014 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz die Beschwerde begründet. Nachdem das Oberlandesgericht den Antragsgegner mit Verfügung vom 20. Januar 2014 auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde hingewiesen hatte, hat dieser am 11. Februar 2014 erneut Beschwerde eingelegt, die er mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbunden hat, in der nunmehr als angefochtene Entscheidung der Beschluss vom 24. September 2013, "zugestellt am 21. Oktober 2013" genannt wird. Dieser Beschwerdeschrift hat der Antragsgegner eine Ausfertigung des am 24. September 2013 ergangenen Beschlusses in Kopie beigefügt. Am gleichen Tag ist beim Beschwerdegericht die Beschwerdebegründung und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Beschwerdebegründung eingegangen.

Mit Beschluss vom 17. April 2014 hat das Amtsgericht festgestellt, dass eine Scheidungsverbundentscheidung am 9. August 2013 nicht ergangen ist, eine Entscheidung gleichen Datums nicht existiert und die weitere Zustellung vom 21. Oktober 2013 an den Antragsgegner einen Entscheidungsentwurf zum Gegenstand hatte.

Nach entsprechendem Hinweis, dass eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht komme, hat das Beschwerdegericht die Beschwerden des Antragsgegners gegen die Beschlüsse vom 9. August 2013 und 24. September 2013 verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG in Verbindung mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), welcher es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 4 mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung folgendes ausgeführt:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschlussentwurf vom 9. August 2013 sei als unzulässig zu verwerfen. Zwar sei ein durch die Geschäftsstelle ausgefertigter und zugestellter Beschlussentwurf, durch den der äußere Anschein einer gerichtlichen Entscheidung bewirkt werde, grundsätzlich rechtsmittelfähig. Durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 17. April 2014 sei der durch die Zustellung zweier Ausfertigungen an den Antragsgegner hervorgerufene Rechtsschein der Existenz einer auf den 9. August 2013 datierten Scheidungsverbundentscheidung jedoch endgültig beseitigt und daher die bis zu diesem Zeitpunkt zu bejahende Rechtsmittelfähigkeit entfallen. Eine Erledigung des Rechtsmittels sei nicht erklärt worden.

Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. September 2013 sei unzulässig, da die Beschwerdefrist nicht gewahrt sei und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einlegungsfrist nicht vorlägen.

Durch die am 12. November 2013 beim Amtsgericht eingelegte Beschwerde sei die Beschwerdefrist hinsichtlich des Beschlusses vom 24. September 2013 nicht gewahrt, weil diese sich gegen den "Scheinbeschluss" vom 9. August 2013 gerichtet habe. Eine Auslegung oder Umdeutung dieser Beschwerde in eine Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. September 2013 sei nicht möglich, da die Beschwerdeschrift ausdrücklich den "Scheinbeschluss" vom 9. August 2013 als angefochtene Entscheidung im Sinne von § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG bezeichnet habe und dem Schriftsatz die entsprechende Beschlussausfertigung beigefügt gewesen sei. Die in der Beschwerdeschrift verwendeten Identitätskriterien der angefochtenen Entscheidung seien derart zwingend, dass der Schriftsatz einer Auslegung nicht zugänglich sei.

Auch die Identität des Entscheidungsausspruchs und der Entscheidungsgründe führe zu keinem anderen Ergebnis. Werde der Rechtsschein gesetzt, dass (zeitversetzt) zwei identische Entscheidungen im selben Verfahren ergangen seien, rechtfertige dies nicht, ein Rechtsmittel, das gegen die Schein-Entscheidung eingelegt worden sei, grundsätzlich auch als Rechtsmittel gegen die andere Entscheidung zu werten. Werde nämlich - wie hier - der Rechtsschein gesetzt, die Ehe der Beteiligten sei durch mehrere Verbundbeschlüsse geschieden, der Versorgungsausgleich mehrfach geregelt und ein Beteiligter mehrfach zur Zahlung von Zugewinnausgleich verpflichtet worden, sei es ein nachvollziehbares Ziel und Bedürfnis eines Rechtsmittelführers, diesen Anschein durch Anfechtung einer der beiden Entscheidungen, nämlich der Schein-Entscheidung zu beseitigen, um den Schein einer mehrfachen Titulierung und Rechtsgestaltung zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu verhindern und Rechtsklarheit herzustellen. Wolle hingegen in einer derartigen Fallkonstellation der Rechtsmittelführer nicht nur den Rechtsschein beseitigen, sondern auch den inhaltsidentischen Entscheidungsausspruch angreifen, dann müsse er beide ihm bekannt gegebenen Entscheidungen in der Beschwerdeschrift bezeichnen und dies unmissverständlich zum Ausdruck bringen. Dieses ihm zumutbare Postulat folge bereits aus § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG beziehungsweise aus § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Dem Beschwerdeführer sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen.

b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat der Antragsgegner bereits mit dem am 12. November 2013 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 11. November 2013 form- und fristgerecht Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 24. September 2013 eingelegt.

