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XII ZR 127/92

Tatbestand

Die Ehe der Klägerin zu 1 (im folgenden Klägerin) mit dem Beklagten, aus der der am 19. September 1985 geborene Kläger zu 2 hervorging, wurde durch Urteil des Stadtbezirksgerichts Berlin-Prenzlauer Berg vom 22. August 1988 unter Anwendung von DDR-Recht geschieden. Gleichzeitig wurde der Beklagte zu Unterhaltszahlungen für den Kläger zu 2 verurteilt.

Im August 1989 übersiedelte der Beklagte, im November desselben Jahres auch die Klägerin mit dem Kind in das Gebiet der damaligen Bundesrepublik.

Mit der im Juni 1990 erhobenen Stufenklage wurde der Beklagte auf Auskunft über seine Einkünfte sowie auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt und von Kindesunterhalt in Anspruch genommen. Nach Erlaß eines stattgebenden Teilurteils über den Auskunftsanspruch verurteilte ihn das Amtsgericht - Familiengericht - zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt in Höhe von monatlich 330 DM und von Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 245 DM, jeweils ab 1. April 1990.

Auf die Berufung des Beklagten, die sich nur gegen die Verurteilung zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt richtete, wies das Kammergericht die Klage insoweit ab (veröffentlicht NJ 1992, 413).

Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf nachehelichen Unterhalt weiter.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Das Kammergericht hat die Frage, ob der Klägerin ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zusteht, zu Unrecht nach dem Familiengesetzbuch der DDR (FGB) beurteilt.

a) Art. 234 § 5 Satz 1 EGBGB i.d.F. des Einigungsvertrages bestimmt unter Einschränkung des § 1 der Regelung, daß für den Unterhaltsanspruch eines Ehegatten, dessen Ehe vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschieden worden ist, das bisherige Recht maßgebend bleibt. Wie der Senat bereits im Urteil vom 23. September 1992 (XII ZR 157/91 - FamRZ 1993, 43, 44) dargelegt hat, ergibt sich aus dieser intertemporalen Übergangsvorschrift nicht, in welchen Fällen das Recht der DDR „bisheriges Recht“ war; vielmehr ist die Frage nach dem innerdeutschen Kollisionsrecht zu beantworten.

b) In den alten Bundesländern ist ein besonderes innerdeutsches Kollisionsrecht in Anlehnung an das internationale Privatrecht des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch entwickelt worden, während die Rechtspraxis in der DDR insoweit unmittelbar die Bestimmungen des im Verhältnis zum Ausland geltenden Rechtsanwendungsgesetzes (RAG) herangezogen hat. Käme hier der für den nachehelichen Unterhalt einschlägige § 20 Abs. 1 RAG zum Zuge, würde dies zur Anwendung des § 29 FGB führen, weil die Parteien zur Zeit der Erhebung der Scheidungsklage ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der damaligen DDR hatten (vgl. Senatsurteil vom 23. September 1992 a.a.O.). Das kann hier jedoch nicht gelten. Dabei braucht nicht zu der umstrittenen Frage Stellung genommen zu werden, inwieweit auch nach dem Beitritt aufgrund entsprechender Anwendung des Art. 236 § 1 EGBGB noch das Kollisionsrecht der DDR maßgebend bleibt (vgl. dazu Palandt/ Heldrich 52. Aufl. EGBGB Art. 236 Rdn. 4 m.w.N.). Das ist jedenfalls zu verneinen für solche Fälle vor dem Beitritt in der damaligen DDR geschiedener Ehen, in denen einem Ehegatten im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts aufgrund des nach innerdeutschem Kollisionsrecht der alten Bundesländer anzuwendenden Rechts ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zustand. Nach dem Einigungsvertrag sollte in eine so entstandene Rechtsposition nicht eingegriffen werden. Dies geht aus den Erläuterungen zum Einigungsvertrag (BGBl. 1990 II 888) hervor, in denen ausgeführt ist, es bestehe kein Anlaß, bei in der DDR geschiedenen, aber schon vor dem Beitritt im bisherigen Gebiet der Bundesrepublik lebenden Ehegatten von der Anwendung bundesdeutschen Rechts abzuweichen, soweit dieses einmal auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung (angeführt werden die Senatsentscheidungen BGHZ 85, 16; 91, 186 zum innerdeutschen Kollisionsrecht) maßgeblich geworden sei (vgl. Abdruck des Nomos-Verlages S. 68 sowie auch Adlerstein/ Wagenitz FamRZ 1990, 1300, 1301; Pirrung in RabelsZ 1991, 211, 234, 238; Stoll in Festschrift für Lorenz S. 577, 589). Auch Gerichte der neuen Bundesländer haben dies zu beachten und dürfen § 20 Abs. 1 RAG nicht anwenden, wenn sie mit einschlägigen unterhaltsrechtlichen Altfällen befaßt werden. Seit dem Wirksamwerden des Beitritts können naturgemäß Rechtspositionen der hier erörterten Art nicht mehr neu begründet werden. Nach allgemeiner, auch vom Senat geteilter Auffassung ist ein Bedürfnis für eine Wandelbarkeit des Unterhaltsstatuts aufgrund eines Aufenthaltswechsels von den neuen in die alten Bundesländer am 3. Oktober 1990 entfallen (vgl. statt vieler Jayme / Stankewitsch IPRax 1993, 162, 163 m.w.N. Fußn. 7).

