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§ 116 SGB X: Anspruch gegen Schadensersatzpflichtige

Änderungsdienst
veröffentlicht am

12.11.2019

Änderung

Neu aufgenommen

Dokumentdaten
Stand12.12.2016
Rechtsgrundlage

§ 116 SGB X

Version001.01

Inhalt der Regelung

§ 116 SGB X ordnet kraft Gesetzes den Übergang zivilrechtlicher Schadensansprüche auf den Sozialversicherungsträger an, die aufgrund eines Schadensereignisses in der Person des Geschädigten entstanden sind – cessio legis. Der Anspruchsübergang findet in dem Umfang statt, in dem der Sozialversicherungsträger aufgrund des Schadensereignisses gegenüber dem Geschädigten Sozialleistungen erbringt, die der Behebung des Schadens der gleichen Art (sachliche Kongruenz) dienen und die sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen (zeitliche Kongruenz).

Schadensersatzansprüche

Ein Anspruch auf Schadensersatz setzt voraus, dass ein die Haftung begründendes Ereignis stattgefunden hat, ein Erwerbsschaden bzw. ein Unterhaltsschaden nachweisbar ist und ein Kausalzusammenhang besteht. Ein Kausalzusammenhang liegt vor, wenn zwischen dem Verhalten des Schädigers und der Körperverletzung sowie dem Schaden ein Zurechnungszusammenhang besteht. Eine die Haftung begründende Kausalität fehlt, wenn der Schaden auch ohne ein drittschädigendes Ereignis – etwa aufgrund von gesundheitlichen Vorschäden beim Versicherten - eingetreten wäre. Grundsätzlich sind auch psychische Gesundheitsschäden als Folgen der Verletzungshandlung des Schädigers gem. §§ 823 ff. BGB zu ersetzen.

Rechtliche Grundlage der Haftung des Schädigers sind die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften z. B. aus vertraglicher Haftung, deliktischer Haftung sowie aus Gefährdungshaftung:

  • vertragliche Haftung

Erfasst werden Ansprüche aus vertraglichen Beziehungen wie z. B. aus Arztverträgen, Beförderungsverträgen, Reise- und Dienstverträgen. Der Forderungsübergang erfasst Ansprüche aus vertraglichen Beziehungen (§ 280 BGB), Verschuldens bei Vertragsabschluss (§ 311 Abs. 2 BGB) sowie Haftung für Mangelfolgeschäden.

  • deliktische Haftung

Eine Haftung ergibt sich aus den §§ 823 ff. BGB, wenn das schädigende Ereignis durch Dritte rechtswidrig und schuldhaft herbeigeführt wird, z. B. aufgrund eines fahrlässig verursachten Verkehrsunfalles.

  • Gefährdungshaftung

Rechtliche Grundlagen für eine Haftung aus Gefährdungshaftung sind u.a. die Vorschriften der §§ 833 ff. BGB, §§ 7 STVG, §§ 1 ff. HaftPflG, §§ 33 LuftVG.

In Betracht kommen ferner z. B. Ansprüche nach AtomG, BinnenschifffahrtsG, ProdHaftG, UmweltHG, Nato-Truppenstatut.

Gesetzlicher Forderungsübergang

Ein Anspruch auf Schadensersatz aufgrund dieser genannten Rechtsvorschriften geht auf den Sozialversicherungsträger über, soweit dieser aufgrund desselben Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. Der Begriff der Sozialleistungen ist in §§ 18 ff. SGB I definiert.

Der zur Leistung verpflichtete Sozialversicherungsträger kann vom Schädiger im Wege des Forderungsübergangs Ersatz seiner Leistungen bis zur Höhe des eingetretenen Schadens verlangen. Der Forderungsübergang vollzieht sich kraft Gesetzes. Der gesetzliche Forderungsübergang schließt aus, dass der Geschädigte auch für den Schaden, der durch Sozialleistungen ausgeglichen wird, noch einmal vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung Ersatz verlangen kann.