aa) Nach § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Wie bei der für das zivilprozessuale Berufungsverfahren maßgeblichen Regelung in § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, an die § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG angelehnt ist (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 64 Rn. 24), ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift allerdings nicht, auf welche Weise die angefochtene Entscheidung bezeichnet werden muss. Da § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG dem Zweck dient, dem Beschwerdegericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten Klarheit über den Gegenstand und die Beteiligten des Rechtsmittelverfahrens zu verschaffen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 371, 375 = FamRZ 2006, 543 zu § 519 Abs. 3 ZPO; vergleiche auch Schulte-Bunert/Weinreich/Unger FamFG 4. Aufl. § 64 Rn. 14), ist in der Beschwerdeschrift die angegriffene Entscheidung in der Regel durch eine vollständige Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, des Gerichts, das den angefochtenen Beschluss erlassen hat, des Verkündungsdatums und des Aktenzeichens zu bezeichnen (Prütting/Helms/Abramenko FamFG 3. Aufl. § 64 Rn. 15; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 34. Aufl. § 64 FamFG Rn. 15; vergleiche auch BGH Beschluss vom 6. Dezember 2006 - IV ZB 20/06 - FamRZ 2007, 553 mwN zu § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Dabei ist jedoch zu beachten, dass verfahrensrechtliche Formvorschriften kein Selbstzweck sind (Senatsbeschluss BGHZ 165, 371, 375 = FamRZ 2006, 543). Daher dürfen keine übermäßigen Anforderungen an die Beachtung der Förmlichkeiten der Beschwerdeschrift gestellt werden (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 64 Rn. 25). Ausreichend ist, wenn aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 165, 371, 373 = FamRZ 2006, 543 mwN und vom 7. November 2012 - XII ZB 325/12 - FamRZ 2013, 371 Rn. 15; BGH Beschluss vom 6. Dezember 2006 - IV ZB 20/06 - FamRZ 2007, 553, 554; Zöller/Feskorn ZPO 30. Aufl. § 64 FamFG Rn. 7; Prütting/Helms/Abramenko FamFG 3. Aufl. § 64 Rn. 15; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 35. Aufl. § 64 FamFG Rn. 7; MünchKommFamFG/Ansgar Fischer 2. Aufl. § 64 Rn. 7).

bb) Gemessen hieran hat der Antragsgegner durch die am 12. November 2013 beim Amtsgericht eingegangene Rechtsmittelschrift rechtzeitig Beschwerde gegen den am 21. Oktober 2013 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts vom 24. September 2013 eingelegt. Zwar ist in diesem Schriftsatz als Verkündungstermin der Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel richtet, der 9. August 2013 angegeben und eine Kopie der fehlerhaft von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts übermittelten und auf diesen Tag datierten Beschlussausfertigung beigefügt. Aus den weiteren in diesem Schriftsatz zum Aktenzeichen und zu den Verfahrensbeteiligten enthaltenen Angaben war für das Beschwerdegericht jedoch erkennbar, dass sich der Antragsgegner gegen die in diesem Verfahren ergangene Verbundentscheidung wenden will. Aus dem Inhalt der Verfahrensakten, die dem Beschwerdegericht ab dem 15. November 2013 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdefrist vorlagen, war ersichtlich, dass die vom Antragsgegner beigefügte Beschlusskopie bis auf das Verkündungsdatum vollständig inhaltsgleich mit der am 24. September 2013 verkündeten Entscheidung des Amtsgerichts war und in diesem Verfahren am 9. August 2013 keine weitere Entscheidung ergangen ist. Trotz der unzutreffenden Angabe des Verkündungstermins in der Beschwerdeschrift konnte daher bei Ablauf der Beschwerdefrist nicht zweifelhaft sein, dass sich der Antragsgegner mit seinem Rechtsmittel gegen die am 24. September 2013 verkündete Verbundentscheidung wenden wollte.

Das Beschwerdegericht war auch trotz der fehlerhaften Angabe zum Verkündungstermin in der Beschwerdeschrift seit Beginn seiner Befassung mit der Sache nicht gehindert, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 371, 374 = FamRZ 2006, 543). Denn es hat das eingelegte Rechtsmittel von Beginn an als Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. September 2013 verstanden und entsprechend behandelt, wie sich aus der Eingangsverfügung des Senatsvorsitzenden des Beschwerdegerichts vom 18. November 2013 ergibt.

uch die Antragstellerin ist von Beginn an davon ausgegangen, dass sich das Rechtsmittel des Antragsgegners gegen den am 24. September 2013 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts richtet. Sie geht in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 22. Januar 2014 nämlich erkennbar von einer Beschwerde gegen diesen Beschluss aus. Sie rügt in diesem Schriftsatz nur, dass die Beschwerde verfristet sei, weil der Beschluss vom 24. September 2013 dem Antragsgegner spätestens am 7. Oktober 2013 zugestellt worden sein müsse.

Im Übrigen müssen etwaige Zweifel des Verfahrensgegners daran, gegen welche gerichtliche Entscheidung sich ein Rechtsmittel richtet, nicht schon bis zum Ablauf der Beschwerdefrist behoben sein; es genügt, wenn die Klarstellung ihm gegenüber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, sofern dadurch seine Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt wird (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 371, 373 = FamRZ 2006, 543).

cc) Soweit das Beschwerdegericht eine solche Auslegung der Beschwerdeschrift für nicht möglich gehalten hat, ist der Senat hieran nicht gebunden. Die Auslegung von Verfahrenshandlungen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freier rechtlicher Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (vgl. BGH Beschluss vom 20. Januar 2004 - VI ZB 68/03 - FamRZ 2004, 697, 698 mwN).

Die Auslegung der am 12. November 2013 fristgerecht beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerdeschrift ergibt nach alldem, dass der Antragsgegner bereits hierdurch Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 24. September 2013 eingelegt hat. Auf die weiteren Erwägungen des Beschwerdegerichts zu der verspäteten Einlegung eines Rechtsmittels mit Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners vom 11. Februar 2014 und den Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist kommt es daher nicht mehr an.

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