c) Die bereits erwähnte Senatsrechtsprechung zum innerdeutschen Kollisionsrecht stammt aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des IPR-Neuregelungsgesetzes am 1. September 1986 (BGBl. I 1142). Sie besagt im wesentlichen, daß sich der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt nach bundesdeutschem und nicht nach DDR-Recht richte, wenn die in der (früheren) DDR geschiedenen Ehegatten beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet der (damaligen) Bundesrepublik verlegten. Nach dem IPR-Neuregelungsgesetz ist im Verhältnis zum Ausland für den nachehelichen Unterhalt grundsätzlich das auf die Ehescheidung angewandte Recht maßgebend (Art. 18 Abs. 4 EGBGB); jedoch ist immer dann deutsches Recht anzuwenden, wenn sowohl der Berechtigte als auch der Verpflichtete Deutsche sind und der Verpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (Art. 18 Abs. 5 EGBGB). Im Schrifttum und in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird verbreitet die Übernahme entsprechender Regelungen in das innerdeutsche Kollisionsrecht befürwortet, wobei auch auf die inhaltlich gleichlaufenden Bestimmungen der Art. 8, 15 des am 1. April 1987 in Kraft getretenen Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (im folgenden HÜbk) Bezug genommen wird. Teilweise wird hierbei jedoch der Vorbehalt zugunsten des deutschen Rechts in Art. 18 Abs. 5 EGBGB bzw. Art. 15 HÜbk unberücksichtigt gelassen, da dieser im deutsch-deutschen Verhältnis unergiebig sei (vgl. Kegel Internationales Privatrecht, 6. Aufl. S. 578; Henrich FamRZ 1991, 873, 875; s.a. Johannsen / Henrich Eherecht 2. Aufl. EGBGB Art. 234 § 5 Rdn. 5 sowie Art. 236 Rdn. 10). Überwiegend wird jedoch vertreten, daß auch die entsprechende Heranziehung dieses Vorbehalts geboten ist (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1992, 573; Urteile des OLG Frankfurt am Main vom 27. Mai 1992 - 2 UF 353/90 - und des OLG Hamm vom 30. April 1993 - 12 UF 364/92; MünchKomm. /v. Mohrenfels 2. Aufl. Art. 17 EGBGB Rdn. 304; Palandt / Heldrich a.a.O. Art. 17 EGBGB Rdn. 40; Erman/ Hohloch BGB 9. Aufl. Art. 17 EGBGB Rdn. 85; Göppinger Unterhaltsrecht 5. Aufl. Rdn. 1858). Nach der letzteren Auffassung kommt es in Fällen der vorliegenden Art nur dann nicht zur Anwendung der §§ 1569 ff. BGB, wenn allein der unterhaltsberechtigte Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet der früheren Bundesrepublik verlegt hat, der unterhaltsverpflichtete aber in der DDR verblieben ist. Vereinzelt wird allerdings daran festgehalten, daß entsprechend der angeführten Senatsrechtsprechung nicht nur der unterhaltsverpflichtete Ehegatte, sondern beide Ehegatten in das Gebiet der früheren Bundesrepublik übergesiedelt sein müssen, um die Anwendung der §§ 1569 ff. BGB zu rechtfertigen (vgl. KG DtZ 1992, 396, 397; ohne eindeutige Stellungnahme zu diesem Punkt Bosch FamRZ 1991, 1370, 1381 f, 1385; Heiß/ Heiß Unterhaltsrecht 1.87; Adlerstein / Wagenitz a.a.O.; Kalthoener/ Büttner NJW 1991, 398, 399; zweifelnd Eschenbruch Unterhaltsprozeß Rdn. 1127).

