IX ZR 14/97
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 7. November 1996 - berichtigt durch Beschluß vom 26. November 1996 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte hat eine titulierte Forderung in Höhe von 238.000 DM gegen die Gebrüder H. GmbH & Co. KG (im folgenden: Gemeinschuldnerin), über deren Vermögen - nach vorangegangenem Vergleichsantrag vom 9. September 1994 - am 10. Oktober 1994 das Anschlußkonkursverfahren eröffnet worden ist. Am 9. September und 1. Oktober 1994 ließ der Beklagte aus der Kasse der Gemeinschuldnerin Geld im Betrag von 50.000 DM bzw. 36.000 DM pfänden.
Der klagende Konkursverwalter nimmt den Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Konkursanfechtung auf Rückgewähr der 86.000 DM in Anspruch. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat die Klage aus §§ 37, 30 Nr. 2 KO, § 107 Abs. 1 VerglO für begründet erachtet. Die Pfändungen hätten dem Beklagten eine inkongruente Deckung verschafft. Als Gläubiger einer Geldforderung habe er lediglich einen Zahlungsanspruch gehabt. Demgegenüber habe die Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher zu Pfändungspfandrechten geführt. Die gesetzliche Vermutung, daß dem Schuldner die Zahlungseinstellung, der Eröffnungsantrag und eine Begünstigungsabsicht der Gemeinschuldnerin bekannt gewesen seien, habe der Beklagte nicht entkräftet.
II.
Diesen Ausführungen tritt der Senat im Ergebnis bei.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Beklagte durch die vom Gerichtsvollzieher beigetriebenen Geldbeträge (teilweise) eine Befriedigung erhalten hat, die er im Sinne von § 30 Nr. 2 KO „nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte“.
a) Im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (JW 1882, 164, 165; 1884, 49; SeuffArch 39 (1884) Nr. 177; vgl. auch OLG C. ZIP 1982, 467 für den Fall der Zahlung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung) wird allerdings in der Literatur die Meinung vertreten, bei der Pfändung von Geld sei eine Anfechtung gemäß § 30 Nr. 2 KO lediglich bis zur Verwertung - d.h. bis zur Ablieferung des vom Gerichtsvollzieher in Besitz genommenen Geldes beim Vollstreckungsgläubiger - möglich (Stein / Jonas / Münzberg, ZPO 21. Aufl. § 815 ZPO Rdnr. 15; Wieczorek/Schütze, ZPO 2. Aufl. § 815 ZPO Anm. A II b 1; Zöller / Stöber, ZPO 20. Aufl. § 815 ZPO Rdnr. 3; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO 55. Aufl. § 815 ZPO Rdnr. 7; Kuhn / Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 30 Rdnr. 52c; Kilger / K. Schmidt KO 16. Aufl. § 30 Anm. 20). Sie bezieht sich auf die Vorschrift des § 815 Abs. 3 ZPO, wonach die Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher als Zahlung von seiten des Schuldners gilt. Daraus wird gefolgert, der Gläubiger, der Geld zu beanspruchen habe, erhalte also Befriedigung in derselben Art.
Diese Argumentation trifft nicht den Kern der Sache. Dies gilt allerdings auch für die bisherige Rechtsprechung, die für den Fall, daß ein Zahlungsgläubiger während der „kritischen Zeit“ im Wege der Zwangsvollstreckung eine Sicherung oder Befriedigung erlangt, eine inkongruente Deckung deswegen annimmt, weil der Gläubiger auf ein Pfändungspfandrecht keinen Anspruch gehabt habe (vgl. BGHZ 34, 254, 256; BGH, Urt. v. 3. Juli 1984 - IX ZR 82/83, WM 1984, 1103; v. 15. November 1990 - IX ZR 92/90, WM 1991, 150; v. 22. November 1990 - IX ZR 103/90, WM 1991, 152, 153; v. 15. Dezember 1994 - IX ZR 24/94, WM 1995, 446, 450, insoweit in BGHZ 128, 196 ff.. n. abgedr.).
Diese Auffassung führt - worauf Henckel (in: Jaeger / Henckel, KO 9. Aufl. § 30 Rdnr. 232 ff..; ebenso Hüper, Zwangsvollstreckung als inkongruente Deckung 1983 S. 91 ff..) zutreffend aufmerksam gemacht hat - zu unausgewogenen Ergebnissen. Es kann für die Anfechtbarkeit eines im Zusammenhang mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen stehenden Erwerbs nicht darauf ankommen, ob es sich um eine Sach- oder eine Geldpfändung handelt, ob die Wegnahme der Sache oder des Geldes durch den Gerichtsvollzieher überhaupt zu einem Pfändungspfandrecht geführt hat und ob der Gerichtsvollzieher nichts wegnehmen mußte, weil der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet hat. In allen diesen Fällen erlangt der Gläubiger eine Sicherung oder Befriedigung, die er ohne Einschaltung der für die Zwangsvollstreckung zuständigen staatlichen Organe nicht erhalten hätte.
