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IVb ZB 56/85

Gründe I.

Die Parteien haben am 6. Dezember 1957 geheiratet. Aus der Ehe sind eine am 8. April 1958 geborene Tochter und ein am 17. März 1962 geborener Sohn hervorgegangen. Die am 4. März 1936 geborene Ehefrau (Antragstellerin) hat durch einen dem Ehemann (Antragsgegner) am 28. Juni 1975 zugestellten Schriftsatz Ehescheidungsklage erhoben. In einem ersten Verhandlungstermin beim Landgericht Stuttgart am 17. Juli 1975 erschien keine der Parteien. Der Bevollmächtigte der Ehefrau hatte telefonisch gebeten, wegen schwebender Verhandlungen das Ruhen des Verfahrens anzuordnen; dies geschah auch. In einem weiteren Verhandlungstermin am 28. August 1975 ordnete der Einzelrichter auf Antrag des allein erschienenen Bevollmächtigten der Ehefrau erneut das Ruhen des Verfahrens an; am 27. Februar 1976 verfügte er, die Akten wegzulegen. Die Parteien versöhnten sich und lebten etwa sieben Jahre lang weiter zusammen; die Ehefrau war nicht erwerbstätig und führte wie bisher den gemeinsamen Haushalt. Nachdem die Parteien sich erneut getrennt hatten und die Ehefrau im Oktober 1983 Trennungsunterhalt beanspruchte, nahm der Bevollmächtigte des Ehemannes Einsicht in die Scheidungsakten. Mit Schriftsatz vom 15. November 1983 ließ der Ehemann das Scheidungsverfahren wieder anrufen und stellte seinerseits Scheidungsantrag, der nach Verweisung der Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - N. der Ehefrau am 6. Dezember 1983 zugestellt wurde. Die Ehefrau stimmte der Scheidung zu. Das vor einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich verkündete Scheidungsurteil ist rechtskräftig.

Beide Parteien haben während der Ehe Versorgungsanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Diese betragen nach den von der Landesversicherungsanstalt W. (weitere Beteiligte) am 1. März 1984 und 6. Juli 1984 erteilten Auskünften in einer Ehezeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Mai 1975 für den Ehemann 516,30 DM und für die Ehefrau 82,50 DM, jeweils monatlich und bezogen auf den 31. Mai 1975. Die in einer Ehezeit vom 1. Dezember 1957 bis 30. November 1983 erworbenen Anwartschaften belaufen sich nach den Auskünften der weiteren Beteiligten vom 20. Februar 1985 und 13. März 1985 für den Ehemann auf 1.228,70 DM und für die Ehefrau auf 127,40 DM, jeweils monatlich und bezogen auf den 30. November 1983.

Das Familiengericht hat nur die in einer Ehezeit bis zum 31. Mai 1975 erworbenen Versorgungsanwartschaften ausgeglichen und daher von dem Versicherungskonto des Ehemannes auf das der Ehefrau monatliche, auf den 31. Mai 1975 bezogene Rentenanwartschaften von 216,90 DM übertragen. Auf die Beschwerde der Ehefrau hat das Oberlandesgericht die in einer Ehezeit bis zum 30. November 1983 erworbenen Rentenanwartschaften ausgeglichen und demgemäß monatliche Rentenanwartschaften von 550,65 DM übertragen, bezogen auf den 30. November 1983.

Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde erstrebt der Ehemann die Wiederherstellung des familiengerichtlichen Beschlusses.

Gründe II.

Die weitere Beschwerde hat nicht den erstrebten Erfolg. Sie führt jedoch wegen der am 1. Januar 1986 in Kraft getretenen Änderungen der Reichsversicherungsordnung zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache.

1. Die Einbeziehung der Versorgungsanwartschaften, die die Parteien bis zum 30. November 1983 in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben, in den Versorgungsausgleich ist unter den besonderen Gegebenheiten des Falles nicht rechtsfehlerhaft.

