§ 9 SGB IV: Beschäftigungsort
veröffentlicht am |
19.12.2022 |
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Änderung | Abschnitt 3.5 aktualisiert aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung |
Stand | 12.12.2022 |
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Erstellungsgrundlage | in der Fassung des Gesetzes zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze vom 22.06.2011 in Kraft getreten am 29.06.2011 |
Rechtsgrundlage | |
Version | 002.00 |
Inhalt der Regelung
§ 9 SGB IV definiert seit 01.07.1977 für alle Sozialversicherungszweige einheitlich den Begriff des Beschäftigungsortes.
Als Generalklausel bestimmt Absatz 1 als Beschäftigungsort den Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird.
Absatz 2 fingiert als Beschäftigungsort den Ort, an dem eine feste Arbeitsstätte errichtet ist, wenn einzelne Arbeitseinsätze von dort aus außerhalb der festen Arbeitsstätte erfolgen oder Arbeitsstätte und tatsächlicher Arbeitsort bei Arbeitseinsätzen außerhalb der Arbeitsstätte im Bezirk desselben Versicherungsamts liegen.
Absatz 3 bestimmt den Beschäftigungsort in Fällen, in denen Personen an mehreren festen Arbeitsstätten beschäftigt werden.
Absatz 4 enthält Festlegungen für den Fall, dass eine Arbeitsstätte sich über den Bezirk mehrerer Gemeinden erstreckt.
Absatz 5 bestimmt den Beschäftigungsort, wenn eine feste Arbeitsstätte nicht vorhanden ist.
Absatz 6 bestimmt den Beschäftigungsort, wenn die Grundsätze der Ausstrahlung im Falle einer Entsendung anzuwenden sind.
Absatz 7 regelt, dass die Bestimmung des Beschäftigungsortes nach Absatz 6 ebenfalls gilt, wenn bei einer Beschäftigung im Ausland aufgrund über- oder zwischenstaatlichen Rechts die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden sind.
Ergänzende/korrespondierende Regelungen
§ 10 SGB IV ergänzt die Definition des Begriffes Beschäftigungsort für die dort genannten besonderen Personengruppen.
§ 128 SGB VI knüpft in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 für die örtliche Zuständigkeit eines Regionalträgers an den Beschäftigungsort des Versicherten oder des Hinterbliebenen im Inland an.
§ 228a Abs. 1 SGB VI knüpft für die Frage, ob Einnahmen aus einer im Beitrittsgebiet ausgeübten Beschäftigung erzielt werden, inhaltlich an den Beschäftigungsort an.
Allgemeines
Nach § 3 Nr. 1 SGB IV gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches beschäftigt sind, soweit die Vorschriften eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit voraussetzen.
§ 9 SGB IV stellt dahingehend klar, dass es in erster Linie darauf ankommt, dass der Beschäftigungsort eines Betroffenen - tatsächlich oder aufgrund der Anwendbarkeit einer der Fiktionsregelungen der Absätze 2 bis 7 - im Inland liegt.
In den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung ist der Beschäftigungsort darüber hinaus bedeutsam für
- die mögliche örtliche Zuständigkeit des Trägers der Krankenversicherung (§ 173 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V),
- die mögliche örtliche Zuständigkeit eines Regionalträgers der Rentenversicherung (§ 128 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI),
- die Rechtskreiszuordnung in der Rentenversicherung (§ 228a SGB VI) und nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 408 SGB III).
Beschäftigungsort
Für die Bestimmung des Beschäftigungsortes sind die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend. Die Bestimmung ist mithin nicht disponibel, sie kann (arbeits-)vertraglich nicht abbedungen werden. Für ein Beschäftigungsverhältnis kann es jeweils nur einen Beschäftigungsort geben.
Tatsächlicher Beschäftigungsort (Absatz 1)
Beschäftigungsort ist der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird. Maßgeblich ist also der faktische Beschäftigungsort. „Ort“ in diesem Sinne ist als Ortschaft beziehungsweise Gemeinde im politischen Sinne, nicht als begrenzte geographische Örtlichkeit zu verstehen (Urteil des BSG vom 20.03.1984, AZ: 8 RK 36/82, USK 84134).
Feste Arbeitsstätte als Beschäftigungsort (Absatz 2)
Der Ort, an dem eine feste Arbeitsstätte errichtet ist, gilt als Beschäftigungsort, wenn Personen
- von der Arbeitsstätte aus mit einzelnen Arbeiten außerhalb der festen Arbeitsstätte beschäftigt werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Ort/die Orte der tatsächlichen Arbeitsleistung dann noch im Bezirk desselben Versicherungsamts liegt/liegen, oder
- (regelmäßig) außerhalb der festen Arbeitsstätte beschäftigt werden und diese Arbeitsstätte sowie der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird, im Bezirk desselben Versicherungsamts liegen.
