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§ 55 SGB IX: Unterstützte Beschäftigung

Änderungsdienst
veröffentlicht am

22.11.2021

Änderung

Abschnitte 2 bis 4 - Überarbeitung Neue Gemeinsame Empfehlung Unterstützte Beschäftigung - Inkrafttreten: 01.10.2021

Dokumentdaten
Stand18.11.2021
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen vom 23.12.2016 in Kraft getreten am 01.01.2018
Rechtsgrundlage

§ 55 SGB IX

Version002.00

Inhalt der Regelung

Absatz 1beschreibt das Ziel der Unterstützten Beschäftigung und nennt deren Instrumente ‘individuelle betriebliche Qualifizierung’ und ‘Berufsbegleitung’.
Absatz 2enthält Regelungen zu Inhalt und Dauer der individuellen betrieblichen Qualifizierung.
Absatz 3normiert Inhalt und Zuständigkeit der Berufsbegleitung.
Absatz 4sieht die Beteiligung der zuständigen Leistungsträger im Falle einer erforderlichen Berufsbegleitung vor.
Absatz 5enthält Qualitätsstandards, die von Leistungsanbietern der Unterstützten Beschäftigung gefordert werden.
Absatz 6fordert die Vereinbarung einer gemeinsamen Empfehlung zu Absatz 5 durch die zuständigen Rehabilitationsträger und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR).

Allgemeines

Für Menschen mit Behinderungen mit besonderem Unterstützungsbedarf fehlte bisher eine geeignete Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, mit der ihre Leistungsfähigkeit bei individuell angepassten Bedingungen so entwickelt werden kann, dass eine Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich wurde. Es handelt sich dabei um Menschen, für die ansonsten nur der geschützte Arbeitsmarkt einer Werkstatt für behinderte Menschen in Betracht kommen würde. Die Bundesregierung hat deshalb mit dem Gesetz zur Einführung ‘Unterstützter Beschäftigung’ ab 30.12.2008 eine neue Leistungsmöglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben geschaffen.

Die für die Unterstützte Beschäftigung zuständigen Rehabilitationsträger sowie die BIH haben im Rahmen der BAR eine Gemeinsame Empfehlung Unterstützte Beschäftigung vereinbart. Die überarbeitete Fassung ist am 01.10.2021 in Kraft getreten.

Mit dieser Gemeinsamen Empfehlung werden einheitliche und verbindliche Kriterien für die Qualitätsanforderungen und die Leistungsinhalte festgelegt und die Zusammenarbeit der Beteiligten geregelt.

Zielsetzung und Zielgruppe

Unterstützte Beschäftigung ist ein ambulantes - vor Ort, in den Betrieben wirksames - Angebot.

Ziel der Unterstützten Beschäftigung ist es, Leistungsberechtigten mit besonderem Unterstützungsbedarf unter Berücksichtigung ihres Wunsch- und Wahlrechtes eine angemessene, geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten.

Unterstützte Beschäftigung richtet sich an Menschen mit Behinderungen, die einen besonderen Unterstützungsbedarf haben, aber nicht oder nicht mehr das besondere Angebot einer Werkstattleistung benötigen.

Daraus folgt, dass der Zugang zu dieser Leistung in der Rentenversicherung über die Erfüllung der persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 10 SGB VI führt und nicht über § 56 SGB IX, der ausschließlich für Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) gilt. Dies wird auch gesetzessystematisch belegt durch die Einordnung der Unterstützten Beschäftigung im SGB IX unmittelbar vor den Regelungen zu den Werkstattleistungen.

Wenn auch sozialpolitisch dieses Leistungsinstrument insbesondere für Schulabgänger aus Förder- und Sonderschulen zur Integrationsmöglichkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt angedacht ist, kann in geeigneten Fällen die Unterstützte Beschäftigung aber auch für erwachsene Menschen mit Berufserfahrung ein probates Mittel sein, um sie beruflich außerhalb des geschützten Arbeitsmarktes einzugliedern. Ein Berührungspunkt mit der Leistung ergibt sich für die Rentenversicherung angesichts der versicherungsrechtlichen Zugangsvoraussetzungen nach § 11 SGB VI deshalb nur in Bezug auf die letztgenannte Personengruppe.

