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IVb ZB 49/86

Gründe I.

Die am 20. Juni 1937 geborene Ehefrau (Antragstellerin) und der am 21. April 1937 geborene Ehemann (Antragsgegner) haben am 22. August 1964 die Ehe geschlossen, die kinderlos geblieben ist. Der Scheidungsantrag der Ehefrau ist dem Ehemann am 6. Dezember 1982 zugestellt worden.

Beide Parteien haben in der Ehezeit (1. August 1964 bis 30. November 1982, § 1587 Abs. 2 BGB) Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Die auf die Ehezeit entfallenden Anwartschaften der Ehefrau bei der Landesversicherungsanstalt W. (LVA, weitere Beteiligte zu 2) betragen 357,30 DM monatlich, bezogen auf den 30. November 1982. Das zum Ende der Ehezeit fiktiv errechnete Altersruhegeld des Ehemannes bei der Bundesknappschaft (weitere Beteiligte zu 1) beläuft sich auf 885 DM monatlich, wovon 575,20 DM monatlich auf die Ehezeit entfallen. Tatsächlich bezieht der Ehemann, der an einer chronisch verlaufenden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidet, seit 10. Mai 1978 eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die am Ende der Ehezeit 1.185,50 DM monatlich betrug. Dieser Rente liegt eine Zurechnungszeit vom 1. April 1978 bis 30. April 1992 zugrunde.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Versorgungsausgleich dahin durchgeführt, daß es von dem Versicherungskonto des Ehemannes auf das der Ehefrau Rentenanwartschaften von 224,54 DM monatlich, bezogen auf den 30. November 1982, übertragen hat. Dabei hat es auf seiten des Ehemannes den Zahlbetrag der Erwerbsunfähigkeitsrente zugrunde gelegt und dessen ehezeitlichen Anteil nach dem Verhältniswert von 68,02% bestimmt, den die Bundesknappschaft in ihrer Auskunft über die auf die Ehezeit entfallende Rentenanwartschaft mitgeteilt hat. Auf die Beschwerde des Ehemannes hat das Oberlandesgericht die Entscheidung antragsgemäß abgeändert und von dem Versicherungskonto des Ehemannes nur monatliche Rentenanwartschaften von 108,95 DM auf das Konto der Ehefrau übertragen. Hiergegen wendet sich diese mit der (zugelassenen) weiteren Beschwerde, mit der sie die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erstrebt.

Gründe II.

1. Das Oberlandesgericht hat für den Wertausgleich der Versorgungsanrechte bei dem Ehemann den fiktiv errechneten Rentenbetrag herangezogen und daraus den in den Versorgungsausgleich einzubeziehenden Ehezeitanteil ermittelt. Es hat ausgeführt, die Berücksichtigung der tatsächlich bezogenen Erwerbsunfähigkeitsrente anstelle des fiktiven Altersruhegeldes verbiete sich, wenn das Ende der Ehezeit vor Vollendung nicht nur des 60., sondern sogar des 55. Lebensjahres liege, weil dann nicht von einem endgültigen Fortbestehen des Anspruchs auf eine Rente in Höhe des bisherigen tatsächlichen Zahlbetrages ausgegangen werden könne. Der Ehemann sei bei Ehezeitende erst 45 Jahre alt gewesen. Daher sei nicht gewährleistet, daß ihm der Zahlbetrag seiner derzeit bezogenen Rente künftig erhalten bleibe. In diesem Zahlbetrag wirke sich nämlich eine Zurechnungszeit aus, die im Umfang von 113 Monaten außerhalb der Ehezeit liege. Ob die - nicht besitzgeschützte - Zurechnungszeit auch bei einer künftigen Rentengewährung in gleicher Weise Berücksichtigung finde, lasse sich derzeit noch nicht endgültig voraussehen. Denn angesichts des bisherigen Krankheitsverlaufes des Ehemannes erscheine es zwar unwahrscheinlich, jedoch nicht völlig ausgeschlossen, daß er noch vor Ablauf der Zurechnungszeit am 30. April 1992 erneut erwerbsfähig werde und daß dann bei einer späteren Rentengewährung anstelle der bisherigen Zurechnungszeit Ausfallzeiten berücksichtigt würden, die zu einer anderen Rentenberechnung führten.