Der Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger vollzieht sich regelmäßig bereits im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, unabhängig davon, ob ab diesem Zeitpunkt Sozialleistungen zu erbringen sind. Es genügt die Möglichkeit, dass der Sozialversicherungsträger leistungspflichtig werden könnte. Bestand im Unfallzeitpunkt kein Sozialversicherungsverhältnis für den Verletzten in Form einer Pflicht- oder freiwilligen Versicherung, findet der Rechtsübergang erst bei Eintritt in die Sozialversicherung statt. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der geschädigte Versicherte Anspruchsinhaber.

Verjährung

Nach § 195 BGB beträgt die (Regel-) Verjährungsfrist drei Jahre. Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Schadensersatzanspruch entstanden ist, und der nach der innerbetrieblichen Organisation zuständige Mitarbeiter von den Umständen/Tatsachen des Schadens und der Person des Schädigers (Name und Anschrift) Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Zuständiger Mitarbeiter ist derjenige, der mit der Regulierung der Regressansprüche betraut ist. Maßgebend und ausreichend ist dementsprechend die Kenntnisnahme des Regressbereiches (vgl. ständige Rechtsprechung des BGH-Urteil vom 20.10.2011, AZ: III ZR 252/10, AZ: VI ZR 9/11 und AZ: VI ZR 108/11).

Ausnahme von der Dreijahresfrist: Für Personenschäden aus Vorsatzstraftaten verlängert sich die Verjährungsfrist von 3 auf 30 Jahre, § 197 Absatz 1 Nr. 1 BGB. Die Neuregelung gilt ab 30.06.2013 für alle Ansprüche aus vorsätzlich begangenen Straftaten, die ab diesem Zeitpunkt verübt werden oder davor verübt wurden aber noch nicht verjährt waren.

Daneben ist die 30-jährige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 2 BGB zu beachten (Verjährungshöchstfrist), wenn Schadensersatzansprüche auf der Verletzung des Lebens, Körpers oder der Gesundheit beruhen. Diese Frist beginnt (taggenau) mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses. Nach Ablauf dieser Frist tritt in jedem Fall die Verjährung ein.

Bestand zum Unfallzeitpunkt keine Pflicht- oder freiwillige Versicherung für den Verletzten bei der Deutschen Rentenversicherung, kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist auf die Kenntniserlangung des Verletzten selbst an. Ist bereits Verjährung in der Person des Verletzten eingetreten, muss sich dies der später zuständig werdende Rentenversicherungsträger entgegenhalten lassen (vgl. BGH-Urteil vom 04.10.1983 AZ: VI ZR 194/81; bestätigt durch BGH-Urteil vom 24.04.2012 AZ: ZR 329/10).

Bei einem Zuständigkeitswechsel unter Sozialleistungsträgern läuft eine bereits in Gang gesetzte Verjährungsfrist auch zu Lasten des Rechtsnachfolgers weiter.

Erwerbsschaden

Der zu ersetzende Erwerbsschaden umfasst den Verlust des Einkommens sowie alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 11. Auflage, Anm. 40).

Dazu gehören im Wesentlichen:

  • Arbeitslohn (netto) nebst Urlaubsgeld und Sonderzahlungen
  • Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung
  • Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe (BGH-Urteil vom 20.03.1984, AZ: VI ZR 14/82), Arbeitslosengeld II (BGH-Urteil vom 25.06.2013 AZ: VI ZR 128/12)
  • Haushaltsführungsschaden für Familienangehörige (BGH-Urteil vom 08.10.1996, AZ: VI ZR 247/95)
  • Gewinn aus selbständiger Tätigkeit

Der Erwerbsschaden ist zu ersetzen für die voraussichtliche Dauer der Erwerbstätigkeit des Verletzten, wie sie sich ohne das schädigende Ereignis bis zur fiktiven Beendigung des Erwerbslebens gestaltet hätte (BGH-Urteil vom 27.10.1998, AZ: VI ZR 322/97). Für das fiktive Ende des Erwerbslebens ist bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern grundsätzlich auf den Beginn der Regelaltersrente bei Erreichen der Regelaltersgrenze abzustellen (LG Magdeburg, Urteil vom 27.03.2012, AZ: 11 O 1544/11, BGH-Urteil vom 27.06.1995, AZ: VI ZR 165/94). 

