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IVb ZR 610/80

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 12. November 1979 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Der Kläger ist das eheliche Kind der Beklagten aus deren im Jahre 1974 rechtskräftig geschiedenen Ehe. Er lebt bei seinem Vater, dem die elterliche Gewalt (jetzt: elterliche Sorge) übertragen worden ist.

Die Beklagte ist in zweiter Ehe mit einem Studienrat verheiratet. Sie geht keiner Erwerbstätigkeit nach, sondern versorgt den Haushalt sowie die 1971 geborene Tochter ihres zweiten Ehemanns aus dessen erster Ehe, die sie 1977 als Kind angenommen hat. Außerdem betreut sie auf Grund einer durch notariellen Vertrag eingegangenen Verpflichtung die betagten Eltern ihres zweiten Ehemannes. Nach dem unstreitigen Tatbestand des auf die mündliche Verhandlung vom 15. Oktober 1979 ergangenen Berufungsurteils war die Beklagte damals schwanger. Sie hat während des Revisionsverfahrens angezeigt, sie habe am 25. Februar 1980 eine Tochter geboren.

Der Kläger verlangt mit der am 12. Februar 1979 eingegangenen Klage Unterhalt ab 1. Januar 1979. Er hat diese Forderung zuvor ergebnislos angemahnt; die Beklagte hat die Annahme des die Mahnung enthaltenden Einschreibebriefes grundlos verweigert. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte trotz der Aufgaben in ihrer jetzigen Ehe verpflichtet ist, sich durch eine Erwerbstätigkeit so viel Einkommen zu verschaffen, daß sie dem Kläger Barunterhalt leisten kann.

Im ersten Rechtszug hat der Kläger eine Unterhaltsrente von monatlich 200 DM geltend gemacht. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat nur monatlich 100 DM zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Familiengerichts.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I.

Der im Jahre 1968 geborene Kläger ist mangels eigener Einkünfte außerstande, sich selbst zu unterhalten, also unterhaltsbedürftig (§ 1602 BGB). Das stellt die Beklagte nicht in Frage. Sie ist dem Kläger daher im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit gemäß § 1603 BGB nach Maßgabe des § 1606 Abs. 3 BGB anteilig unterhaltspflichtig.

II.

Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nicht leistungsfähig und deshalb nicht zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Die hierfür gegebene Begründung trägt jedoch die Entscheidung nicht.

1. Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte verfüge weder über Einkommen noch über Vermögen. Ihren Lebensunterhalt bestreite sie aus den ihr nach § 1360 a BGB zufließenden Mitteln ihres zweiten Ehemanns. Sie sei nicht verpflichtet, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um Unterhalt zahlen zu können. Ob bereits die bloße Haushaltsführung in kinderloser Ehe, die vertraglich übernommene Fürsorge für die Schwiegereltern oder die inzwischen eingetretene Schwangerschaft allein oder insgesamt einer Pflicht zur Erwerbstätigkeit entgegenstünden, bedürfe nicht der Entscheidung. Jedenfalls führe die Fürsorge für die von ihr als Kind angenommene Tochter ihres jetzigen Ehemannes aus dessen erster Ehe dazu, daß die Beklagte nicht verpflichtet sei, auch nur einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen. Das Mädchen habe durch die Annahme als Kind nach § 1754 Abs. 1 BGB die Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Beklagten und ihres jetzigen Ehemannes erlangt. Ihm gegenüber oblägen der Beklagten dieselben Pflichten, die sie früher dem Kläger gegenüber gehabt habe und einem eigenen Kind aus der zweiten Ehe gegenüber hätte. Im Alter von derzeit acht Jahren sei das Mädchen auf die ungeteilte Beaufsichtigung und Fürsorge durch einen Elternteil angewiesen. Trotz der Schulpflicht lasse sich diese Aufsicht und Fürsorge nicht auf bestimmte Zeitabschnitte des Tages beschränken. Sie treffe die Mutter, weil der Vater als Studienrat vollzeitbeschäftigt sei. Bei dem Alter des Kindes und unter diesen Umständen könne von einer Mutter grundsätzlich keine Erwerbstätigkeit verlangt werden, weil sie jederzeit für ihr Kind zur Verfügung stehen müsse. Wenn eine geschiedene Frau unter diesen Voraussetzungen nach §§ 1569, 1570 BGB schon Unterhalt von ihrem früheren Ehemann verlangen könne, ohne sich auf eine Erwerbstätigkeit verweisen lassen zu müssen, dürfe nichts anderes gelten, wenn das Kind einer Frau aus geschiedener Ehe dieser gegenüber den Barunterhalt geltend mache.

2. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, von der Beklagten habe nicht einmal die Aufnahme einer Nebentätigkeit verlangt werden können, damit sie zum Unterhalt des Klägers - in Höhe des verhältnismäßig geringen Betrages von monatlich 100 DM, den das Familiengericht zugesprochen hat - beitrage, hält aufgrund der bisherigen Feststellungen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Ob und inwieweit die Beklagte, die tatsächlich keine Einnahmen aus einer Erwerbstätigkeit hat, gleichwohl im Hinblick auf ihre Arbeitskraft als leistungsfähig anzusehen ist, richtet sich danach, ob sie in zumutbarer Weise eine Erwerbstätigkeit hätte aufnehmen können (und noch könnte) und welche Einnahmen daraus erzielbar gewesen wären. Unterhaltsrechtlich ist sie so zu behandeln, als ob sie solche Einnahmen tatsächlich erzielt hätte und noch erzielte (BGHZ 75, 272, 274/275 m.w.N.; allgemeine Auffassung).

b) Wie der Bundesgerichtshof in der eben genannten Entscheidung aufgezeigt hat, ist in Rechtsprechung und Literatur weiterhin einhellig anerkannt, daß ein wiederverheirateter Elternteil durch die Übernahme der Haushaltsführung in der neuen Ehe von seiner Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern aus einer früheren Ehe jedenfalls dann nicht (völlig) entlastet wird, wenn in der neuen Ehe keine betreuungsbedürftigen Kinder vorhanden sind (aaO S. 275/276).

c) Hier lebt allerdings in der neuen Ehe ein betreuungsbedürftiges Kind. Auf Grund der Adoption schuldet die Beklagte der 1971 in der ersten Ehe ihres jetzigen Ehemannes geborenen Tochter Unterhalt wie einem gemeinschaftlichen ehelichen Kinde (§§ 1754 Abs. 1, 1601 ff. BGB).

Das Vorhandensein eines betreuungsbedürftigen Kindes in der neuen Ehe ändert jedoch, wie der Bundesgerichtshof in der bereits genannten Entscheidung weiter ausgeführt hat, im Grundsatz nichts daran, daß die Unterhaltsansprüche der minderjährigen unverheirateten Kinder aus den verschiedenen Ehen gleichrangig sind und der Unterhaltspflichtige seine Arbeitskraft zum Unterhalt aller Kinder einsetzen muß. Die Übernahme der Betreuung des Kindes aus der neuen Ehe durch den Elternteil, der noch einem gleichrangig unterhaltsberechtigten Kind aus einer früheren Ehe unterhaltspflichtig ist, muß jedoch jedenfalls dann hingenommen werden, wenn sich der Familienunterhalt in der neuen Ehe dadurch, daß der andere Ehegatte voll erwerbstätig ist, wesentlich günstiger gestaltet, als es der Fall wäre, wenn dieser die Kindesbetreuung übernehmen würde und der unterhaltspflichtige Elternteil voll erwerbstätig wäre (BGH aaO S. 276). So liegen die Dinge zweifelsfrei im Streitfall. Denn der Ehemann der Beklagten ist Studienrat, während sie - nach dem beiderseitigen Parteivortrag - früher als Buchhalterin tätig war.

