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IVb ZB 555/80

Gründe

I.

Die Parteien haben am 28. August 1970 geheiratet. Seit August 1977 leben sie voneinander getrennt. Der im Jahre 1902 geborene Ehemann (Antragsgegner) hat bereits vor der Eheschließung Altersruhegeld bezogen. Dieses betrug am Ende der Ehezeit (31. Dezember 1977) 1.039,80 DM monatlich. Die im Jahre 1910 geborene Ehefrau (Antragstellerin) wurde während der Ehe Rentnerin. Sie bezog am Ende der Ehezeit ein Altersruhegeld von 181,90 DM. Während der Ehezeit hat sie eine Rentenanwartschaft von 5,60 DM erworben.

Auf den Scheidungsantrag der Ehefrau hat das Familiengericht die Ehe geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt, indem es vom Versicherungskonto der Antragstellerin bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (weitere Beteiligte zu 2) eine Rentenanwartschaft von monatlich 2,80 DM auf das Versicherungskonto des Ehemannes bei der Landesversicherungsanstalt (weitere Beteiligte zu 1, im folgenden LVA) übertragen hat. Das Familiengericht hat die Frage eines Ausschlusses des Versorgungsausgleichs nach § 1587c Nr.  1 BGB erörtert, aber letztlich verneint.

Gegen die Entscheidung über den Versorgungsausgleich hat die LVA Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht hat das Rechtsmittel durch den in FamRZ 1979, 828 abgedruckten Beschluß zurückgewiesen. Hiergegen hat die LVA (zugelassene) weitere Beschwerde eingelegt.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig (vgl. Senatsbeschluß vom 12. November 1980 - IVb ZB 712/80 - FamRZ 1981, 132, 133).

Das Rechtsmittel ist im Ergebnis begründet.

1. Allerdings kann der LVA nicht zugestimmt werden, soweit sie die Durchführung des Versorgungsausgleichs für unzulässig hält, weil der ausgleichsberechtigte Ehemann bereits vor der Eheschließung Altersruhegeld bezogen hat. Sie vertritt insoweit die Ansicht, der Versorgungsausgleich könne sich nicht mehr zugunsten des Ehemannes auswirken, weil bei diesem zu Lebzeiten kein weiterer Versicherungsfall mehr eintreten könne. Eine Erhöhung einer auf einem vor der Ehe eingetretenen Versicherungsfall beruhenden Rente stehe im Widerspruch zu §§ 1255 Abs.  8, 1258 Abs.  4 RVO und zu dem tragenden Grundsatz jeder Versicherung, daß nach dem Versicherungsfall zurückgelegte Versicherungszeiten nicht auf die Rente aus diesem Versicherungsfall angerechnet werden könnten. Dem kann nicht gefolgt werden.

Mit Beschluß vom 17. Oktober 1979 ( IV ZB 10/79 - FamRZ 1980, 129 ) hat der Bundesgerichtshof den von der Beschwerdeführerin vertretenen Standpunkt bereits für den Fall abgelehnt, daß der ausgleichsberechtigte Ehegatte während der Ehezeit die Bezugsvoraussetzungen für das Altersruhegeld erfüllt, und ausgeführt, die Regelung des Versorgungsausgleichs in Form des Splittings oder Quasi-Splittings sei nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Versicherungsfall bei dem Ausgleichsberechtigten noch nicht eingetreten sei. Dieser erlange auch dann, wenn er sich im Zeitpunkt der Durchführung des Versorgungsausgleichs bereits im Rentenalter befinde, durch die Übertragung oder Begründung von Anwartschaften einen höheren Rentenbetrag. Eine am Versicherungsfallprinzip ausgerichtete Auslegung des § 1587b Abs.  1 und 2 BGB verbiete sich, weil der Gesetzgeber sich insoweit bewußt über dieses Prinzip hinweggesetzt habe (aaO S 130).

Diese Beurteilung hat auch dann zu gelten, wenn der Versicherungsfall bei dem Ausgleichsberechtigten, wie hier, bereits vor der Eheschließung eingetreten war. Vor allem ist im Hinblick auf das Versicherungsfallprinzip kein Grund ersichtlich, die hier für den Versorgungsausgleich in Betracht kommenden, von dem ausgleichspflichtigen Ehegatten während der Ehezeit erworbenen Versorgungsanwartschaften anders zu behandeln als die Anwartschaften, die der Ausgleichspflichtige in den vorstehend erörterten Fällen nach dem (in der Ehezeit auf Seiten des Berechtigten eingetretenen) Versicherungsfall erlangt hat. In beiden Fällen geht es um Anrechte, die nach dem Eintritt des maßgebenden Versicherungsfalles erworben worden sind. Sie beim Versorgungsausgleich verschieden zu behandeln und nur bei den letztgenannten Anwartschaften anzunehmen, daß sich ihre Übertragung auf den eingetretenen Versicherungsfall und die laufende Rente des Ausgleichsberechtigten auswirkt, erscheint sachlich nicht gerechtfertigt (ebenso MünchKomm/Maier Ergänzung zu § 1587b RdNr.  97).

