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§ 78 SGG: Vorverfahren als Klagevoraussetzung

Änderungsdienst
veröffentlicht am

20.08.2019

Änderung

Dokumentdaten
Stand20.02.2015
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt in Kraft getreten am 01.01.2004
Rechtsgrundlage

§ 78 SGG

Version001.00

Inhalt der Regelung

Die Vorschrift regelt die Notwendigkeit eines Widerspruchsverfahrens (Vorverfahrens) als Voraussetzung für ein Klageverfahren beziehungsweise die Ausnahmen vom Vorverfahrenszwang.

Ergänzende und korrespondierende Regelungen

Allgemeines zum Vorverfahrenszwang

Gegen einen Bescheid (Verwaltungsakt) des Rentenversicherungsträger darf der Bescheidempfänger nicht unmittelbar Klage erheben. Vielmehr verlangt § 78 Abs. 1 SGG die Durchführung eines Vorverfahrens (zu den Ausnahmen siehe Abschnitt 3). Dies geschieht durch die Erhebung des Widerspruchs. Im Widerspruchsverfahren überprüft der Rentenversicherungsträger den angefochtenen Bescheid auf Recht- und Zweckmäßigkeit. Kommt er zu dem Ergebnis, dass der Bescheid zu korrigieren ist, erlässt er einen Abhilfebescheid. Verbleibt es bei der Entscheidung, wird der Widerspruch durch den zuständigen Widerspruchsausschuss mit einem Widerspruchsbescheid zurückgewiesen.

Der Vorverfahrenszwang dient der Selbstkontrolle der Verwaltung sowie der Entlastung der Gerichte.

Ausnahmen vom Vorverfahrenszwang

Zu dem im Abschnitt 2 beschriebenen Vorverfahrenszwang gibt es folgende Ausnahmen:

  • Ein Land oder ein Versicherungsträger will klagen (siehe Abschnitt 3.1).
  • Die analoge Anwendung von § 68 VwGO (siehe Abschnitt 3.2).

§ 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG sowie § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG spielen für die Praxis der Rentenversicherung keine Rolle.

Ein Land oder ein Versicherungsträger (zum Beispiel ein Rentenversicherungsträger) will klagen

Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG entfällt ein Vorverfahren, wenn ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will. Das BSG hat festgestellt, dass in derartigen Fällen "Vorverfahrensfreiheit" in dem Sinn besteht, dass ein Vorverfahren weder durchgeführt werden muss noch stattfinden darf, sondern ausgeschlossen ist (Urteil des BSG vom 23.06.1994, AZ: 4 RK 3/93, Fundstelle: SozR 3-1500 § 87 Nr. 1).

Typischer Fall ist zum Beispiel die Klage eines Nachversicherungsschuldners (zum Beispiel ein Bundesland) gegen einen Bescheid des Rentenversicherungsträgers mit dem Säumniszuschläge auf Nachversicherungsbeiträge erhoben werden. Aber auch ein Rentenversicherungsträger kann von § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG betroffen sein. So muss er zum Beispiel gegen den Bescheid einer Krankenkasse, mit dem diese entscheidet, dass eines seiner Mitglieder nicht mehr der Versicherungspflicht unterliegt, unmittelbar Klage erheben.

Analoge Anwendung von § 68 VwGO

Der Vorverfahrenszwang entfällt in analoger Anwendung von § 68 VwGO, wenn

  • an dem Widerspruchsverfahren ein Dritter beteiligt ist und
  • der Abhilfebescheid erstmalig eine Beschwer für einen der am Widerspruchsverfahren Beteiligten enthält (Hk-SGG/Binder/§ 78, Rdnr 10).
    Beispiel: Im Statusfeststellungsverfahren gemäß § 7a SGB IV wird festgestellt, dass Auftragnehmer A der Versicherungspflicht unterliegt. Auftraggeber B erhält als beteiligter Dritter hierüber ebenfalls einen Bescheid. Auftragnehmer A akzeptiert den Bescheid, Auftraggeber B legt Widerspruch ein; er ist der Auffassung, dass keine Versicherungspflicht vorliegt. Im Widerspruchsverfahren wird festgestellt, dass dem Widerspruch abzuhelfen ist.
    Der Abhilfebescheid enthält für den Auftragnehmer A erstmals eine Beschwer, nämlich die Feststellung, dass er nicht der Versicherungspflicht unterliegt. Gegen diese Entscheidung kann Auftragnehmer A in analoger Anwendung von § 68 VwGO unmittelbar Klage erheben. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens ist nicht erforderlich.

Verstoß gegen den Vorverfahrenszwang

Ist innerhalb der Widerspruchsfrist (§ 84 Abs. 1 SGG) entgegen dem Vorverfahrenszwang Klage erhoben worden, gibt das Gericht den Beteiligten die Möglichkeit, das Vorverfahren nachzuholen (Urteil des BSG vom 13.12.2000, AZ: B 6 KA 1/00 R, Fundstelle: SozR 3-1500 § 78 Nr. 5 m.w.N.), denn in der Klageerhebung ist gleichzeitig die Erhebung des Widerspruchs zu sehen. Das Gericht wird dann das Verfahren analog § 114 Abs. 2 SGG aussetzen.

Der während des Klageverfahrens erlassene Widerspruchsbescheid wird gemäß § 96 Abs. 1 SGG (in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG) Gegenstand des Verfahrens (siehe GRA zu § 96 SGG).

Vorverfahrenszwang bei Klageänderung

Auch bei einer Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 SGG müssen für die geänderte Klage die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen. Dies bedeutet, dass unter anderem ein abgeschlossenes Vorverfahren vorhanden sein muss. Im Ergebnis führt dies zur Unzulässigkeit der meisten Klageänderungen, denn es fehlt in der Regel nicht nur am Widerspruchsbescheid sondern überhaupt an einer ablehnenden Entscheidung des Rentenversicherungsträgers. Dies hat jedoch regelmäßig die Unzulässigkeit der geänderten Klage zur Folge (Breitkreuz, in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 99, Rn 21).

Sollte im Einzelfall eine (gegebenenfalls konkludent ausgesprochene) ablehnende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers vorliegen, wird das Vorverfahren nachgeholt (siehe Abschnitt 4).

Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl. I S. 2848)

Inkrafttreten: 01.01.2004

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 15/1637

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 78 SGG