IX ZR 8/10
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 2. Dezember 2009 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 7. März 2005 am 2. Mai 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. AG (fortan: Schuldnerin). Diese entrichtete am 10. Februar 2005 rückständige Steuern aus den Monaten November und Dezember 2004 sowie Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 64.191 € an den beklagten Freistaat, nachdem die Finanzkasse sie mit Schreiben vom 2. Februar 2005 zur umgehenden Zahlung aufgefordert und zugleich Vollstreckungsmaßnahmen für den Fall angekündigt hatte, dass die Schuldnerin der Aufforderung nicht nachkam.
Der Insolvenzverwalter nimmt den Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr der genannten Zahlung in Anspruch. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein Rückgewähranspruch gemäß § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 InsO zu. Die Schuldnerin habe dem Beklagten unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung eine inkongruente Deckung gewährt. Das unmissverständlich mit "Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung" betitelte Schreiben vom 2. Februar 2005 sei von der Schuldnerin nur so zu verstehen gewesen, dass ihr damit eine letzte Gelegenheit zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung eingeräumt worden sei. Der Drohungsgehalt des Schreibens unterscheide sich nicht von demjenigen, das Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Mai 2003 (IX ZR 194/02, ZInsO 2003, 611) gewesen sei. Mit der Aufforderung zur "umgehenden" Zahlung werde dem Schuldner die Dringlichkeit und Notwendigkeit einer Zahlung mindestens ebenso deutlich vor Augen geführt wie mit einer exakt bemessenen (Wochen-)Frist. Für die Annahme, dass die Finanzkasse ihr vor der Vollstreckung eine nochmalige Zahlungsfrist setzen würde, habe die Schuldnerin keinen Anlass gehabt. Auf die "freundliche" Formulierung des Schreibens komme es nicht an. Ob die Vollstreckung der Beklagten nach ihren internen, der Schuldnerin nicht bekannten, Abläufen tatsächlich alsbald möglich und beabsichtigt gewesen sei, könne dahinstehen. Das Schreiben vom 2. Februar 2005 sei der Schuldnerin vor der Zahlung vom 10. Februar 2005 zugegangen, dies folge schon aus der Mitüberweisung der darin festgesetzten Säumniszuschläge.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand. Der Beklagte hat innerhalb der Monatsfrist des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine inkongruente Befriedigung erlangt. Das Berufungsgericht hat dem Kläger daher mit Recht einen Anspruch aus § 143 Abs. 1 InsO auf Rückgewähr des am 10. Februar 2005 gezahlten Betrages zuerkannt.
1. Seit der Entscheidung vom 9. September 1997 (IX ZR 14/97, BGHZ 136, 309, 311 ff) hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass eine inkongruente Deckung im Sinne des Anfechtungsrechts auch dann vorliegt, wenn der Schuldner in der Krise zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 159/00, ZIP 2002, 228, 229; vom 11. April 2002 - IX ZR 211/01, WM 2002, 1193, 1194; vom 26. September 2002 - IX ZR 66/99, WM 2003, 59, 60; vom 15. Mai 2003 - IX ZR 194/02, ZInsO 2003, 611, 612; vom 18. Dezember 2003 - IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242, 248; vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 157/05, ZIP 2007, 136 Rn. 8). Hierzu gehört auch der hier zu entscheidende Fall.
a) Für die Beurteilung der Anfechtbarkeit ist es nicht wesentlich, ob die Zwangsvollstreckung im formalrechtlichen Sinne schon begonnen hat. Eine Befriedigung oder Sicherung ist auch inkongruent, wenn sie unter dem Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung gewährt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2003, aaO S. 612; vom 18. Dezember 2003, aaO; vom 7. Dezember 2006, aaO Rn. 8). Der Schuldner leistet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangvollstreckung, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass er alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen werde, sofern der Schuldner die Forderung nicht erfülle (BGH, Urteil vom 11. April 2002, aaO). Ob der Schuldner aufgrund eines unmittelbaren Vollstreckungsdrucks geleistet hat, beurteilt sich aus seiner objektivierten Sicht (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006, aaO Rn. 8).