Grundsätzlich bestimmt zwar die Rechtshängigkeit der Scheidungsklage (jetzt: des Scheidungsantrages), die den zur Scheidung führenden Rechtsstreit ausgelöst hat, das Ende der Ehezeit im Sinne des § 1587 Abs. 2 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Klagantrag in mündlicher Verhandlung nicht gestellt, die Ehe aber in demselben anhängigen Verfahren auf einen später rechtshängig gewordenen Antrag des Gegners geschieden wird; ebensowenig steht entgegen, daß das Verfahren ausgesetzt oder eine Zeitlang nicht betrieben worden war. Der Senat hat jedoch entschieden, daß die Berufung auf diese Regelung gegen Treu und Glauben verstoßen kann, wenn die Ehegatten tatsächlich wieder längerdauernd ehelich zusammengelebt haben, ohne das noch anhängige Verfahren bewußt in der Schwebe zu halten. Denn in einem solchen Falle ist entsprechend dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs das Vertrauen auf die weitere Teilhabe an einer gemeinsam aufgebauten Alterssicherung zu schützen (Senatsbeschluß vom 18. Dezember 1985 - IVb ZB 74/82 - zur Veröffentlichung bestimmt - m.w.N. insbesondere zur Entwicklung dieser Rechtsprechung). Die weitere Beschwerde zeigt keine Gesichtspunkte auf, die nicht bereits in der genannten Entscheidung bedacht worden wären und Anlaß geben könnten, die Frage jetzt anders zu beantworten.

Unter diesen Voraussetzungen tragen die Feststellungen des Oberlandesgerichts dessen Beurteilung, daß der Ehemann nach Treu und Glauben hier nicht den Ausgleich nur solcher Anwartschaften verlangen kann, die die Parteien bis zu einem auf den 31. Mai 1975 angenommenen Ehezeitende erworben hatten. Die Parteien haben sich nach der Ehekrise, die die Scheidungsklage im Jahre 1975 ausgelöst hatte, wieder versöhnt und nahezu sieben Jahre lang wie zuvor in häuslicher Ehegemeinschaft zusammengelebt, abgesehen von einer höchstens acht Wochen währenden Trennung im Frühjahr 1982, die jedoch ebenfalls wieder überwunden worden ist. In dieser Zeit hat die Ehefrau nicht erwerbstätig sein und keine eigenen Versorgungsanwartschaften erwerben können, weil sie den gemeinsamen Haushalt versorgt hat, zu dem in dieser Zeit außer den Parteien zumindest der 1962 geborene Sohn gehörte. Das Oberlandesgericht hat auch nicht festgestellt, daß die Parteien bewußt eine förmliche Beendigung des ruhenden Scheidungsverfahrens unterlassen haben. Es ist im Gegenteil den Bekundungen der Ehefrau gefolgt, wonach sie geglaubt hat, das Verfahren sei nach Abrechnung der Kosten endgültig erledigt gewesen. Damit ist nicht unvereinbar, wenn sie in den folgenden Jahren gelegentlich wiederum anwaltlichen Rat wegen einer Scheidung gesucht haben sollte. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Zusammenleben der Parteien seit dem Ruhen des 1975 eingeleiteten Scheidungsverfahrens vollkommen spannungsfrei verlaufen ist. Das Oberlandesgericht brauchte daher dem diesbezüglichen Vortrag des Ehemannes nicht weiter nachzugehen (§ 12 FGG). Anhaltspunkte dafür, daß der Gedanke an die Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens den Ehemann in irgendeiner Hinsicht beeinflußt haben könnte, die häusliche Gemeinschaft fortzusetzen, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Aus den Umständen, die seinen Bevollmächtigten schließlich im Herbst 1983 veranlaßten, das ruhende Verfahren wieder aufzurufen, ergibt sich eher, daß auch der Ehemann bis dahin davon ausgegangen war, das Verfahren sei erledigt.

Zu Recht hat das Oberlandesgericht alle bis zum 30. November 1983 erworbenen Versorgungsanrechte in den Ausgleich einbezogen, also auch diejenigen, die auf die Zeit der mehrwöchigen Trennung im Frühjahr 1982 und der endgültigen Trennung vor der Scheidung entfallen. Es kann zwar nach Treu und Glauben geboten sein, bei lang andauernder Trennung der Ehegatten einen früheren Zeitpunkt als den der Fortführung des Scheidungsverfahrens zugrundezulegen. Die hier in Frage stehenden Trennungszeiten waren dazu jedoch nicht lang genug; sie unterscheiden sich nicht wesentlich von den Trennungszeiten, die gewöhnlich einer Scheidung vorausgehen und die der Gesetzgeber bei der Bestimmung des für den Versorgungsausgleich maßgeblichen Ehezeitendes ebenfalls nicht ausgeschlossen hat (vgl. Senatsbeschluß vom 13. Oktober 1982 - IVb ZB 781/80 - FamRZ 1983, 35, 36).

