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§ 36 SGB I: Handlungsfähigkeit

Änderungsdienst
veröffentlicht am

20.08.2019

Änderung

Die GRA wurde mit den Regionalträgern abgestimmt. Die Abschnitte 2 bis 5 wurden überarbeitet.

Dokumentdaten
Stand01.09.2015
Erstellungsgrundlage in der Fassung des SGB I vom 11.12.1975 in Kraft getreten am 01.01.1976
Rechtsgrundlage

§ 36 SGB I

Version001.00

Inhalt der Regelung

§ 36 Abs. 1 SGB I bestimmt, dass grundsätzlich jedem, der das 15. Lebensjahr vollendet hat, das Recht zusteht, selbständig Anträge auf Sozialleistungen zu stellen und zu verfolgen sowie Leistungen entgegenzunehmen. Sozialleistungen in diesem Sinne sind unter anderem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung.

Für Minderjährige kann der gesetzliche Vertreter die Handlungsfähigkeit einschränken; der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bedarf es, wenn ein Anspruch nicht weiter verfolgt werden soll (§ 36 Abs. 2 SGB I).

Ergänzende/ korrespondierende Regelungen

§§ 1626 ff. BGB regeln die gesetzliche Vertretung von Minderjährigen durch ihre Eltern.

§ 1793 BGB bestimmt den Vormund als den gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen.

§ 1909 ff. BGB regelt, dass ein Pfleger, dem die Ergänzungspflegschaft zur elterlichen Sorge oder für ein Mündel obliegt, gesetzlicher Vertreter des Kindes ist.

§ 104 BGB betrifft die Geschäftsunfähigkeit des Minderjährigen.

§ 106 BGB regelt die beschränkte Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen nach bürgerlichem Recht.

§§ 60 ff. SGB I bezeichnet die Mitwirkungspflichten von Berechtigten, die eine Leistung erhalten oder beantragen.

§ 66 SGB I regelt die Folgen fehlender Mitwirkung nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I.

§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, § 71 Abs. 2 SGG bezeichnen die verfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit beziehungsweise die Prozessfähigkeit.

Recht zur Antragstellung, Antragsverfolgung und Entgegennahme von Leistungen

Wer das 15. Lebensjahr vollendet hat, ist grundsätzlich ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters berechtigt

  • zur selbständigen Antragstellung auf Sozialleistungen und Verfolgung dieses Antrages,
  • zur Entgegennahme des Bescheides (Bewilligungs- oder Ablehnungsbescheid) und
  • zum Empfang der Sozialleistung.

Vorausgesetzt wird die beschränkte Geschäftsfähigkeit Minderjähriger (§ 106 BGB), die nicht fehlen darf, weil sich die Person in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB).

Zu den Sozialleistungen im Sinne von § 36 SGB I gehören in der Rentenversicherung insbesondere die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung, Beitragszuschüsse und Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (siehe § 23 Abs. 1 Nr. 1 SGB I).

Die Befugnis aus § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB I zur Antragstellung, Antragverfolgung und Entgegennahme von Leistungen erstreckt sich nicht auf fremde Ansprüche, sondern nur auf eigene Ansprüche des Minderjährigen. In Angelegenheiten fremder Ansprüche kann der Minderjährige nur als Vertreter nach Maßgabe der §§ 164, 165 BGB tätig werden. Bei abgeleiteten Rentenansprüchen (Renten wegen Todes, beispielsweise Waisenrente) handelt es sich um eigene Ansprüche des Minderjährigen. Handlungsfähigkeit besteht daher sowohl für eigene Versichertenrenten als auch eigene Hinterbliebenenrenten.

Die Handlungsfähigkeit des Minderjährigen ergänzt seine beschränkte Geschäftsfähigkeit und weitet sie partiell aus. Die Rechte des gesetzlichen Vertreters bleiben unberührt.

Antragstellung und Antragsverfolgung

§ 36 Abs. 1 Satz 1 SGB I berechtigt Minderjährige ab Vollendung des 15. Lebensjahres selbständig Anträge auf Sozialleistungen zu stellen und zu verfolgen. Der selbständig gestellte Antrag des Minderjährigen ist rechtswirksam und bedarf grundsätzlich keiner Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (Ausnahme: Antragsrücknahme und Verzicht, siehe Abschnitt 5).