Ist das Berufsleben eines Verletzten, der im Unfallzeitpunkt nicht beschäftigt war, bisher wenig strukturiert, so kommt u. U. eine pauschale Schätzung des Erwerbsschadens auf Basis eines fiktiven Erwerbsverlaufs in Betracht (BGH-Urteil vom 17.01.1995, AZ: VI ZR 62/94).

Grundsätzlich ist der Verletzte, der in seinem bisherigen Beruf nicht mehr einsatzfähig ist, verpflichtet, seine verbleibende Arbeitskraft schadensmindernd einzusetzen. Die Verwertung der Arbeitspflicht setzt jedoch voraus, dass der Geschädigte überhaupt die Möglichkeit hat, die verbleibende Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen (BGH-Urteil vom 05.12.1995, AZ: VI ZR 398/94).

Unterhaltsschaden

Bei Tötung eines gesetzlich zum Unterhalt Verpflichteten haben die unterhaltsberechtigten Angehörigen Anspruch auf Ersatz des mittelbaren Schadens, der ihnen durch den Verlust des Unterhaltsanspruchs entsteht, §§ 844 Abs. 2 BGB, 10 Abs. 2 StVG, 5 Abs. 2 HaftPflG (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 11. Aufl., Anm. 319).

Als Unterhaltsberechtigte kommen der überlebende Ehegatte, der Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes, der geschiedene Ehegatte, Waisen, gezeugte – d. h. noch nicht geborene – Kinder aber auch andere Berechtigte (z. B. Mutter eines nichtehelichen Kindes für die ersten drei Lebensjahre - § 1615l Abs. 2 BGB, sowie das adoptierte Kind - § 1754 BGB) in Betracht. Die Unterhaltsverpflichtung muss im Zeitpunkt des Unfalles/Schadensfalles bereits bestanden haben. Eine nach dem Unfall aber vor dem Tod des Verpflichteten neu begründete Unterhaltspflicht (z. B. Eheschließung) begründet keinen Anspruch nach § 844 Abs. 2 BGB gegen den Ersatzpflichtigen.

Die Höhe des Unterhaltsschadens wird im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO ermittelt und hängt davon ab, wie sich die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Berechtigten ohne das Schadensereignis entwickelt hätte. Der zwischen Ehegatten und im Verhältnis zu ihren Kindern geschuldete Unterhalt umfasst alles, was erforderlich ist, um den gemeinsamen Haushalt zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der Kinder abzudecken (§ 1360a BGB). Die Ehegatten entscheiden gemeinsam, wer in welchem Umfang Barleistungen bzw. Haushaltstätigkeiten/Kinderbetreuung für die Familie erbringt (§ 1360 BGB). Bei Tod eines Ehegatten ist daher entscheidend, was vereinbart war und nicht was tatsächlich geleistet wurde. In Ermangelung eines anderen Nachweises wird aber häufig von der tatsächlichen auf die geschuldete Leistung geschlossen.

Da heutzutage in der Regel beide Ehegatten erwerbstätig sind und Barunterhalt leisten, Haushaltstätigkeiten verrichten sowie die Kinderbetreuung gewährleisten, entsteht den Hinterbliebenen beim Ableben eines Elternteils ein Barunterhalts- und zusätzlich ein Haushaltsführungs-/Betreuungsschaden.

Der Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Unterhalts ist längstens für die mutmaßliche Dauer des Lebens des Verpflichteten zu leisten.

Die aufgrund des Todes des Verpflichteten entfallende unterhaltsrechtliche Beteiligung des Hinterbliebenen aus eigenem Einkommen ist schadensmindernd zu berücksichtigen (Vorteilsausgleich).

Kosten der medizinischen Rehabilitation und der Teilhabe am Arbeitsleben

Zu den Kosten der medizinischen Rehabilitation gehören alle Aufwendungen, die den Geschädigten durch

  • die ärztliche Behandlung,
  • die Versorgung mit Medikamenten,
  • Krankenhausaufenthalt,
  • Heilkuren,
  • Physiotherapie,

und andere, zu seiner gesundheitlichen Wiederherstellung erforderliche Maßnahmen entstehen.

Auf den Erfolg einer Heilbehandlung kommt es für die Schadensersatzpflicht nicht an. Zu ersetzen sind die Kosten, die vom Standpunkt eines verständigen Beurteilers bei gegebener Sachlage zweckmäßig erscheinen (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 11. Aufl., Anm. 226).