Daß der Ausgleichsberechtigte eine Erhöhung seiner Rente nicht erreichen könnte, wenn er unverheiratet geblieben wäre, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Gesetzgeber hat keine besondere Regelung für den Fall getroffen, daß einer der Ehegatten bereits vor Eheschließung seine Möglichkeiten zur Ansammlung von Anwartschaften erschöpft hat und bereits in den Genuß einer Versorgung gelangt ist. Auch in derartigen Fällen ist davon auszugehen, daß der Erwerb der Versorgungsanwartschaften durch den weiterhin erwerbstätigen Ehepartner dem Zwecke dient, den künftigen Unterhalt beider Ehegatten sicherzustellen (vgl. BGHZ 74, 38, 45f). Solange die eheliche Lebensgemeinschaft besteht, ist unerheblich, wie sich die Unterhaltssicherung bei den Ehegatten darstellt. Die Frage der rechtlichen Zuordnung der einzelnen Versorgungsanwartschaften wird erst bei der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft relevant (BGH aaO S 47). Soweit die Anwartschaften in der Ehezeit erworben sind, unterfallen sie dem Versorgungsausgleich grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, ob die Ehegatten außerhalb der Ehezeit weitere Anwartschaften erworben haben.

Hiernach steht es der Durchführung des Versorgungsausgleichs nach § 1587b Abs.  1 und 2 BGB nicht entgegen, daß der Ausgleichsberechtigte bereits vor der Eingehung der Ehe Altersruhegeld bezogen hat (ebenso OLG Frankfurt FamRZ 1981, 466 f; Bastian/Roth-Stielow/Schmeiduch 1. EheRG § 1304a RVO RdNr.  26; MünchKomm/Maier, aaO; v Maydell FamRZ 1981, 509, 519; Ruland/Tiemann, Versorgungsausgleich und steuerliche Folgen der Ehescheidung RdNr.  397; vgl. auch Voskuhl/Pappai/Niemeyer, Versorgungsausgleich in der Praxis § 1304b RVO Anm III = S 121 sowie § 1304a RVO Anm III 2 = S 114 - aA Bergner, SGb 1978, 133, 137f; derselbe in Kommentar zur RVO, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger - Verbandskommentar - Band II § 1304a RVO RdNr.  7 sowie in FamRZ 1979, 1028, jeweils mit der Einschränkung, daß dem hier verfochtenen Standpunkt dann zugestimmt wird, wenn auch der ausgleichsverpflichtete Ehegatte, wie hier, im Zeitpunkt der Scheidung Altersrente bezieht).

2. Gleichwohl kann der Versorgungsausgleich hier nicht stattfinden, weil die Inanspruchnahme der ausgleichsverpflichteten Ehefrau unter Berücksichtigung der beiderseitigen Verhältnisse nach § 1587c Nr.  1 BGB grob unbillig wäre.