Der Begriff Arbeitsstätte muss im sozialversicherungsrechtlichen Sinn weiter ausgelegt werden als die Definition in § 2 Abs. 1 der Arbeitsstättenverordnung vom 12.08.2004 (BGBl. I S. 2179); vergleiche allein § 12 Abs. 1 und 2 SGB IV. Unter fester Arbeitsstätte ist jede Stätte zu verstehen, die für verhältnismäßig lange Dauer errichtet ist und in der die Arbeit stattfindet, zumal wenn sie durch örtliche Anlagen und Veranstaltungen als Betriebsstätte des Unternehmens nach außen gekennzeichnet ist (Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30.05.1980, AZ: L 4 Kr 103/76, in dem weiter ausgeführt wird, dass beispielsweise der Markthallenstand eines auswärtigen Gewerbetreibenden oder das Büro beziehungsweise die Wohnung des Außenbeamten einer Versicherungsgesellschaft als Arbeitsstätte angesehen worden seien).
Zum möglichen örtlichen Zuständigkeitsbereich („Bezirk“) eines Versicherungsamts vergleiche § 92 S. 4 und 5 SGB IV.
Mehrere feste Arbeitsstätten (Absatz 3)
Sind Personen bei einem Arbeitgeber an mehreren festen Arbeitsstätten beschäftigt, gilt als Beschäftigungsort die Arbeitsstätte, in der sie überwiegend beschäftigt sind. Zu der Frage, an welcher Arbeitsstätte die Beschäftigung überwiegend ausgeübt wird, wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass in erster Linie der zeitliche Umfang maßgeblich sei.
Gemeindeübergreifende feste Arbeitsstätte (Absatz 4)
Erstreckt sich eine feste Arbeitsstätte über den Bezirk mehrerer Gemeinden, gilt als Beschäftigungsort der Ort, an dem die Arbeitsstätte ihren wirtschaftlichen Schwerpunkt hat.
Über den Bezirk mehrerer Gemeinden erstrecken kann sich eine Arbeitsstätte beispielsweise bei großen Bergwerken oder Arbeitsstätten im Braunkohletagebau. Obwohl die Regelung selbst allein auf die Arbeitsstätte abstellt, wird der wirtschaftliche Schwerpunkt dort liegen, wo Firmenleitung und Verwaltung, also der Betreiber der Arbeitsstätte, seinen Standort hat.
Keine feste Arbeitsstätte (Absatz 5)
Ist eine feste Arbeitsstätte nicht vorhanden und wird die Beschäftigung an verschiedenen Orten ausgeübt, gilt als Beschäftigungsort der Ort, an dem der Betrieb seinen Sitz hat. Leitet eine Außenstelle des Betriebs die Arbeiten unmittelbar, ist der Sitz der Außenstelle maßgebend.
Die Anwendbarkeit von Absatz 5 setzt zunächst voraus, dass die Beschäftigung an verschiedenen Orten ausgeübt wird. Wird die Beschäftigung an nur einem Ort ausgeübt, bestimmt sich der Beschäftigungsort ungeachtet der Begrifflichkeit „feste Arbeitsstätte“ nach Absatz 1.
Zum Begriff „feste Arbeitsstätte“ vergleiche Abschnitt 3.2. Eine feste Arbeitsstätte ist nicht vorhanden, wenn nur Einzeltätigkeiten von kurzer Dauer und geringem Umfang an einem oder verschiedenen Orten vorgenommen werden (Urteil des BSG vom 10.03.2015, AZ: B 1 A 10/13 R).
Dass die Anwendung der Sondervorschrift des § 9 Abs. 5 SGB IV im Einzelfall dazu führen kann, dass ein Versicherter zwar ausschließlich im Beitrittsgebiet tätig ist, jedoch die Beschäftigung dem Rechtskreis West zugeordnet wird, weil sein Arbeitgeber in einem der alten Bundesländer seinen Sitz hat, ist Folge der Besonderheit einer Beschäftigungsausübung an verschiedenen Orten. § 9 Abs. 5 SGB IV trägt dem Umstand Rechnung, dass eine eindeutige örtliche Zuordnung der Beschäftigung in solchen Konstellationen praktisch nicht erfolgen kann, im Interesse der Rechtssicherheit aber zumindest fiktiv erforderlich ist. Würde bei Tätigkeiten, die an verschiedenen Orten erbracht werden, nicht auf den Betriebssitz, sondern auf den Ort der jeweiligen Arbeitsleistung abgestellt, wäre die Zuordnung von Entgeltpunkten oder Entgeltpunkten (Ost) in vielen Fällen erschwert oder kaum möglich, etwa wenn die Beschäftigung in zeitlich kurzen Abständen an wechselnden Orten im alten Bundesgebiet und im Beitrittsgebiet ausgeübt wird. (Urteil des BSG vom 06.07.2022, AZ: B 5 R 41/21 R).
Nach in der Literatur überwiegend vertretener Auffassung ist Absatz 5 auch anzuwenden auf die von Absatz 2 nicht erfasste Variante, wenn Personen regelmäßig außerhalb einer festen Arbeitsstätte beschäftigt werden und der Ort beziehungsweise die Orte, an denen die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird, auch außerhalb des Bezirks des Versicherungsamts der festen Arbeitsstätte liegen.