Während eines stationären Aufenthaltes mindern die ersparten Verpflegungskosten des Verletzten den Schaden. Von der Rechtsprechung wurden in der Vergangenheit 5 bis 10 EUR täglich für eingesparte Verpflegungskosten anerkannt (vgl. Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 11. Aufl., Anm. 241 mit Rechtsprechungsnachweisen). Werden gleichzeitig Ansprüche auf Erwerbsschaden geltend gemacht, so kann der Sozialversicherungsträger wegen der ersparten Verpflegungskosten Rückgriff auf den Ersatzanspruch wegen Verdienstausfalls nehmen und muss sich die Ersparnisse des Geschädigten nicht entgegen halten lassen, soweit diese Ersparnisse zusammen mit den vom Sozialversicherungsträger zu erbringenden Barleistungen diesen Ersatzanspruch nicht übersteigen (BGH-Urteil vom 03.04.1984, AZ: VI ZR 253/82).

Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfassen insbesondere berufliche Ausbildungs- und Umschulungsmaßnahmen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes, Kraftfahrzeughilfe nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung, Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber und Zuschüsse für Arbeitshilfen im Betrieb.

Ersatz von Beiträgen bei Bezug von Sozialleistungen

Seit dem 01.01.1992 unterliegen Entgeltersatzleistungen der Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung. Die Regelung des § 116 Abs. 1 Satz 2 SGB X dient der Klarstellung, dass auch diese Beiträge vom gesetzlichen Forderungsübergang umfasst werden.

Begrenzung des Schadensersatzanspruchs kraft Gesetzes

Wird der Schadensersatzanspruch der Höhe nach durch Gesetz begrenzt, erfolgt ein Forderungsübergang nur, soweit er nicht zum Ausgleich des Schadens des Geschädigten oder seiner Hinterbliebenen erforderlich ist (§ 116 Abs. 2 SGB X). Der Geschädigte erhält insoweit ein Befriedigungsvorrecht.

Gesetzliche Haftungshöchstsummenbegrenzungen gibt es im Rahmen der Gefährdungshaftung (§§ 12 StVG, 37 LuftVG, 9 HaftPflG).

Mitverschulden des Geschädigten

Trifft den Geschädigten am Schadensereignis ein Mitverschulden oder ist ihm eine mitwirkende Verantwortlichkeit zuzurechnen, und ist deshalb der Schadensersatzanspruch begrenzt, so ist auch der Anspruch des Sozialversicherungsträgers begrenzt, wenn beim Geschädigten ein Restschaden verblieben ist. Die Leistung des Sozialversicherungsträgers ist im Verhältnis zum verbliebenen Restschaden des Geschädigten dem Gesamtschaden gegenüberzustellen (relative Theorie, § 116 Abs. 3 SGB X).

vergleiche hierzu Beispiel 1

Decken die Sozialleistungen den Schaden voll ab oder übersteigen sie ihn, kommt eine Aufteilung nach § 116 Abs. 3 SGB X nicht in Betracht.

Treffen Mitverschulden/Mitverantwortlichkeit nach § 116 Abs. 3 SGB X und die Haftungshöchstsummenbegrenzung nach § 116 Abs. 2 SGB X zusammen, erfolgt der Forderungsübergang ebenfalls nach relativer Theorie (§ 116 Abs. 3 Satz 2 SGB X).

Die Anwendung des Absatzes 3 ist ausgeschlossen, sofern der Geschädigte dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII würde ,§ 116 Abs. 3 Satz 3 SGB X.

Im Fall der Mithaftung eines Getöteten ist der ersparte Beitrag des hinterbliebenen Ehegatten zu den persönlichen Bedürfnissen des Getöteten zunächst mit der wegen der Mithaftung nicht ersetzten Quote des entgangenen Unterhalts zu verrechnen (BGH-Urteil vom 16.09.1986, AZ: VI ZR 128/85).