Leistungsinhalte und -dauer

Die Unterstützte Beschäftigung umfasst zwei Abschnitte, die individuelle betriebliche Qualifizierung und bei Bedarf die Berufsbegleitung (§ 55 Abs. 1 SGB IX). Nach den gesetzlichen Regelungen kommt eine Förderung durch die Rentenversicherung ausschließlich für die individuelle betriebliche Qualifizierung in Betracht.

Die individuelle betriebliche Qualifizierung beinhaltet drei Phasen:

Einstiegsphase: Allgemeine berufliche Orientierung, Identifizierung (Feststellung) des Unterstützungsbedarfs, Akquise geeigneter Qualifizierungsplätze,

Qualifizierungsphase: Vertiefende berufliche Orientierung und unterstützte Einarbeitung sowie Qualifizierung auf geeigneten Qualifizierungsplätzen,

Stabilisierungsphase: Festigung im betrieblichen Alltag um eine dauerhafte Beschäftigung zu realisieren.

Neben der Vorbereitung auf ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis und der Unterstützung bei der Einarbeitung/Qualifizierung gehört auch die Vermittlung berufsübergreifender Lerninhalte und Schlüsselqualifikationen dazu. Inhalt und Ablauf der individuellen betrieblichen Qualifizierung orientieren sich dynamisch an den (sich verändernden) Kompetenzen beziehungsweise dem Leistungsvermögen des einzelnen Teilnehmers.

Die individuelle betriebliche Qualifizierung kann grundsätzlich für bis zu zwei Jahre erbracht werden, soweit sie wegen Art und Schwere der Behinderung erforderlich ist. Eine Verlängerung um bis zu 12 Monate ist ausnahmsweise möglich, wenn behinderungsbedingt nur über diesen verlängerten Weg der Qualifizierungserfolg und die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erreicht werden können (§ 55 Abs. 2 SGB IX).

Um die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Maßnahmen zu erreichen, ist der Wechsel aus der individuellen betrieblichen Qualifizierung - bei ungünstigem Verlauf - in eine Werkstatt für behinderte Menschen/anderen Leistungsanbietern (mit zeitlicher Anrechnung auf den dortigen Berufsbildungsbereich - vergleiche Abschnitt 5) oder in eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme beziehungsweise in eine Berufsausbildung bei günstiger Entwicklung möglich.

Wenn im Anschluss an die individuelle betriebliche Qualifizierung ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis erreicht werden kann, das eine Berufsbegleitung (§ 55 Abs. 3 SGB IX) erfordert, liegt die Zuständigkeit hierfür bei den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung, den Trägern der Kriegsopferversorgung und Kriegsopferfürsorge nach dem Recht der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden sowie bei den Integrationsämtern im Rahmen ihrer Zuständigkeit. Diese Träger sind frühzeitig zu beteiligen, wenn absehbar ein Trägerwechsel zwischen individueller betrieblicher Qualifizierung und erforderlicher Berufsbegleitung stattfindet. Die Berufsbegleitung kann zeitlich unbefristet erforderlich sein (§ 55 Abs. 3 und 4 SGB IX). Die Berufsbegleitung ist keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des § 49 SGB IX (in § 49 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX wird nur die individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung genannt) und kann somit nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung erbracht werden.

Mit der Durchführung der Unterstützten Beschäftigung sollen nur geeignete Leistungsanbieter beauftragt werden können, die über eine entsprechende Leistungsfähigkeit verfügen. Neben den bestehenden Integrationsfachdiensten kommen nur andere Anbieter in Betracht, die die normierten Qualitätsstandards erfüllen (§ 55 Abs. 5 SGB IX).

Näheres zu den Qualitätsanforderungen, Leistungsinhalten und der Zusammenarbeit findet sich in der eingangs genannten Gemeinsamen Empfehlung.

Anrechnung auf Zeiten des Berufsbildungsbereichs (§ 57 Abs. 4 SGB IX)

Verläuft die individuelle betriebliche Qualifizierung nicht wie gewünscht und scheitert sie, weil das Leistungsvermögen des Menschen mit Behinderungen für den allgemeinen Arbeitsmarkt noch nicht ausreicht, ist es sozialpolitisch gewollt, dass diese Menschen ihre berufliche Integration in dem geschützten Raum der WfbM fortsetzen.