2. Gleichwohl kann die angefochtene Ausgleichsregelung nicht bestehen bleiben. Sie beruht auf Feststellungen, die das Oberlandesgericht auf Auskünfte der weiteren Beteiligten gestützt hat; das diesen zugrunde liegende Recht ist jedoch inzwischen geändert. Das hat der Senat zu beachten.

Gemäß Art. 1 und 14 des Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrente sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz - HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl. I 1450) ist mit Wirkung vom 1. Januar 1986 die Reichsversicherungsordnung geändert worden. Nunmehr werden Müttern (gegebenenfalls auch Vätern), die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes unter bestimmten Voraussetzungen als Versicherungszeiten angerechnet und bewertet (§§ 1251 a, 1255 a Abs. 5, 1258 RVO). Nach Art. 4 Nr. 1 HEZG werden Zeiten der Kindererziehung bei Versicherungsfällen nach dem 30. Dezember 1985 ohne weiteres berücksichtigt (§ 5 c ArVNG); eines besonderen Antrages bedarf es dazu nur in dem hier nicht in Betracht kommenden Fall, daß am 30. Dezember 1985 bereits Altersruhegeld bezogen wurde.

Die Neuregelung kann die Versorgungsanwartschaften der Ehefrau verbessert haben. Diese hat während der Ehezeit zwei Kinder geboren. Die Auskunft der weiteren Beteiligten über die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften der Ehefrau (nach dem bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Recht) ergibt, daß die ersten zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der jeweiligen Geburt bisher weder mit Beiträgen belegt noch auf andere Weise versicherungsrechtlich berücksichtigt worden sind. Da andererseits der Ehemann in den fraglichen Zeiträumen Pflichtbeiträge geleistet hat, spricht dies dafür, daß die Kindererziehungszeiten nicht ihm zugute kommen, sondern die Anwartschaften der Ehefrau erhöhen. Hat diese jedoch werthöhere Anwartschaften, als nach den bisher erteilten Auskünften zugrundegelegt worden ist, kann die Splittingentscheidung davon nicht unberührt bleiben, da der Ausgleichsbetrag sich dann zugunsten des Ehemannes vermindert.

Beim Versorgungsausgleich ist die Erhöhung des Anspruchs auf Altersruhegeld durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten auch dann zu berücksichtigen, wenn das Ehezeitende zeitlich vor dem Inkrafttreten des HEZG liegt. Insoweit kann nichts anderes gelten als bei Gesetzesänderungen, die eine Herabsetzung eines Versorgungsanspruchs bewirken. Für solche Fälle hat der Senat bereits wiederholt entschieden, daß Veränderungen, die aufgrund gesetzlicher Neuregelungen nach dem nur aus praktischen Gründen gewählten Stichtag „Ehezeitende“ bis zur gerichtlichen Entscheidung (auch des Bundesgerichtshofs) eintreten, im Versorgungsausgleich berücksichtigt werden müssen. Denn andernfalls würde in grundrechtlich geschützte Versorgungs- oder Rentenansprüche in einer Weise eingegriffen, die durch das sie verfassungsrechtlich allein legitimierende Halbteilungsprinzip nicht mehr gedeckt ist (vgl. BGHZ 90, 52 zur Änderung der Kürzungsvorschriften bei gleichzeitigem Bezug von Beamtenversorgung und Rente; Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 1984 - IVb ZB 67/83 - FamRZ 1984, 992 zum Wegfall des örtlichen Sonderzuschlags für Beamte in Berlin; vom 5. Februar 1986 - IVb ZB 728/81 - zur Veröffentlichung bestimmt - zur Kürzung des Altersruhegeldes durch § 1260 c Abs. 1 RVO). Der Grundsatz der Halbteilung würde in gleicher Weise verletzt, wenn unberücksichtigt bliebe, daß durch eine Gesetzesänderung zwischen Ehezeitende und gerichtlicher Entscheidung nicht die Versorgungsanwartschaften des Ausgleichspflichtigen verringert, sondern die des ausgleichsberechtigten Ehegatten erhöht worden sind.

3. Der Senat ist nicht in der Lage, selbst abschließend in der Sache zu entscheiden. Denn zur Prüfung, ob und inwieweit sich die Gesetzesänderung auf die Rentenanwartschaften der Ehefrau auswirkt (vgl. dazu Bergner NJW 1986, 217, 223), bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen. Das veranlaßt die Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

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