2. Gegen diese Beurteilung wendet sich die weitere Beschwerde mit Erfolg.

a) Bezieht ein Ehegatte am Ende der Ehezeit eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die von dem fiktiv errechneten Altersruhegeld abweicht, so hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, ob der Zahlbetrag oder das fiktiv errechnete Altersruhegeld für die Wertberechnung heranzuziehen ist. Ist das errechnete Altersruhegeld höher als die bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente, so ist grundsätzlich sein Betrag maßgeblich, weil der Versicherte mit der Erfüllung der Voraussetzungen für ein Altersruhegeld einen Anspruch auf Umwandlung der Erwerbsunfähigkeitsrente in ein Altersruhegeld erlangt. Ist dagegen die bezogene Rente höher, so ist sie dem Versorgungsausgleich zugrunde zu legen, wenn nicht damit zu rechnen ist, daß sie dem Ehegatten wieder entzogen wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. April 1984 - IVb ZB 876/80 - FamRZ 1984, 673 sowie zuletzt vom 12. Oktober 1988 - IVb ZB 129/86 - FamRZ 1989, 35, 36).

b) Die Ansicht des Oberlandesgerichts, daß sich eine solche Prognose verbiete, solange der Ehegatte, der die Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht, noch keine 55 Jahre alt ist, kann nicht geteilt werden. Auch bei jüngeren Versicherten, die eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen, kann unter Umständen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, daß sie in Zukunft zur Aufnahme einer regelmäßigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit wieder in der Lage sein werden. Ist aber davon auszugehen, daß der Versicherte seine Erwerbsfähigkeit nicht wiedererlangen wird, so ist auch der Wegfall einer das fiktive Altersruhegeld übersteigenden Rente nicht mehr zu erwarten, weil das Altersruhegeld mindestens in Höhe der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gezahlt wird (§§ 1254 Abs. 2 Satz 2, 1253 Abs. 2 Satz 5 RVO sowie - für die hier betroffene Knappschaftsrente - § 53 Abs. 5 Satz 2, Abs. 3 Satz 5 RKG). Demgemäß hat der Senat sogar bei einem Versicherten, der bei Ehezeitende erst 34 Jahre alt war, eine tatrichterliche Entscheidung gebilligt, die die Fortdauer der Invalidität und die Fortzahlung der tatsächlich bezogenen Rente hinreichend sicher prognostiziert hatte (Senatsbeschluß vom 12. Oktober 1988 a.a.O. S. 36).

Daß der Erwerbsunfähigkeitsrente eine Zurechnungszeit zugrunde liegt, ändert daran nichts. Ob dem Versicherten eine wegen Erwerbsunfähigkeit gewährte Rente erhalten bleibt, hängt nicht von etwaigen noch nicht abgelaufenen Zurechnungszeiten, sondern allein davon ab, ob der Versicherte seine Erwerbsfähigkeit wiedererlangt oder nicht. Deshalb steht die Anrechnung einer Zurechnungszeit einer Heranziehung der bei Ehezeitende bezogenen Erwerbsunfähigkeitsrente nicht entgegen (ebenso OLG Hamm FamRZ 1986, 578, 579; Soergel / Schmeiduch, BGB 12. Aufl. § 1587a Rdn. 46).

c) Das Oberlandesgericht hat außerdem ausgeführt, angesichts des bisherigen Krankheitsverlaufs erscheine es zwar unwahrscheinlich, jedoch nicht völlig ausgeschlossen, daß der Ehemann noch vor Ablauf der Zurechnungszeit erneut erwerbsfähig werde. Diese Prognose bezieht sich zwar primär auf die Frage, ob es im vorliegenden Fall bei dem Ansatz der Zurechnungszeit bleiben wird. Das Gericht hat damit aber zugleich die maßgebende Frage beantwortet, ob mit einer Fortdauer der tatsächlich gezahlten Rente des Ehemannes zu rechnen ist. Seine Beurteilung, daß eine derartige Prognose nicht sicher gestellt werden könne, hält den Angriffen der weiteren Beschwerde nicht stand.