d) Der Senat schließt sich der überwiegenden Auffassung zum Einfluß des IPR-Neuregelungsgesetzes 1986 auf das innerdeutsche Kollisionsrecht an. Unter der Geltung des alten Rechts hat er seine Ansicht zur interlokalen Anwendbarkeit der §§ 1569 ff. BGB wie folgt begründet: Die in der Bundesrepublik ansässige Partei solle grundsätzlich alle Rechte genießen, die ihr aus dem in Frage stehenden familienrechtlichen Verhältnis nach der hier geltenden Rechtsordnung zustünden, sofern im Hinblick auf bestehende oder nachwirkende Beziehungen zum Rechtsbereich der DDR aus Gründen der kollisionsrechtlichen Sachgerechtigkeit nicht anderes geboten sei. Solche Beziehungen bestünden nicht mehr, wenn jeder der geschiedenen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus der DDR in die Bundesrepublik verlegt habe. Beim nachehelichen Unterhalt handele es sich nicht um eine mit der Ehescheidung abgeschlossene Entwicklung, da der Anspruch in jedem Zeitpunkt, in dem seine Voraussetzungen vorlägen, neu entstehe. Die vorherige Beziehung zur DDR wirke nach der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts beider Ehegatten nicht in einer für den Unterhalt erheblichen Weise fort, da die Lebensumstände der Beteiligten, auf die das Unterhaltsrecht abstelle, sich regelmäßig nach den im Aufenthaltsland gegebenen sozialen Verhältnissen bestimmten (BGHZ 85 a.a.O. S. 25).

Es liegt nahe, diese auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Internationalen Privatrechts entwickelten Grundsätze an die Wertungen anzupassen, die das IPR-Neuregelungsgesetz 1986 eingeführt hat. Aufgrund des Art. 18 Abs. 5 EGBGB n.F. tritt dadurch im Ergebnis nur insoweit eine Änderung ein, als für die Anwendbarkeit bundesdeutschen Rechts nicht mehr zu fordern ist, daß beide geschiedenen Ehegatten vor dem 3. Oktober 1990 in die damalige Bundesrepublik übergesiedelt sind, sondern daß es genügt, wenn der unterhaltsverpflichtete Ehegatte dies getan hat. Diese Änderung ist geboten, da im innerdeutschen Verhältnis schwerlich strengere Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der §§ 1569 ff BGB aufgestellt werden können als dies im Verhältnis zum Ausland der Fall ist.