Angesichts der Tatsache, dass die individuelle betriebliche Qualifizierungsphase im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung dem Berufsbildungsbereich einer WfbM inhaltlich stark ähnelt, ist vorgesehen, dass Zeiten der individuellen Qualifizierung hälftig auf den Berufsbildungsbereich angerechnet werden. Die Zeit der individuellen betrieblichen Qualifizierung und des Berufsbildungsbereiches der WfbM darf insgesamt nicht mehr als 36 Monate betragen (§ 57 Abs. 4 SGB IX), um eine übermäßige Ausdehnung von Maßnahmeförderungen zu verhindern. Eine volle Anrechnung erwies sich im Gesetzgebungsverfahren als nicht sachgerecht, da bei einem Wechsel in die WfbM Zeit für eine angemessene Einarbeitung erforderlich sein kann, damit anschließend der Wechsel in den Arbeitsbereich der WfbM reibungslos erfolgen kann. Dieser Einarbeitungszeitraum soll nicht zu Lasten der Qualifizierung in der WfbM gehen.

Übergangsgeld und ergänzende Leistungen

Die Erweiterung der Leistungsformen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 49 Abs. 3 SGB IX) um die individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung bewirkt, dass ein grundsätzlicher Anspruch auf Übergangsgeld gemäß § 65 SGB IX in Verbindung mit § 20 SGB VI besteht. Analog den bisherigen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfolgt die Übergangsgeldberechnung nach § 21 SGB VI in Verbindung mit §§ 66 bis 72 SGB IX.

Zudem besteht ein Anspruch auf die ergänzenden Leistungen nach § 64 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 und Nr. 6 und Abs. 2 SGB IX sowie nach den §§ 73 und 74 SGB IX, sofern die Voraussetzungen erfüllt werden.

Beitragsrecht

Leistungen im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung werden unter anderem durch Beiträge an die jeweiligen Versicherungszweige ergänzt. Die Beitragszahlung knüpft an das Vorliegen von Versicherungspflicht des Rehabilitanden in den einzelnen Versicherungszweigen an.

Rentenversicherung

Zeiten der Unterstützten Beschäftigung gelten als versicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis nach § 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI. Aufgrund des Bezuges von Übergangsgeld kann zugleich Versicherungspflicht nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI bestehen. Bei einem Zusammentreffen beider Versicherungspflichten geht gemäß § 3 S. 5 SGB VI die Versicherungspflicht vor, nach der die höheren Beiträge zu zahlen sind (‘sogenanntes Günstigkeitsprinzip’).

Es gelten die Ausführungen in der GRA zu § 64 SGB IX, Abschnitt 5.9.2.

Kranken- und Pflegeversicherung

Aufgrund der Zuordnung zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 49 Abs. 3 SGB IX) löst die Teilnahme an Leistungen im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung Versicherungspflicht in der Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V) und in der Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB XI) aus. Es gelten die Ausführungen in der GRA zu § 64 SGB IX, Abschnitt 3.

Arbeitslosenversicherung

Zeiten des Bezuges von Übergangsgeld im Rahmen einer Unterstützten Beschäftigung begründen keine Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung.

Unfallversicherung

Änderungen im Unfallversicherungsrecht sieht das Gesetz zur Einführung Unterstützter Beschäftigung nicht vor. Durch die Zuordnung zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ist der Unfallversicherungsschutz für diesen Personenkreis gewährleistet. Es liegt damit Versicherungspflicht - wie für Lernende - nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII vor. Im Übrigen gelten die Ausführungen in der GRA zu § 64 SGB IX, Abschnitt 4.

Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234)

Inkrafttreten 01.01.2018

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 18/9522

Die Vorschrift (bisher § 38a SGB IX) wurde durch das Bundesteilhabegesetz redaktionell überarbeitet.

Gesetz zur Einführung Unterstützter Beschäftigung vom 22.12.2008 (BGBl. I S. 2959)

Inkrafttreten: 30.12.2008

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 16/10487

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 55 SGB IX