Andere Anträge als Anträge auf Sozialleistungen kann der Minderjährige jedoch nicht stellen. Insbesondere kann er keine Anträge auf Befreiung von der Versicherungspflicht, auf Begründung einer freiwilligen Versicherung oder einer Antragspflichtversicherung stellen.

Jeglicher Schriftwechsel, der sich aus dem wirksam gestellten Antrag des Minderjährigen ergibt, wird mit dem Minderjährigen selbst geführt. Der Minderjährige kann Anfragen/Nachfragen zum Antrag und Verfahren stellen und Erklärungen abgeben. Auch der das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid wird ihm selbst bekanntgegeben beziehungsweise zugestellt.

Einhergehend mit dem Recht zur Antragsverfolgung ist die Mitwirkungspflicht des minderjährigen Antragstellers. Wirkt der Minderjährige nicht mit, ist zu prüfen, ob die Mitwirkung durch Einschaltung des gesetzlichen Vertreters erreicht werden kann. Ist der Leistungsanspruch dennoch wegen fehlender Mitwirkung abzulehnen, ist der Bescheid dem Minderjährigen bekanntzugeben beziehungsweise zuzustellen.

Das Recht zur Antragsverfolgung beinhaltet zugleich die Berechtigung, Rechtsbehelfe einzulegen (Widerspruch, Klage, Berufung, Revision), um gegebenenfalls hiermit seine Leistungsansprüche durchzusetzen. Ausgenommen hiervon sind lediglich die Rücknahme von Anträgen, der Verzicht auf Sozialleistungen und die Entgegennahme von Darlehen (siehe Abschnitt 5). Die Verfahrenshandlungsfähigkeit des Minderjährigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB X; § 12 Abs. 2 VwVfG) setzt sich über die Vorschriften der Prozessordnungen (§ 71 Abs. 2 Satz 1 SGG; § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) in der Prozessfähigkeit fort.

Mit dem Recht, Anträge selbständig zu stellen, ist das Recht verbunden, eine entsprechende Beratung und Auskunftserteilung im Rahmen von §§ 14, 15 SGB I in Anspruch zu nehmen.

Der Minderjährige ist berechtigt, einen Dritten für die Wahrnehmung seiner Rechte zu bevollmächtigen, soweit er hierfür selbst handlungsfähig ist.

Entgegennahme von Leistungen

Die Berechtigung des handlungsfähigen Minderjährigen zur Entgegennahme von Leistungen bedeutet, dass der Leistungsträger mit befreiender Wirkung an den Handlungsfähigen leisten kann, den Sozialleistungsanspruch damit erfüllt und zum Erlöschen bringt. Das Recht, Sozialleistungen entgegenzunehmen, bedeutet jedoch nicht, dass der Minderjährige über sie auch frei verfügen könnte. Die Verfügung über die empfangene Sozialleistung richtet sich vielmehr nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Dem gesetzlichen Vertreter bleibt also die Möglichkeit, hierauf Einfluss zu nehmen (§§ 104 ff. BGB).

Begehrt der Minderjährige die bisher an den gesetzlichen Vertreter erfolgte Zahlung nun an sich selbst bedarf es einer schriftlichen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (siehe Abschnitt 7).

Mitwirkungspflichten des Minderjährigen

Die Handlungsfähigkeit des Minderjährigen erstreckt sich auch darauf, die mit der Antragstellung, Verfolgung und Entgegennahme von Sozialleistungen unmittelbar zusammenhängenden Pflichten (§§ 60 ff. SGB I) zu erfüllen. Dementsprechend ist das Mitwirkungsverlangen nach § 66 Abs. 3 SGB I an den Minderjährigen zu richten. Für dort vorgesehenen Sanktionen bei unterlassener Mitwirkung ist jedoch immer der gesetzliche Vertreter Adressat von Androhungen des Entzugs oder entziehenden Entscheidungen, denn Handlungsfähigkeit besteht nicht für die Einschränkung oder Rücknahme von bewilligten Leistungen. Das bedeutet, dass Leistungen entsprechend dem Schutzgedanken des § 36 Abs. 2 SGB I nur versagt oder entzogen werden, wenn der gesetzliche Vertreter vorher auf die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung hingewiesen und ihm eine Frist gesetzt worden ist (vergleiche GRA zu § 66 SGB I).