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts leidet der Ehemann seit 1961 an einer chronisch verlaufenden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, die im Jahre 1961 zu einer ersten Entmündigung wegen Geisteskrankheit und einer Unterbringung im Landeskrankenhaus W. führte. Nachdem die Entmündigung ab 1964 zunächst nur noch wegen Geistesschwäche aufrechterhalten blieb und 1967 ganz aufgehoben wurde, kam es im Jahre 1977 zu einer erneuten Krankheitsphase, in deren Verlauf der Ehemann nach fortschreitender Verschlechterung seines Zustandes am 7. Mai 1981 im Landeskrankenhaus M. untergebracht wurde. Seit 13. Januar 1982 befindet er sich in einem Vollpflegeheim für geistig behinderte und kranke Erwachsene und ist durch Beschluß vom 3. November 1982 erneut wegen Geistesschwäche entmündigt worden. Wie die weitere Beschwerde ferner geltend macht, befindet sich in den vom Oberlandesgericht beigezogenen Akten jenes Entmündigungsverfahrens ein schriftliches Gutachten vom 11. Februar 1982, in dem der Oberarzt des Landeskrankenhauses, der Arzt für Neurologie und Psychiatrie E., ausgeführt hat, die Erkrankung des Ehemannes habe zu bleibenden Persönlichkeitsveränderungen geführt, die ihm ein selbständiges Leben unmöglich machten. Selbst bei fachgerechter psychiatrischer Behandlung seien die Persönlichkeitsveränderungen so gravierend, daß er auf psychiatrisch geschulte Hilfe angewiesen sein werde. Wie das Amtsgericht festgestellt hat, hat der eigene Verfahrensbevollmächtigte des Ehemannes vorgetragen, daß dieser durch seinen Gesundheitszustand voraussichtlich auch in Zukunft gehindert sei, eine etwaige Minderung seiner Rentenversorgung infolge des Versorgungsausgleichs durch Erwerbstätigkeit wieder aufzustocken, auch für den Fall einer zur Zeit nicht absehbaren Entlassung aus dem Krankenhaus. Deshalb, hat das Amtsgericht ausgeführt, sei nach dem Gesundheitszustand des Ehemannes mit dem Entzug der Erwerbsunfähigkeitsrente nicht mehr zu rechnen. Auf diese Ausführungen hat die Ehefrau in ihrer Beschwerdeerwiderung Bezug genommen und vorgetragen, bei dem Ehemann bestehe nach ihrer Kenntnis keine Aussicht auf Besserung. Dazu hat sie vorsorglich die Einholung eines ärztlichen Gutachtens beantragt. Auch in weiteren Schriftsätzen hat sie geltend gemacht, der Gesundheitszustand des Ehemannes sei derart, daß eine Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit schlechthin auszuschließen sei.

Hiermit hat sich das Oberlandesgericht nicht auseinandergesetzt, sondern ist ohne Nachprüfung und weitere Erkenntnisse, ohne den Ehemann je gesehen zu haben, zu dem Ergebnis gelangt, die Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit sei nicht ausgeschlossen. Damit ist es seiner Ermittlungspflicht nach § 12 FGG nicht gerecht geworden. Wie die weitere Beschwerde zu Recht rügt, hätte das Gericht die Frage, ob der Ehemann seine Erwerbsfähigkeit wiedererlangen wird, erst nach weiterer Aufklärung, insbesondere durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens etwa der ihn behandelnden Ärzte des Pflegeheims, entscheiden dürfen.

Hiernach kann die Beurteilung des Oberlandesgerichts, daß die vom Ehemann tatsächlich bezogene Rente bei der Wertberechnung nicht berücksichtigt werden könne, nicht bestehenbleiben. Vielmehr ist der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache zur Nachholung der gebotenen weiteren Ermittlungen und erneuten tatrichterlichen Prognose zurückzuverweisen.

3. Ergibt die neue Behandlung, daß die von dem Ehemann bezogene Rente hinreichend sicher erscheint, so wird das Oberlandesgericht zu berücksichtigen haben, daß die Rente eine Zurechnungszeit enthält, die über das Ende der Ehezeit hinausreicht. Dies hat zur Folge, daß der Zahlbetrag der Rente am Ende der Ehezeit nicht in voller Höhe herangezogen werden darf, sondern zunächst um den Wert für die nach der Ehezeit zurückzulegende Zurechnungszeit bereinigt werden muß. Wegen der Einzelheiten wird auf den Senatsbeschluß vom heutigen Tage in der Sache IVb ZB 213/87 Bezug genommen, der den Beteiligten als Anlage zu dieser Entscheidung auszugsweise zur Kenntnis gebracht wird. Erst der solchermaßen bereinigte Zahlbetrag ist dem fiktiven Altersruhegeld gegenüberzustellen und, falls er höher ist als dieses, bei der Anwartschaftsberechnung zu berücksichtigen. Entgegen der Berechnungsweise des Amtsgerichts ist hierbei der Ehezeitanteil nicht nach dem Verhältnis der Werteinheiten aus der fiktiven Berechnung, sondern nach demjenigen aus der Berechnung der gezahlten Rente zu ermitteln (vgl. Senatsbeschluß vom 13. März 1985 - IVb ZB 169/82 - FamRZ 1985, 688).

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