b) Ein die Inkongruenz begründender Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung besteht noch nicht, wenn der Schuldner nach Zustellung eines Vollstreckungsbescheides die titulierte Forderung erfüllt, ohne dass der Gläubiger die Zwangsvollstreckung zuvor eingeleitet oder angedroht hat (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 157/05, aaO Rn. 10 ff). Dort war noch nicht davon auszugehen, dass der Zustellung die Zwangsvollstreckung auf dem Fuße folgt. Der Vollstreckungsbescheid enthält noch keine Vollstreckungsandrohung, letzte Zahlungsfrist oder Zahlungsaufforderung, durch die eine entsprechende Erwartungshaltung des Schuldners erzeugt werden kann.
c) Das Berufungsgericht ist zutreffend von einer Situation ausgegangen, die nach der Rechtsprechung des Senats als inkongruente Deckung zu beurteilen ist. Das formularmäßige Schreiben des Beklagten vom 2. Februar 2005 war mit "Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung" überschrieben. Es enthielt einen Hinweis auf die Fälligkeit der aufgeführten Beträge. Danach folgte die Aufforderung, den rückständigen Gesamtbetrag umgehend zu bezahlen. Sodann lautet der Text wie folgt:
"Falls Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, müssen Sie mit der Durchführung kostenpflichtiger Vollstreckungsmaßnahmen rechnen, z.B. der Pfändung von Sachen, ihres Arbeitseinkommens, ihren Forderungen gegenüber Kreditinstituten und anderen Schuldnern oder gegebenenfalls der Vollstreckung in ihr unbewegliches Vermögen (Grundstücke usw.)."
Das der Entscheidung vom 15. Mai 2003 (aaO) zugrunde liegende Schreiben war von der Finanzkasse ebenfalls automatisch versandt worden. Es enthielt die Aufforderung, rückständige Steuern und Säumniszuschläge innerhalb einer Woche zu zahlen, verbunden mit der Ankündigung, nach Ablauf der Frist zu vollstrecken. Das Berufungsgericht hat das Schreiben vom 2. Februar 2005 zutreffend als ausreichend angesehen, den für eine inkongruente Deckung erforderlichen Vollstreckungsdruck auszulösen. Soweit das Oberlandesgericht Hamm in einem vom Beklagten vorgelegten Urteil vom 25. Februar 2010 (27 U 117/09) meint, anhand eines solchen Schreibens könne noch nicht festgestellt werden, dass eine Vollstreckung der Steuern unmittelbar bevorstehe, vielmehr handele es sich um eine typische erste Mahnung, mit der der Schuldner an die Zahlung erinnert werde, ist dies unrichtig. Ergibt sich - wie hier - aus dem Schreiben mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung, dass der Schuldner nur wenige Tage Zeit hat, um die bereits angekündigte Zwangsvollstreckung durch Zahlung abzuwenden, wird der Vollstreckungsdruck erzeugt, durch dessen Inkongruenz in § 131 InsO eingreift. Auf die Verwendung einer nach Tagen bemessenen Frist kommt es dabei nicht an. Wird eine Wochenfrist noch weiter verkürzt, indem - etwa durch Benutzung des Wortes "umgehend" - zum Ausdruck gebracht wird, dass der Schuldner nur die Wahl hat, sofort zu zahlen oder die Zwangsvollstreckung in Kauf zu nehmen, reicht dies erst recht aus, um eine Drucksituation zu schaffen, die zur Inkongruenz führen kann. Aus der maßgeblichen Sicht des Schuldners, der die internen Verwaltungsvorgänge des Gläubigers nicht kennt, wird auch in einem solchen Fall der Eindruck hervorgerufen, die Zwangsvollstreckung stehe unmittelbar bevor. Einen bloßen unverbindlichen Hinweis auf die theoretisch möglichen Folgen der Nichtzahlung enthält ein solches Schreiben nicht. Durch die Verknüpfung der Aufforderung, "umgehend" die rückständigen Steuern zu entrichten, mit der Ankündigung, kostenpflichtige Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen, falls keine Zahlung erfolgt, muss der Schuldner damit rechnen, dass die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorsteht, wenn er nicht auf der Stelle bezahlt. Auch wenn das Schreiben keine konkrete Fristsetzung enthält, kann er nicht davon ausgehen, dass es zunächst weitere Mahnungen oder Vollstreckungsandrohungen gibt, bevor eine Zwangsvollstreckung tatsächlich stattfindet. Hierfür gab es vorliegend in dem Schreiben, das auch insofern auf die Situation der Schuldnerin zugeschnitten war, als schon auf eine mögliche Haftung des gesetzlichen Vertreters aus § 69 AO hingewiesen wurde, keine Anhaltspunkte. Aus objektiver Sicht war für einen mit den Verwaltungsvorgängen nicht vertrauten Dritten zunächst zu erwarten, dass es nicht folgenlos bleiben würde, wenn er die Aufforderung zur umgehenden Zahlung ignorierte. Zu rechnen war vielmehr mit der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen innerhalb kürzester Zeit.