Unterrichtung des gesetzlichen Vertreters

Bei Minderjährigen ist der gesetzliche Vertreter über

  • die Antragstellung und
  • die erstmalige Bewilligung der Leistung sowie gegebenenfalls deren Wegfall

zu unterrichten, soweit dies nach Sachlage möglich ist. Ergibt sich aus den Akten nicht, wer gesetzlicher Vertreter ist, ist dessen Aufenthaltsort nicht bekannt oder werden mit der Unterrichtung berechtigte Interessen des Minderjährigen gefährdet, ist im Wege einer Ermessensentscheidung von einer Unterrichtung abzusehen. Besondere Ermittlungen zum gesetzlichen Vertreter für die Vornahme der Unterrichtung sind insoweit nicht vorzunehmen.

Sind mehrere Vertreter vorhanden, müssen alle unterrichtet werden.

Auch wenn eine Formvorschrift nicht besteht, sollte die Unterrichtung aus Beweisgründen stets schriftlich erfolgen. In Ausnahmefällen genügt eine mündliche Unterrichtung.

Inhalt der Unterrichtung ist bei Antragstellung die Mitteilung, wann der Antrag gestellt wurde und welche Leistung begehrt wird. Die Unterrichtung über die Antragstellung hat vor Entscheidung über den Antrag zu erfolgen. Die Unterrichtung über die gezahlte Leistung ist nur bei erstmaliger Bewilligung erforderlich. Dabei genügt die Übersendung einer Bescheidzweitschrift. Mit der Unterrichtung über die Antragstellung sowie über die gezahlte Leistung wird gewährleistet, dass der gesetzliche Vertreter die Handlungen des Minderjährigen sowie die Verwendung von Geldleistungen kontrollieren und gegebenenfalls nach § 36 Abs. 2 SGB I entsprechend eingreifen kann. Bei Änderungen der Leistung wie Neuberechnung, Umwandlung oder Anpassung sind weitere Mitteilungen entbehrlich. Auf seine ausdrückliche Anfrage sind dem gesetzlichen Vertreter jedoch jederzeit und bei Bedarf auch detailliert - über die Unterrichtung im Sinne von § 36 Absatz 1 Satz 2 SGB I hinaus - die erbrachten Sozialleistungen mitzuteilen.

Die Unterrichtung des gesetzlichen Vertreters bei Wegfall der Sozialleistung ist nicht vorgeschrieben. Dennoch sollte der gesetzliche Vertreter bei Wegfall der bewilligten Leistung informiert werden. Indem er von der letztmalig gewährten Leistung erfährt, soll ihm die Möglichkeit gegeben werden, bei Bedarf zum Schutz des Minderjährigen Maßnahmen zu ergreifen (zum Beispiel Antrag auf Weitergewährung).

Einschränkungen der Handlungsfähigkeit durch den gesetzlichen Vertreter

Der gesetzliche Vertreter kann die Handlungsfähigkeit (siehe Abschnitt 2) für den Minderjährigen in allen Fällen durch schriftliche Erklärung einschränken (§ 36 Abs. 2 Satz 1 SGB I). Eine mündliche Einschränkung ist nicht - auch nicht ausnahmsweise - wirksam. Der Erklärung muss eindeutig zu entnehmen sein, in welcher Weise und welchem Umfang die Handlungsfähigkeit des Minderjährigen eingeschränkt sein soll.

Die Einschränkung der Handlungsfähigkeit kann sich auf die selbständige Antragstellung beziehungsweise Antragsverfolgung, auf die Entgegennahme des Bewilligungs- beziehungsweise Ablehnungsbescheides oder auf die Entgegennahme von Leistungen beziehen. In jedem Fall muss aus der Erklärung eindeutig hervorgehen, in welcher Weise die Handlungsfähigkeit des Minderjährigen eingeschränkt werden soll. Ein genereller Entzug der Handlungsfähigkeit wird für nicht zulässig gehalten.

Der Rentenversicherungsträger hat sich vom Eingang der Erklärung an danach zu richten. Da § 16 SGB I für die einschränkende Erklärung nicht anwendbar ist, ist maßgebend, wann sie in den Verfügungsbereich des zuständigen Sozialleistungsträgers gelangt ist. Rechtsgeschäfte mit dem Minderjährigen darf der Sozialleistungsträger ohne Beteiligung des gesetzlichen Vertreters dann nur noch insoweit vornehmen, als die Handlungsfähigkeit des Minderjährigen nicht eingeschränkt ist.