Die Anwendung dieser Härteregelung kommt in Betracht, wenn die starre Durchführung des öffentlich-rechtlichen Wertausgleichs dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs in unerträglicher Weise widersprechen würde. Zwar ist die Ausgleichspflicht grundsätzlich von der beiderseitigen wirtschaftlichen Lage der Ehegatten unabhängig und die Bedürftigkeit des Ausgleichsberechtigten nicht Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs. Indessen kann es eine grobe Unbilligkeit im Sinne von § 1587c Nr.  1 BGB begründen, wenn die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht zu einer ausgewogenen sozialen Sicherheit beider Ehegatten beiträgt, sondern im Gegenteil zu einem erheblichen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zu Lasten des Ausgleichspflichtigen führt (vgl. BT-Drucks 7/650 S 162; MünchKomm/Maier, § 1587c RdNr.  1, 10; Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts RdNr.  655ff, 657; Erman/Ronke, BGB 7. Aufl § 1587c RdNr.  8). Es kann allerdings nicht allein darauf abgestellt werden, ob der Versorgungsausgleich den notwendigen Eigenbedarf des Ausgleichspflichtigen beeinträchtigt oder dazu führt, daß dieser öffentliche Unterstützung in Anspruch nehmen muß. Diesen Gesichtspunkten kann jedoch entscheidende Bedeutung zukommen, wenn der Ausgleichsberechtigte bereits eine ausreichende Versorgung hat, während der Verpflichtete auf seine Anrechte dringend angewiesen ist. Das gilt vor allem, wenn er auch nicht mehr in der Lage ist, den Verlust seiner Anwartschaften auszugleichen (vgl. Erman/Ronke, aaO RdNr.  10; v Maydell FamRZ 1981, 623, 625; MünchKomm/Maier aaO RdNr.  11, aber auch Ergänzung RdNr.  13d; Palandt/Diederichsen BGB 40. Aufl § 1587c Anm 2; Schwab, aaO; Soergel/v Hornhardt, BGB 11. Aufl § 1587c RdNr.  16). In Übereinstimmung damit hat der Senat in seinen Beschlüssen vom 12. November 1980 ( IVb ZB 503/80 - FamRZ 1981, 130, 132) und 29. April 1981 ( IVb ZB 813/80 - FamRZ 1981, 756, 757f) ausgeführt, die Durchführung des Versorgungsausgleichs könne insbesondere grob unbillig sein, wenn und soweit es seiner nicht bedürfe, um für beide Ehegatten den Grundstock zu einer eigenständigen Alterssicherung zu legen und dadurch auch dem Bedürftigen zu wirtschaftlicher Selbständigkeit zu verhelfen, weil der Ausgleichsberechtigte über nicht ausgleichspflichtiges Vermögen verfüge, während der Verpflichtete auf die Versorgung zur Sicherung seines Unterhalts angewiesen sei. In der letztgenannten Entscheidung hat der Senat die Annahme grober Unbilligkeit durch das Oberlandesgericht bestätigt, das darauf abgestellt hatte, daß die ausgleichsverpflichtete Ehefrau auf ihre Rente ungleich stärker angewiesen sei als der Ehemann auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs. Das Verhältnis der beiderseitigen Belange werde dadurch geprägt, daß die Ehefrau zur Deckung ihres Lebensbedarfs Unterhaltsleistungen des Ehemannes benötige, soweit ihre Rente nicht ausreiche. Mindere sich diese durch einen zu seinen Gunsten durchzuführenden Versorgungsausgleich, so müsse dies zu zusätzlichen Unterhaltsforderungen gegen ihn führen. Diese Wechselbeziehung schließe auf seiner Seite ein Interesse an der Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht aus, verringere aber dessen Gewicht. Angesichts seiner geordneten Einkommensverhältnisse und Vermögensverhältnisse bestände die wirtschaftliche Auswirkung des Versorgungsausgleichs daher vorwiegend darin, die eigene Versorgungsgrundlage der Ehefrau zu schmälern und sie in weitere unterhaltsrechtliche Abhängigkeit von dem Ehemann geraten zu lassen. Diese Folge habe das Oberlandesgericht als grobe Unbilligkeit werten können (aaO FamRZ 1981, 757 f).
Nach diesen Grundsätzen ist die Durchführung des Versorgungsausgleichs auch im vorliegenden Fall als grob unbillig zu bezeichnen. Es muß auf Unverständnis stoßen, wenn die Ehefrau von ihrer geringen Altersrente von 181,90 DM monatlich noch einen Teil an den Ehemann verlieren soll, obwohl dieser über eine - unter den Gegebenheiten des Falles als ausreichend zu bezeichnende - eigene Rente von 1.039,80 DM verfügt. Daran vermag auch die Höhe der auszugleichenden Anwartschaften nichts zu ändern. Der zu übertragende Betrag von 2,80 DM kann angesichts der geringen Höhe der Monatsrente der Ehefrau nicht als ganz geringfügig bezeichnet werden. Ebensowenig rechtfertigt es eine andere Beurteilung, daß der Ehefrau gegen den Ehemann ein Unterhaltsanspruch zustehen mag. Abgesehen von den angeführten Erwägungen der letztgenannten Senatsentscheidung kommt hier hinzu, daß der Unterhaltsanspruch bei früherem Tode des offensichtlich vermögenslosen Ehemannes trotz § 1586b BGB gegenstandslos würde, so daß der ausgleichspflichtigen Ehefrau auch insoweit kein Äquivalent für die Einbuße der zu übertragenden Anrechte zustände.

Soweit die Ansicht vertreten wird, daß im Rahmen von § 1587c Nr.  1 BGB nur auf solche Umstände zurückgegriffen werden dürfe, die während der Ehe eingetreten seien (vgl. Bastian / Roth-Stielow / Schmeiduch, aaO § 1587a RdNr.  7; dagegen Soergel / v Hornhardt, aaO § 1587c RdNr.  9; vgl. auch Rolland, 1. EheRG § 1587c RdNr.  14 = S 572), kann dem nicht gefolgt werden. Wie der Senat in dem bereits erwähnten Beschluß vom 12. November 1980 unter Berufung auf die im Gesetzgebungsverfahren und im Schrifttum erörterten Sachverhalte ausgeführt hat, kann es bei der Wertung, welche die Anwendung der Härteregelung stets erfordert, auch ins Gewicht fallen, wenn der Unterhalt des Berechtigten schon bei Eingehung der Ehe durch eigenes Vermögen für die Zukunft - auch nach der Scheidung - gesichert war ( FamRZ 1981, 132 ).

Hiernach war unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dahin zu entscheiden, daß ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.

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