Im Gesetzgebungsverfahren bestand Einigkeit, daß die vom Gläubiger im Vollstreckungswege vorgenommenen Handlungen unter § 30 Nr. 2 KO fallen müssen. Deswegen wurden aus dem ursprünglich vorgesehenen Text „Rechtshandlungen des Schuldners“ die Worte „des Schuldners“ gestrichen. Damit wurden ausdrücklich „Rechtshandlungen“ schlechthin für anfechtbar erklärt, um auch Handlungen des Gläubigers zu erfassen, an denen der Schuldner nicht beteiligt ist (Prot. d. Reichstagskommission, 2. Legislaturperiode, II. Session v. 11. November 1875, S. 21). Eine derartige Handlung des Gläubigers setzt nicht voraus, daß sie zum Entstehen eines Pfändungspfandrechts geführt hat. Die Ausdehnung der Anfechtung auf Rechtshandlungen des Gläubigers bedeutet auch nicht, daß diese allein - ohne Zutun des Schuldners - zu der schließlich erlangten Sicherung oder Befriedigung geführt haben müssen. Hat der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet, fällt diese Rechtshandlung somit dem Wortlaut nach unter § 30 Nr. 2 KO.
Für die Anfechtbarkeit darf nicht den Ausschlag geben, wie weit Vollstreckungszwang ausgeübt werden mußte, um zum Ziel zu gelangen. Noch weniger kann es auf den - inzwischen freilich als überwunden zu betrachtenden - Theorienstreit ankommen, ob bei der Geldpfändung ein Pfändungspfandrecht entsteht oder nicht (vgl. dazu Stein/Jonas/Münzberg, § 815 ZPO Rdnr. 14 und Fußn. 34). Entscheidend ist allein die inhaltliche Wertung des zu beurteilenden Vorgangs (Hüper, a.a.O. S. 92). Die Vorschrift des § 30 Nr. 2 KO bezweckt, den konkursrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zeitlich vorzuziehen (Motive S. 124 f). Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip und der dadurch bedingte „Wettlauf der Gläubiger“ sind nur so lange hinzunehmen, wie für die zurückgesetzten Gläubiger noch eine Aussicht besteht, sich aus anderen Vermögensgegenständen des Schuldners volle Deckung zu verschaffen (Jaeger / Henckel, § 30 KO Rdnr. 232; vgl. auch Baur / Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht Bd. I 12. Aufl. Rdnr. 7.35; Stürner ZZP 99 (1986), 291, 326; Smid, Gesamtvollstreckungsordnung 3. Aufl. Einführung Rdnr. 74 ff.). Dies ist nicht mehr der Fall, wenn der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat oder der Eröffnungsantrag gestellt ist und - wie das Gesetz annimmt - auch schon nicht mehr in den letzten zehn Tagen zuvor.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz allein rechtfertigt allerdings noch nicht die Konkursanfechtung nach § 30 Nr. 2 KO. Denn es verstößt in gleicher Weise gegen die Gleichbehandlung aller Gläubiger, wenn der Schuldner, nachdem der „materielle Konkurs“ bereits eingetreten ist, mit Hilfe seiner letzten frei verfügbaren Mittel auf eine fällige Forderung freiwillig zahlt und andere Gläubiger mit ihren ebenfalls fälligen Forderungen leer ausgehen. In einem solchen Fall ist die Zahlung aber nicht nach § 30 Nr. 2 KO anfechtbar und nach § 30 Nr. 1 KO nur dann, wenn der befriedigte Gläubiger beim Erwerb seiner Deckung den Eintritt der Krise des Schuldners nachweislich gekannt hat.
Bei einer Sicherung oder Befriedigung, die der Gläubiger nach Eintritt der Krise im Wege der Zwangsvollstreckung - mit oder ohne Pfändungspfandrecht, durch Zwangszugriff oder durch Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung - erhält, kommt aber, neben dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, noch hinzu, daß der Gläubiger seine Rechtsposition mit Hilfe von staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt hat. Nach der Zahlungseinstellung oder dem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens oder in den letzten zehn Tagen zuvor soll eine Ungleichbehandlung der Gläubiger aber nicht mehr durch staatliche Machtmittel erzwungen werden. Geschieht dies dennoch, soll das Ergebnis wenigstens nicht konkursfest sein. Nach Eintritt des „materiellen Konkurses“ stellt der Staat ein besonderes Gesamtvollstreckungsverfahren zur Verfügung, das die Gleichbehandlung aller Gläubiger gewährleisten soll. In den letzten zehn Tagen vor Eintritt des „materiellen Konkurses“ kann ein Gläubiger - sieht man einmal von dem Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit ab, der künftig in § 18 InsO vorgesehen ist - zwar noch keinen Insolvenzantrag stellen. Er soll aber, wenn er sich in dieser kritischen Phase auf seine fälligen Forderungen im Wege der Einzelzwangsvollstreckung eine Sicherung oder Befriedigung verschafft, das Erlangte auf eine Anfechtung hin zurückgewähren müssen, sofern innerhalb von zehn Tagen die Zahlungsunfähigkeit eintritt oder der Konkurs beantragt wird und der Gläubiger die gesetzlichen Vermutungen zu den subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen nicht erschüttert.
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dem Beklagten sei dies nicht gelungen, wird von der Revision nicht in Frage gestellt und läßt Rechtsfehler auch nicht erkennen. Das Berufungsgericht hat insbesondere erkannt, daß die subjektive Anfechtungsvoraussetzung „Kenntnis von der Begünstigungsabsicht des Gemeinschuldners“ nur dann nicht gegeben ist, wenn der Gläubiger im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der angefochtenen Rechtshandlung der Überzeugung war, das Vermögen des Gemeinschuldners reiche zur vollen Befriedigung aller seiner Gläubiger aus oder der Gemeinschuldner werde die dafür erforderlichen Mittel in absehbarer Zeit erhalten (BGHZ 128, 196, 202). In dieser Richtung hat der Beklagte nichts vorgetragen.