Zahlungsunfähigkeit des Ersatzpflichtigen

§ 116 Absatz 4 SGB X beinhaltet ein Vollstreckungsvorrecht des Geschädigten bzw. seiner Hinterbliebenen, die eigenen Schadensersatzansprüche vor den nach Absatz 1 übergegangenen Ansprüchen der Versicherungs-/Sozialhilfeträger durchsetzen zu können, wenn „tatsächliche Hindernisse“ bei der Durchsetzung der Ansprüche bestehen. Ein „tatsächliches Hindernis“ im Sinne der Vorschrift liegt vor, sofern die Versicherungssumme oder die finanziellen Möglichkeiten des (privathaftenden) Schädigers zum vollständigen Schadensausgleich nicht ausreichend sind. In diesen Fällen sind alle Ansprüche des Geschädigten bzw. seiner Hinterbliebenen (z. B. auch Schmerzensgeld, vermehrte Bedürfnisse, Sachschäden) vorrangig im Verhältnis zu den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger und anderer Gläubiger zu regulieren.

Reicht z. B. die Deckungssumme des Haftpflichtversicherers für den Ausgleich sämtlicher Forderungen nicht aus, so stellt die Haftpflichtversicherung einen Verteilungsplan auf, um darin die Rangfolge der Forderungen und ihre anteilige Kürzung im Verhältnis zur Deckungssumme und zum Gesamtschaden festzustellen.

Das Vollstreckungsvorrecht des Geschädigten bzw. seiner Hinterbliebenen besteht nur, solange der Sozialversicherungsträger seine Ansprüche noch nicht befriedigt hat. Hat der Sozialversicherungsträger – in Unkenntnis der wirtschaftlichen Lage des Ersatzpflichtigen – Geld erhalten, so ist er nicht zur Herausgabe an den Geschädigten bzw. seine Hinterbliebenen verpflichtet. Der Sozialversicherungsträger ist seinerseits nicht verpflichtet, zur wirtschaftlichen Lage des Ersatzpflichtigen im Hinblick auf § 116 Abs. 4 SGB X zu ermitteln. Er hat aber bei der Zwangsvollstreckung die ihm bekannten Tatsachen zu berücksichtigen, die ein Vollstreckungsvorrecht der Geschädigtenansprüche bzw. seiner Hinterbliebenen bewirken könnten.

Vorrecht des Geschädigten nach § 116 Abs. 5 SGB X

Hat der Versicherungsträger bereits vor dem Schadensereignis Sozialleistungen (z. B. Rentenleistungen) erbracht, und erbringt er aufgrund des Schadensereignisses keine höheren Sozialleistungen, so findet in den Fällen des mitwirkenden Verschuldens bzw. der mitwirkenden Verantwortlichkeit des Geschädigten (§ 116 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB X) ein Forderungsübergang nur statt, wenn nach Ersatz des eigenen Schadens des Geschädigten oder seiner Hinterbliebenen noch ein Restschaden verbleibt.

Ein häufiger Anwendungsfall für Abs. 5 der Vorschrift ist der durch den Schädiger verursachte Tod des Rentners. Der Rentenversicherungsträger zahlt anstelle der bisherigen Altersrente jetzt die geringere Witwen- bzw. Witwerrente.

Verbleibt dem überlebenden Ehegatten ein Restschaden, muss der Rentenversicherungsträger von dem übergangsfähigen Betrag (Leistung x Quote) soviel abgeben, bis der Restschaden (Differenz Unterhaltsschaden / Rente) gedeckt ist (vgl. dazu Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 11. Aufl., Anm. 444).

Vergleiche Beispiel 2

Familienprivileg

Der Forderungsübergang ist ausgeschlossen, wenn ein in häuslicher Gemeinschaft mit dem Geschädigten lebender Familienangehöriger den gesundheitlichen Schaden des Geschädigten verursacht und dabei nicht vorsätzlich gehandelt hat (vgl. § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X).

Hintergrund der Regelung ist, dass der häusliche Friede in der Familie vor allem finanziell nicht zusätzlich belastet werden soll. Der in seiner Gesundheit geschädigte Versicherte bzw. Hinterbliebene hätte die finanziellen/wirtschaftlichen Folgen in der Regel dadurch mit zu tragen, dass er über den gemeinsamen Haushaltsetat mit der erhaltenen Sozialleistung für den Schaden einstehen müsste. Er müsste im Ergebnis das, was er als schadensbedingt gewährte Sozialleistung erhalten hat wieder zur Schadensregulierung herausgeben.