Zu Mitarbeitern ausländischer Unternehmen bestimmt Satz 3, dass als Beschäftigungsort der Ort gilt, an dem die Beschäftigung erstmals im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs ausgeübt wird, wenn die Beschäftigung an verschiedenen Orten im Inland ausgeübt wird und ein inländischer Betriebssitz oder inländischer Sitz einer Außenstelle nicht gegeben ist. Die Regelung greift aber nur, wenn auf diese Beschäftigung die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, also nicht im Falle der Einstrahlung nach Maßgabe des § 5 SGB IV oder über- und zwischenstaatlichen Rechts.
Ausstrahlung (Absatz 6)
Ein Fall der Ausstrahlung liegt - neben weiteren Bedingungen - vor, wenn Personen im Rahmen eines im Inland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet im Ausland entsandt werden (vergleiche § 4 Abs. 1 SGB IV). Hier gilt der bisherige Beschäftigungsort, so wie er sich aus den Absätzen 1 bis 4 ergibt, als fortbestehend.
Beginnt die Beschäftigung mit der Entsendung, ist also ein „bisheriger“ Beschäftigungsort nicht vorhanden, gilt als Beschäftigungsort der Ort, an dem der Betrieb, von dem der Beschäftigte entsandt wird, seinen Sitz hat.
Die Rechtskreiszuordnung (§§ 228a und 254d SGB VI) richtet sich in diesen Fällen nach dem nach § 9 Abs. 6 SGB IV zu bestimmenden Beschäftigungsort.
Lässt sich ein Beschäftigungsort nach § 9 Abs. 6 SGB IV nicht bestimmen, weil weder der bisherige Beschäftigungsort noch der Betriebssitz des Arbeitgebers im Inland liegen, erfolgt die Bestimmung des Beschäftigungsorts nach § 9 Abs. 7 SGB IV (siehe Abschnitt 3.7).
Hinweis:
Gemäß Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nummer 1 Buchstabe a des Einigungsvertrages (vergleiche dazu Gesetz zu dem Vertrag vom 31.08.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 18.09.1990 vom 23.09.1990, BGBl. II S. 885) gilt unter anderem § 4 SGB IV auch im Verhältnis des Beitrittsgebiets zu den alten Bundesländern, solange unterschiedliche Bezugsgrößen in der Sozialversicherung bestehen. § 9 Abs. 6 SGB IV gilt für die Bestimmung des Beschäftigungsortes danach auch, wenn eine Person im Rahmen eines in einem Rechtskreis bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in den anderen Rechtskreis im Sinne von § 4 SGB IV entsandt wird.
Über- oder zwischenstaatliches Recht (Absatz 7)
Absatz 7 bestimmt, dass für einen Arbeitnehmer, für den auf Grund über- oder zwischenstaatlichen Rechts die deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit gelten und der die Beschäftigung nicht im Geltungsbereich des SGB IV ausübt, Absatz 6 entsprechend gilt. Ist auch danach kein Beschäftigungsort im Inland gegeben, gilt der Arbeitnehmer als in Berlin (Ost) beschäftigt.
Die Regelung beinhaltet die Bestimmung eines (inländischen) Beschäftigungsortes für Arbeitnehmer ohne konkreten Inlandsbezug, die dennoch den deutschen Rechtsvorschriften unterliegen (beispielsweise Botschaftsangehörige).
In derartigen Fällen wird primär an den ehemaligen (inländischen) Beschäftigungsort oder den inländischen Betriebssitz des Arbeitgebers nach Absatz 6 angeknüpft. Liegt ein solcher nicht vor (beispielsweise bei Beschäftigten amtlicher Vertretungen des Bundes im Ausland, die nach § 4 Abs. 1 S. 2 SGB VI auf Antrag versicherungspflichtig sind), gilt als Beschäftigungsort Berlin (Ost). Auch für die Rechtskreiszuordnung (§§ 228a und 254d SGB VI) ist dann Berlin (Ost) als Beschäftigungsort maßgeblich.
Die Regelung wurde erforderlich, da anders als noch Artikel 12 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 die aktuell geltende Verordnung (EG) Nr. 987/2009 für diese Personengruppe keine Zuständigkeitsregelung enthält.
Gesetz über den Abschluss der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz) vom 17.07.2017 (BGBl. I S. 2575) |
Inkrafttreten: 01.01.2025 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 18/11923 |
Durch Artikel 3 Nummer 3 des Rentenüberleitungs-Abschlussgesetzes wird mit Wirkung vom 01.01.2025 in Absatz 7 Satz 2 nach dem Wort "Berlin" die Angabe "(Ost)" gestrichen.
Gesetz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze vom 22.06.2011 (BGBl. I S. 1202) |
Inkrafttreten: 29.06.2011 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 17/4978 |
Durch Artikel 3 Nummer 1 des Gesetzes zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze wurde Absatz 7 angefügt.
Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) vom 23.12.1976 (BGBl. I, S. 3845) |
Inkrafttreten: 01.07.1977 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 7/4122 |
Durch Artikel 1 des SGB IV wurde § 9 geschaffen.