Der gesetzliche Vertreter kann die Einschränkung der Handlungsfähigkeit jederzeit widerrufen. Damit wird die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit des Minderjährigen wieder hergestellt. Für den Widerruf ist dann ebenfalls eine schriftliche Erklärung erforderlich.

Der gesetzliche Vertreter ist auch berechtigt, gegen den Willen des Minderjährigen einen Leistungsantrag zu stellen. Der Bescheid ist dann dem gesetzlichen Vertreter zuzustellen.

Zustimmung des gesetzlichen Vertreters

Will der Minderjährige einen Antrag zurücknehmen oder auf Leistungen verzichten, ist hierzu immer die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB I). Die Zustimmung kann in der vorherigen Einwilligung oder der nachträglichen Genehmigung bestehen.

Ist der gesetzliche Vertreter nicht bekannt, ist er zu ermitteln. Im Gegensatz zu der Unterrichtung nach § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB I handelt es sich bei dem Zustimmungserfordernis nicht um eine Sollvorschrift, so dass ein ausnahmsweiser Verzicht auf die Zustimmung nicht möglich ist.

Bis zum Vorliegen der Zustimmung ist die Antragsrücknahme oder der Leistungsverzicht des Minderjährigen schwebend unwirksam. Wenn der gesetzliche Vertreter die Zustimmung verweigert oder sich nicht äußert, bleibt die Rechtshandlung des Minderjährigen unwirksam. Das bedeutet, der Antrag ist weiterzubearbeiten oder die Leistung weiterzugewähren. Der Bescheid ist dem gesetzlichen Vertreter zu erteilen und die Zahlung an ihn vorzunehmen.

Ein Formerfordernis für die Zustimmungserklärung besteht nicht. Aus Gründen der Beweissicherheit sollte jedoch immer eine schriftliche Erklärung verlangt werden.

Das Zustimmungserfordernis umfasst auch die Rücknahme eines Widerspruchs, einer Klage, einer Berufung oder einer Revision.

Leistungsanträge des gesetzlichen Vertreters bei Untätigkeit beziehungsweise gegen den Willen des Minderjährigen

Die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern und die partielle volle Handlungsfähigkeit des Minderjährigen bestehen ergänzend nebeneinander. Sie verdrängen einander nicht.

Bleibt der Minderjährige „passiv“ kann der gesetzliche Vertreter uneingeschränkt Sozialleistungsanträge stellen und verfolgen.

Bei Widersprüchen zwischen den Erklärungen des Minderjährigen und des gesetzlichen Vertreters (zum Beispiel Antragstellung gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Minderjährigen) gehen die Erklärungen des gesetzlichen Vertreters vor, da der gesetzliche Vertreter nach § 36 Abs. 2 Satz 1 SGB I zur Einschränkung der Handlungsmacht des Minderjährigen befugt ist. Hierfür muss die Erklärung des gesetzlichen Vertreters jedoch den Willen zur Einschränkung der Handlungsfähigkeit erkennen lassen.

Minderjähriger begehrt Zahlungsumstellung

Begehrt der Minderjährige die Umstellung der Zahlung, bedarf es einer schriftlichen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. In der bisherigen Zahlung an den gesetzlichen Vertreter auf dessen Begehren ist eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Minderjährigen zu sehen. Zu ihrer Aufhebung ist die Zustimmung des Vertreters erforderlich, die schriftlich erfolgen muss (siehe Abschnitt 5).

Einigungsvertragsgesetz vom 23.09.1990 (BGBl. II S. 885)

Inkrafttreten: 01.01.1990

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 11/7760

Nach dem Einigungsvertragsgesetz vom 23.09.1990 ist die Vorschrift in den neuen Bundesländern für den Bereich der Rentenversicherung ab 01.01.1991 anzuwenden.

SGB I vom 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015)

Inkrafttreten: 01.01.1976

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 7/868

Die Vorschrift gilt mit Wirkung vom 01.01.1976 (Artikel II § 23 SGB I); durch sie wird § 1613 Absatz 6 RVO gestrichen, der über § 204 AVG auch für die Angestelltenversicherung galt und Minderjährigen ein selbständiges Antragsrecht ab vollendetem 16. Lebensjahr einräumte.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 36 SGB I