Der Schadensverursacher muss Familienangehöriger im Zeitpunkt des Schadensereignisses sein (Ehepartner – nicht aber Verlobte, Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz, Verwandte und Verschwägerte, leibliches Kind sowie Stief-, Adoptiv- oder Pflegekind – OLG Stuttgart, Urteil vom 13.08.1992, AZ: 11 U 36/92). Das Familienprivileg kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Schädiger mit dem Geschädigten oder einem Hinterbliebenen nach Eintritt des Schadensereignisses die Ehe geschlossen hat und in häuslicher Gemeinschaft lebt (vgl. § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X).

Seit Februar 2013 werden auch die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft den Familienangehörigen gleichgestellt. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 05.02.2013, AZ: VI ZR 274/12 entschieden, dass das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X auf den Partner einer nichteheähnlichen Lebensgemeinschaft anzuwenden ist, wenn eine nichteheliche Lebensgemeinschaft im Zeitpunkt des Schadensereignisses bestanden hat, und keine vorsätzliche Schädigung durch den Partner vorliegt. Dabei lässt es der BGH offen, ob der Partner einer eheähnlichen (häuslichen) Gemeinschaft als Familienangehöriger im Sinne der Vorschrift des § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X anzusehen ist. Der Partner ist jedenfalls dem Familienangehörigen gleichzustellen, so dass die Vorschrift analog für die nichteheliche Lebensgemeinschaft gilt. Damit hat der BGH seine frühere Rechtsprechung von 1987 aufgegeben, in der er das in § 116 Abs. 6 SGB X geregelte Familienprivileg für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft abgelehnt hatte (vgl. BGH-Urteil vom 01.12.87 AZ: VI ZR 50/87).

Die Anwendung des Familienprivilegs setzt darüber hinaus das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft im Zeitpunkt des Schadensereignisses voraus.

Häusliche Gemeinschaft im Sinne der Vorschrift bezeichnet ein gemeinsames Erwirtschaften der finanziellen Lebensgrundlage und ein füreinander Einstehen (gemeinsame Mittelaufbringung und –verwendung) mit dem Geschädigten oder seinem Hinterbliebenen in einer gemeinsamen Wohnung (getrennte Wohnungen im gemeinsamen Haus genügen nicht).

Vorübergehende Abwesenheiten beenden die häusliche Gemeinschaft nicht, solange eine gemeinsame Wohnung und die gemeinsame Wirtschaftsführung beibehalten werden (z. B. vorübergehende Erwerbstätigkeit im Ausland, Wehrdienst am anderen Ort etc.).

Zur häuslichen Gemeinschaft mit dem Schadensverursacher hat das Bundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang entschieden, dass auch eine zeitweise bestehende häusliche Gemeinschaft zwischen einem Kind und seinem leiblichen Vater (Schadensverursacher), der seinen Unterhalts- und Umgangspflichten mit dem Kind in der vereinbarten Weise nachkommt, für das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X ausreicht. In dem zu entscheidenden Fall lebte das Kind bei der Mutter und besuchsweise am Wochenende beim Vater. Beide Eltern waren nicht miteinander verheiratet, übten aber die Personensorge für das Kind gemeinsam aus (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.10.2010, AZ: 1 BvL 14/09).

Ein Familienprivileg nach dem Schadensereignis wird begründet, wenn der Schadensverursacher den Geschädigten oder den Hinterbliebenen nach dem Ereignis heiratet und mit ihm zusammenzieht (§ 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X). Bis dahin regulierte Beträge darf der Sozialversicherungsträger behalten, weil der Forderungsübergang im Unfallzeitpunkt noch stattfinden konnte. Weitere Forderungen gem. § 116 SGB X können aber nicht durchgesetzt werden.

Das Familienprivileg gilt nicht, wenn im Zeitpunkt des Schadensereignisses noch keine nichteheliche Lebensgemeinschaft mit dem Schädiger bestand und diese erst später eingegangen wird (Versicherter und Schädiger ziehen z. B. erst nach dem Schadensfall zusammen). In diesem Fall führen nur die häusliche Gemeinschaft und die Eheschließung (bzw. Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz) zur Anwendung des Familienprivilegs gem. § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X (OLG Dresden, Urteil vom 14.03.2012AZ: 7 U 1494/11).