Der Meinung, daß im Rahmen des innerdeutschen Kollisionsrechts nur Art. 18 Abs. 4 EGBGB n.F. und nicht auch Abs. 5 entsprechend anzuwenden sei, kann nicht gefolgt werden. In der Begründung des Regierungsentwurfs zum IPR-Neuregelungsgesetz 1986 heißt es, das deutsch-deutsche Kollisionsrecht sei nicht Regelungsgegenstand des Entwurfs. Der Praxis solle nicht der Weg verbaut werden, die bisher entwickelten Lösungswege fortzuführen, wenn auch im Wege von Analogieschlüssen der Entwurf auf diesen Bereich ausstrahlen könne (vgl. BT-Drucks. 10/504 S. 30). Die Grundsätze der früheren Senatsrechtsprechung beruhen im Kern auf dem Gesichtspunkt des überwiegenden Inlandsbezuges; dies ist auch der Grundgedanke des Art. 18 Abs. 5 EGBGB (vgl. BT-Drucks. a.a.O. S. 64: „bei so weitgehendem Inlandsbezug“). Es wäre überzogen, geschiedene Ehegatten, die vor dem Beitritt möglicherweise unter schwierigen Umständen ihre Brücken zur DDR abgebrochen haben und sich an ein westdeutsches Gericht wenden, an einem Recht festzuhalten, das nicht mehr ihren neuen sozialen Verhältnissen entspricht; dies würde sich aber bei alleiniger Heranziehung des Art. 18 Abs. 4 EGBGB n.F. (Maßgeblichkeit des auf die Scheidung angewandten Rechts) ergeben. Auf die Frage eines gemeinsamen Personalstatuts (vgl. Henrich a.a.O.) kann es demgegenüber in derartigen deutsch-deutschen Fällen nicht entscheidend ankommen.

Nicht stichhaltig ist auch die Begründung des Berufungsgerichts, der von der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochene Vorbehalt gemäß Art. 15 HÜbk (BGBl. 1987 II 825) beziehe sich nur auf das in Art. 4 HÜbk geregelte allgemeine Unterhaltsstatut des Aufenthaltsorts des Berechtigten, nicht auch auf das in Art. 8 HÜbk geregelte eigenständige Statut des nachehelichen Unterhalts (so wohl auch MünchKomm. / Siehr a.a.O. Art. 18 EGBGB Anh. I Rdn. 366; S. aber Rdn. 168). Die Möglichkeit, einen Vorbehalt nur bezüglich bestimmter Arten von Unterhaltsbeziehungen zu erklären, bieten Art. 13 und 14 HÜbk. Der „gemäß Art. 15“ erklärte Vorbehalt soll hingegen einem Staat gestatten, die lex fori weiter auf Fälle anzuwenden, die nicht genügend ausländische Elemente aufweisen, wenn also die streitige Unterhaltsfrage eng mit dem Staat des angerufenen Gerichts verbunden ist (so Bericht Verwilghen BT-Drucks. 10/258 S. 27). In der Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 18 Abs. 5 EGBGB (a.a.O.) heißt es demgemäß, daß der Vorbehalt unter diesem Gesichtspunkt, nämlich des überwiegenden Inlandsbezugs, erklärt werde, und daß Art. 18 Abs. 5 EGBGB den Gedanken des Art. 15 HÜbk übernehme. Daher teilt der Senat die Auffassung, daß Art. 15 HÜbk auch in Beziehung zu Art. 8 HÜbk zu setzen ist, soweit es interlokal überhaupt darauf ankommt (vgl. MünchKomm/v. Mohrenfels a.a.O.). Im Verhältnis zum Ausland ist der Senat bereits davon ausgegangen, daß der Vorbehalt des Art. 15 HÜbk auch gegenüber dem aus Art. 8 folgenden Unterhaltsstatut durchgreifen kann (Urteil vom 27. März 1991 - XII ZR 113/90 - FamRZ 1991, 925, 926).

Nach allem richtet sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach den §§ 1569 ff BGB, weil der Beklagte als Unterhaltsverpflichteter im August 1989 in das Gebiet der damaligen Bundesrepublik übergesiedelt ist.

2. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der Senat ist zu einer abschließenden Entscheidung nicht in der Lage, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen des in Frage kommenden Unterhaltsanspruchs der Klägerin nach § 1570 BGB getroffen und auch offengelassen hat, ob diese etwa durch eine schriftliche Erklärung vom 13. März 1989 wirksam auf nachehelichen Unterhalt verzichtet hat. Der Rechtsstreit muß daher an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

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