Die Gleichrangigkeit des Unterhaltsanspruchs des Kindes aus der früheren Ehe gebietet es jedoch auch unter diesen Umständen, die Beeinträchtigung dieses Anspruchs so gering wie möglich zu halten. Der unterhaltspflichtige Elternteil wird daher im allgemeinen seine Auslastung durch die Betreuung des Kindes aus der neuen Ehe und die Haushaltsführung auf das infolge der Funktionsteilung zwischen den Ehegatten unbedingt notwendige Maß beschränken und im übrigen wenigstens eine Nebentätigkeit aufnehmen müssen, um auch zum Unterhalt seines Kindes aus der früheren Ehe beitragen zu können. Dies gilt nach BGH aaO S. 277 jedenfalls insoweit, als er dadurch im Verhältnis zu anderen, gleichrangig Unterhaltsverpflichteten nicht unverhältnismäßig belastet wird. Der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen kann unter diesen Voraussetzungen nicht verlangen, daß der unterhaltspflichtige Ehepartner seine Arbeitskraft voll der Haushaltsführung und Kinderbetreuung widmet. Er muß ihn hiervon vielmehr gegebenenfalls entsprechend entlasten, ebenso wie er es im Falle der Vollerwerbstätigkeit des unterhaltspflichtigen Teils hinnehmen müßte, daß die Einnahmen daraus nicht voll zur Bestreitung des Familienunterhalts zur Verfügung ständen, sondern zum Teil auch zum Unterhalt des gleichrangig berechtigten Kindes aus der früheren Ehe verwendet würden.

d) Bei Anwendung dieser Grundsätze rechtfertigen es die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht, die Aufnahme einer - geringen - Nebentätigkeit durch die Beklagte zur Aufbringung der vom Familiengericht zugesprochenen 100 DM an monatlichem Barunterhalt für den Kläger für unzumutbar zu erachten. Der Unterhaltsbedarf ihrer jetzigen Familie wird durch das Studienratsgehalt ihres Ehemannes ersichtlich gedeckt. Die Beklagte hätte mithin ab Januar 1979 schon durch eine Tätigkeit kleinen Umfangs zum Unterhalt des Klägers beitragen können.

e) Ob und gegebenenfalls welche Tätigkeit sich insoweit hätte finden lassen, bleibt der tatrichterlichen Prüfung überlassen. Zu denken wäre etwa, wenn nicht gar eine Teilzeitbeschäftigung im früher ausgeübten Beruf in Betracht gekommen wäre, an die häusliche Erledigung einfacher Lohnarbeiten.

Die Zurückverweisung gibt weiterhin Gelegenheit, die Zumutbarkeit des Nebenerwerbes für die Zeit der Schwangerschaft der Beklagten und später nach der Entbindung tatrichterlich zu beurteilen. Zwar braucht eine Ehefrau, die Unterhalt von ihrem Mann verlangt, sich im Regelfall nicht auf eine eigene Erwerbstätigkeit verweisen zu lassen, wenn sie ein noch nicht schulpflichtiges Kind betreut (MünchKomm/ Richter, BGB § 1570 Rdn. 10; Derleder/Derleder FamRZ 1977, 587, 589/590; vergleiche auch BGH Urteil vom 9. Mai 1979 - IV ZR 88/78 - FamRZ 1979, 571, 572; Senatsurteil vom 5. November 1980 - IV b ZR 549/80 - FamRZ 1981, 17, 18). Eine andere Beurteilung kann aber Platz greifen, soweit die Ehefrau von einem minderjährigen unverheirateten Kind aus einer früheren Ehe auf Barunterhalt in Anspruch genommen wird. Wegen der Gleichrangigkeit der Unterhaltsansprüche der Kinder aus beiden Ehen (vgl. BGHZ 75, 272, 276) ist es in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen, auch der Mutter eines noch kleinen Kindes zuzumuten, sich durch eine Erwerbstätigkeit geringen Umfanges Mittel zu beschaffen, um jedenfalls einen Beitrag zum Barunterhalt ihres anderen Kindes zu leisten. Ihr Ehemann ist dann nach den in der Entscheidung BGHZ 75, 272, 277 aufgestellten Grundsätzen gehalten, ihr durch eine Teilübernahme der Pflegeaufgaben die für die Erwerbstätigkeit erforderliche Zeit zu verschaffen.

Der Beurteilung durch den Tatrichter bedarf weiterhin die bisher ungeprüft gebliebene Frage, ob der gesundheitliche Zustand der Klägerin, der von ihr als angegriffen geschildert wird, die Übernahme einer - auch geringen - Nebentätigkeit ausgeschlossen hat und ausschließt.

Schließlich weist der Senat darauf hin, daß die den Schwiegereltern der Beklagten gegenüber vertraglich - offenbar im Rahmen eines bereits vorher abgeschlossenen Leibgedinges - übernommene Betreuungspflicht die als vorrangig zu wertende Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kläger schwerlich wird mindern können (arg. § 850 d ZPO; Münch/Komm/ Köhler, BGB § 1603 Rdn. 18).

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