Eine nachfolgende Auflösung der Ehe, Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz oder nichtehelichen Lebensgemeinschaft hat keine Auswirkungen auf das Familienprivileg, das weiterhin gilt.

Leistungen des Schädigers an den Geschädigten

Hat der zum Schadensersatz Verpflichtete in Erfüllung des Schadensersatzanspruchs an den Geschädigten Leistungen erbracht, obwohl die Forderung kraft Gesetzes auf den Versicherungsträger übergegangen war, und sind die Leistungen mit befreiender Wirkung für den Schädiger erfolgt, dann haben der Geschädigte oder seine Hinterbliebenen diese Leistungen dem Versicherungsträger zu erstatten (§ 116 Abs. 7 Satz 1 SGB X).

Hat der Schädiger nicht mit befreiender Wirkung an den Geschädigten oder seine Hinterbliebenen gezahlt, weil er zumindest Kenntnis gehabt hatte, dass ein Forderungsübergang möglich wäre, haften der Schädiger und der Geschädigte oder seine Hinterbliebenen nach § 116 Abs. 7 Satz 2 SGB X als Gesamtschuldner im Sinne des § 421 BGB.

Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen

§ 116 Abs. 9 SGB X stellt die gesetzliche Grundlage für den Abschluss von Teilungsabkommen zwischen Privatversicherern und Sozialversicherungsträgern dar. Die Vorschrift ermöglicht auch die Vereinbarung von Kapitalabfindungen zum Ausgleich noch möglicher künftiger Schadensersatzansprüche.

Bundesagentur für Arbeit als Versicherungsträger

Durch § 116 Abs. 10 SGB X wird die Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich der Regressnahme den sonstigen Sozialversicherungsträgern gleichgestellt. Es handelt sich um eine redaktionelle Anpassung aufgrund des Wegfalls des § 127 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Beispiel 1: Mitverschulden des Geschädigten

(Beispiel zu Abschnitt 10)
Schaden in Höhe von 10.000,00 EUR
Lösung:
Anteil des Schädigers: 80 %=8.000,00 EUR
Leistung des SV-Trägers=9.000,00 EUR
Forderungsübergang auf SV-Träger
(80 % von 9.000,00 EUR)=7.200,00 EUR
Verbleib für den Geschädigten
(80 % von 1.000,00 EUR)=800,00 EUR

Beispiel 2: Anspruch für den RV-Träger nach § 116 Abs. 5 SGB X:

(Beispiel zu Abschnitt 12)
Ermittelter Unterhaltsschaden (Barunterhalts- zuzüglich Haushaltsführungsschaden abzgl. etwaigem erspartem Barunterhalt):5.000,00 EUR
Haftungsquote 60 %:3.000,00 EUR
Leistung RV-Träger: 3.600,00 EUR
Restschaden des Geschädigten (bezogen auf 5.000,00 EUR:1.400,00 EUR
Anspruch RV-Träger nach § 116 Abs. 3 SGB X (3.600,00 EUR x 60 %):2.160,00 EUR
Lösung:
Vorrecht des Geschädigten nach § 116 Abs. 5 SGB X: 1.400,00 EUR
Verbleibender Anspruch für den RV-Träger nach § 116 Abs. 5 SGB X:1.600,00 EUR

§ 116 SGB X ist am 01.07.1983 in Kraft getreten und gilt für alle Schadensfälle, die sich nach dem 30.06.1983 ereignet haben.

Für Schadensfälle vor dem 01.07.1983 gilt das bis dahin geltende Recht weiter (§§ 1542, 1543 a RVO, § 77 Abs. 2 AVG).

Durch das 4. Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.2000 wurde Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 hinzugefügt und trat zum 01.01.2001 in Kraft. Absatz 10 wurde durch Art. 9 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom 24.03.1997 eingefügt und trat zum 01.01.1998 in Kraft.

Absatz 10 wurde durch Art. 6 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 dahingehend erweitert, dass auch die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II Versicherungsträger im Sinne dieser Vorschrift sind; Inkrafttreten: 01.08.2006.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 116 SGB X