Der bloße Verzicht auf die Angabe einer konkreten Zahlungsfrist und deren Ersetzung durch das nach allgemeinem Sprachverständnis auf eine sofortige oder augenblickliche Zahlung gerichtete Wort "umgehend" schafft keine Situation, die sich von derjenigen, in der eine nach wenigen Tagen bemessene Frist gesetzt wird, nennenswert unterscheidet. Auch bei der Verknüpfung der Aufforderung zu einer umgehenden Zahlung mit der Ankündigung der Vollstreckung wird eine Drucksituation geschaffen, in der ein Schuldner im Fall der Nichtzahlung mit einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung rechnen muss.
Die hier vorliegende "Mahnung mit Ankündigung von Zwangsvollstreckung" geht über ein erstes Mahnschreiben, das keine Inkongruenz bewirken kann, deutlich hinaus. Typisch für eine erste Mahnung ist, dass bisher gar kein Zahlungstitel existiert, jedenfalls aber eine Zwangsvollstreckung noch nicht absehbar ist. Dass eine erste Mahnung unter dem Blickwinkel eines inkongruenten Vollstreckungsdrucks nicht einer Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung gleichsteht, liegt auf der Hand. Durch die Ankündigung der Zwangsvollstreckung wird beim Empfänger die Erwartung hervorgerufen, dass diese auch umgehend stattfindet, wenn er nicht zahlt. Dass der Absender sich anders entschließt und zunächst weitere Mahnungen folgen lässt, die einen Rückschritt gegenüber dem bereits erzeugten Zahlungsdruck bedeuten würden, ist dagegen nicht zu erwarten. Unter den gegebenen Umständen kann der Hinweis auf die unterschiedlichen Vollstreckungsmöglichkeiten auch nicht als bloße Erläuterung der Vollstreckungsarten verstanden werden. Aufgrund der Ankündigung der Vollstreckung im Fall der Nichtzahlung musste der Empfänger damit rechnen, der Absender werde sämtliche Vollstreckungsmöglichkeiten einsetzen, soweit das Vermögen des Schuldners dafür eine Grundlage bot. Deshalb war auch nicht zu erwarten, dass nach der bereits erfolgten Ankündigung der Zwangsvollstreckung die Androhung bestimmter einzelner Vollstreckungsmaßnahmen vor ihrer Anordnung nachfolgte. Jedenfalls konnte der unbefangene Empfänger des Schreibens nach seinem Inhalt nicht darauf schließen, dass es sich nur um eine verschärfte Zahlungsaufforderung ohne ernsthafte Vollstreckungsabsichten des Versenders gehandelt haben könnte.
d) Eine Ausuferung der durch Vollstreckungsdruck herbeigeführten Inkongruenz ist damit nicht zu befürchten. Diese Gefahr ist entgegen der Auffassung der Revision auch im Hinblick auf die Anwendung des § 133 Abs. 1 InsO nicht gegeben. Ist eine entsprechende Ankündigung außerhalb des Drei-Monats-Zeitraums ergangen, so führt eine daraufhin erfolgte Zahlung nicht zur Inkongruenz (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75, 83 f; vom 18. Dezember 2003, aaO S. 254 f; Beschluss vom 18. Juni 2009 - IX ZR 7/07, ZIP 2009, 1434 Rn. 6).
2. Die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO liegen vor. Soweit der Beklagte im Revisionsverfahren weiterhin in Abrede stellt, dass die Zahlung der Schuldnerin unter dem Druck des Schreibens vom 2. Februar 2005 erfolgt ist, wendet er sich gegen die anders lautenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts. Durchgreifende Verfahrensrügen erhebt die Revision insoweit nicht.